Berlin-Am Montagmittag stehen vor dem Warenlager des Schnell-Lieferdienstes Gorillas im Kaiserkorso dutzende schwarze Fahrräder kopfüber auf dem Asphalt. Die Kuriere des Standortes sind hier seit Freitagnachmittag im Streik, ebenso die Warenlager in Schöneberg und Wedding. Neben dem Eingang hängen Banner mit ihren Forderungen, sie gelten der Geschäftsführung des Start-ups. Dass die Streikenden die Räder wenig später umdrehen und zurück in das Warenlager schieben, ist kein Aufgeben, sondern das erreichte Tagesziel: das Warenlager schließt. Wenigstens für heute.
Seit März dieses Jahres geht der Arbeitskampf bei Gorillas schon. Mit wilden – also ohne gewerkschaftlichen Aufruf organisierten – Streiks und Protestaktionen auf der Straße, auf Twitter und Instagram gehen die Beschäftigten des Unternehmens immer wieder mit dem Wunsch nach besseren Arbeitsbedingungen an die Öffentlichkeit. Beschäftigte aus dem Umfeld des „Gorillas Workers Collective“ initiierten und organisierten eine Wahl zur Vorbereitung eines Betriebsrats.
Auslöser der Streiks ist wieder eine Kündigung
Öffentlich betont das Unternehmen, die Betriebsratsgründung zu unterstützen. Andererseits werfen Beschäftigte dem Management vor, die Arbeitnehmervertretung zu blockieren – etwa durch die Spaltung des Betriebs in ein „administratives“ und ein „operatives“ Geschäft. Vergangene Woche erhielten die Beschäftigten neue Verträge, eine Kopie liegt der Berliner Zeitung vor. Darin informiert das Unternehmen über die Überführung des Anstellungsverhältnisses in eine neue GmbH namens „Gorillas Operations Germany“.
Am Freitag sollen außerdem zwei Manager des Unternehmens bei den Streiks im Bergmannkiez aufgetaucht sein - allerdings: verkleidet als Kuriere. Laut Gorillas Workers Collective sei es dabei darum gegangen, den Streik zu unterwandern und die Beschäftigten von weiterer Arbeitsniederlegung abzuhalten. Das Unternehmen widerspricht dieser Darstellung. Es sei „üblich, dass das Management mitunter auch auf das Fahrrad steigt und Auslieferungen fährt.“ Eine Beschäftigte des Warenlagers Bergmannkiez dagegen sagte am Freitag: Auch sie habe den CCO (Chief Commercial Officer) und den COO (Chief Operating Officer) zunächst für Kuriere gehalten. „Ich glaube, es war ein PR-move“.
On #b0110, two mysterious #strikebreakers came during the day, saying they don't want to strike but to ride.
— Gorillas Workers Collective (@GorillasWorkers) October 3, 2021
With some help we've managed to identify these individuals and the results are pathetic:
Ronny Gottschlich (CCO @gorillasapp) and Adrian Frenzel (COO @gorillasapp). pic.twitter.com/JAR9jAmxZV
Die Forderungen der Streikenden sind seit dem Sommer kaum verändert: Gehälter sollen pünktlich ausgezahlt werden, sie wollen einen Stundenlohn von 12,50 Euro für alle Kuriere. Sie wollen Körbe an den Rädern, die die Last vom Rücken der Kuriere nehmen. Sie wollen eine Telefonnummer zum Rider Support, dem Team, das sich um die Belange der Kuriere kümmern soll. Momentan sei es nur per E-Mail zu erreichen.
Die aktuellen Streiks wurden – wie schon im Frühjahr – vor allem davon ausgelöst, dass ein Beschäftigter gefeuert wurde. „Ohne jede Warnung“, sagt Danny, der betroffene Kurier. Üblicherweise soll es vor einer Kündigung – nach Ablaufen der Probezeit – drei Warnungen bei Fehlverhalten geben. Danny sagt, er ist Mitte September sechs Monate bei Gorillas beschäftigt gewesen. Er war also über die Probezeit hinaus.
Seine Kündigung führt dazu, dass sich erstmals einige indische Beschäftigte in die Proteste einreihen. Bisher habe er sich zurückgehalten, sagt einer dieser Kuriere, die zum ersten Mal mitprotestieren, und der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er ist noch in der Probezeit. Zu abhängig sind die meisten von dem Einkommen aus der Teilzeitbeschäftigung als Lieferfahrer. Mit Streiks den Job riskieren, kam bisher nicht in Frage. Doch nun reicht es auch ihm. „Was macht ihr überhaupt?“ fragt er mitten in die Luft über seinem Kopf und spricht damit wohl in die Richtung seiner obersten Chefs. Im Warenlager gebe es kein Wasser in der Küche, die Toiletten seien dreckig, das Equipment schlecht. Das hat er von Wohlstands-Deutschland nicht erwartet.


