Berlin-Es ist ein Foto mit Symbolwirkung. Manche sehen darin bereits ein Selfie der Macht. Am Dienstagabend veröffentlichten FDP-Chef Christian Lindner, sein Generalsekretär Volker Wissing und die Grünen-Parteivorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock ein gemeinsames Porträtfoto auf ihren jeweiligen Instagram-Kanälen. Wohlgemerkt: zeitgleich. Im Text darunter heißt es: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten.“
Die Botschaft ist unzweifelhaft: Grüne und Liberale sind bereit, sie wollen regieren. Und sie entscheiden, wer ins Kanzleramt einzieht: Olaf Scholz oder Armin Laschet. Insofern ist es ein kluger Schachzug, zunächst eigene Projekte zu definieren – und erst dann an SPD und Union heranzutreten. Das stärkt die eigene Verhandlungsposition.
Ampel oder Jamaika: Die Bundesregierung ist wirtschaftlich gefordert
Entscheidend aber ist, auf welche Inhalte sich eine neue Bundesregierung als Ganzes verständigt – auch und gerade vor dem Hintergrund der wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Corona wird noch lange nachwirken, der demografische Wandel schlägt in den nächsten Jahren voll auf dem Arbeitsmarkt durch und bei der Digitalisierung hinkt das Land hinterher. Das sind nur einige Beispiele. Die Politik ist also gefordert.
„Wir können bei der nächsten Bundesregierung mit mehr Tempo rechnen“, sagt Henning Vöpel, Ökonom und Direktor des Centrum für Europäische Politik in Berlin. Der Volkswirt sieht in FDP und Grünen die Antreiber für Veränderungen. Große Projekte seien der klimagerechte Umbau der Wirtschaft, die Modernisierung des Staates und das Thema Digitalisierung. „Es geht dabei nicht nur um die Versorgung mit Breitband. Die gesamte Verwaltung, Schulen, Gesundheitsämter, Behörden müssen digital aufgestellt werden. Das ist schon fast eine Kulturrevolution“, sagte Vöpel der Berliner Zeitung.
Aufgabe der nicht mehr ganz so großen Volksparteien wäre es, in einem Dreier- bzw. Viererbündnis (mit der CSU) die Moderation zu übernehmen, so der Forscher. Die SPD stünde für eine eher soziale Ausrichtung, die Union für eine eher konservative Erzählung von Stabilität angesichts der Umbrüche. Die kleinen Parteien aber geben, so oder so, den Takt vor. Auch FDP-Chef Christian Lindner hat Liberale und Grüne bereits als „fortschrittliches Zentrum“ einer Koalition ausgemacht. Die Frage ist nur: Mit wem?
Die Grünen stehen der SPD nahe, die 12 Euro Mindestlohn will, mehr Umverteilung und höhere Steuern für Reiche. Die FDP lehnt das ab. Die Liberalen erhoffen sich mit der Union eine wirtschaftsfreundliche Politik. In dieser Konstellation müssten die Grünen über ihren Schatten springen. Ökonom Vöpel sieht eine leichte Tendenz zur Ampel, zumal die Gegensätze überbrückbar erscheinen. Die FDP könnte einen höheren Mindestlohn akzeptieren, die SPD Abstand nehmen von einer Vermögenssteuer und die Grünen ließen sich auch von marktwirtschaftlicher Klimapolitik überzeugen, sofern die CO2-Einsparziele damit erreicht werden. Und: Investitionen versprechen alle Parteien, die Schuldenbremse müsste dafür nicht mal abgeschafft werden – ein Punkt, der besonders für die Liberalen wichtig ist.
Allerdings ist die Ampel kein Selbstläufer. Die SPD ist mit einem dezidiert linken Programm in die Bundestagswahl gezogen. Dass Kanzlerkandidat Olaf Scholz landauf, landab ein stabiles Rentenniveau versprach und auch beim Renteneintrittsalter Änderungen ausschloss, sorgte bei Experten für Kopfschütteln. „Das Wahlprogramm der SPD passt nicht in die ökonomische Landschaft der 2020er-Jahre“, sagt Stefan Kooths, Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel.
Ampel oder Jamaika: Ökonom fordert Wachstumsimpulse
Die deutsche Volkswirtschaft blickt auf ein Wachstumsjahrzehnt zurück. Doch die Aussichten trüben sich ein, allein schon, weil dem Arbeitsmarkt immer weniger Personen zur Verfügung stehen. „Die neue Bundesregierung kann nicht mehr aus dem Vollen schöpfen“, sagte Kooths der Berliner Zeitung. Jamaika stünde in turbulenten Zeiten eher für Erwirtschaften, die Ampel für Verteilen. „Wir brauchen aber wachstumsfreundliche Impulse“, so der Ökonom.



