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Raymond Massaro: Der Schuhmacher, der Chanel reich machte

Die Slingpumps mit schwarzer Kappe gehören zum Modekanon der Moderne. Den genialen Handwerker dahinter feiert jetzt eine Ausstellung in Südfrankreich.

In bester Gesellschaft: Gina Lollobrigida, 1964 umringt von Models des Modehauses Chanel, allesamt in legendären Slingpumps.
In bester Gesellschaft: Gina Lollobrigida, 1964 umringt von Models des Modehauses Chanel, allesamt in legendären Slingpumps.Philippe Garnier / Elle-Scoop

Wer sich für ausgefallene Schuhe interessiert – und das liegt in der Natur vieler Fashionistas –, hat sicher schon von Manolo Blahnik, Christian Louboutin oder Roger Vivier gehört. Der Italiener Salvatore Ferragamo (er starb 1960) wurde als „Schuhmacher der Träume“ bereits zu Lebzeiten zur Legende. Sie alle haben sich seit Gründung ihrer Marken beruflich enorm vergrößert, wurden zu Weltmarken mit Boutiquen rund um den Erdball.

Fertigten sie zu Anfang nur für verwöhnte Prominente und Haute-Couture-Kundinnen, gelangten sie dank Globalisierung in die Schuhschränke Hunderttausender Frauen. Frauen, die bereit sind, für hervorragend ausbalancierte Schuhskulpturen ein kleines Vermögen auszugeben.

Ein Meister dieser Fußmode-Elite, der viel unbekannter ist, aber dessen Schuhe Millionen von Frauen heute für begehrenswert halten, ist Raymond Massaro. Dass man seinen Namen kaum kennt, liegt daran, dass dieser Handwerker und Tüftler aus Passion, der 2019 mit glücklichen 90 Jahren starb, lebenslang in der zweiten Reihe stand. Einer sehr illustren Reihe, wohlgemerkt – denn wer kennt nicht den Chanel-Slingback? In der Urform ein fersenfreier, beiger Pumps mit schwarzer Kappe, ist er seit seiner Erschaffung 1957 eines der „Code Items“ der Marke mit dem Doppel-C. Ein Gamechanger der Mode, und natürlich ein Bestseller.

„Mein Leben zu Ihren Füßen“: Bis zum 8. Oktober zeigt das Angladon-Museum eine große Massaro-Show.
„Mein Leben zu Ihren Füßen“: Bis zum 8. Oktober zeigt das Angladon-Museum eine große Massaro-Show.Alexandra-de-Laminne

Erdacht hat ihn Coco Chanel gemeinsam mit Raymond Massaro, der nur einen Steinwurf von ihrem Modehaus in der Rue Cambon entfernt, in der Rue de la Paix, eine 1894 von seinem Großvater gegründete Maßschuhwerkstatt unterhielt. Und so kam es dazu: Nach ihrem Comeback 1954 war Chanel entschlossen, den Allroundschuh für elegante Damen zu kreieren. Perfekt zu ihren Tailleurs und Little Black Dresses, mit moderater Absatzhöhe und durch die auf die schwarze Spitze zulaufende Strumpffarbe optisch das Bein verlängernd. Raymond Massaro ließ die Vision Wirklichkeit werden: Als einen Schuh, der aussah, als hätte man einen Löffelbiskuit in den Kaffee getunkt.

Als hätte man ein Löffelbiskuit in Kaffee getaucht

Der Couturier für die Füße, der immer wie ein gutgelaunter Koch wirkte, setzte nicht nur für Mademoiselle C bis zu deren Tod 1971 alle Schuhe des Hauses um. Zur Meisterschaft lief er auf, als Karl Lagerfeld ab 1983 Chanel zu ungeahnter Modernität (und Profitabilität) verhalf. Wobei Massaro selbst immer bei den Maßschuhen und den Prototypen für die Massenfertigung blieb. Chanels Konfektionsschuhe werden, damals wie heute, in den firmeneigenen Schuhfabriken nahe Venedig produziert.

Chanels Couture-Schuhe hingegen werden, wenn die Kundin sie passend zum Kostüm oder Kleid bestellt, auf Leisten, die exakt den Maßen ihrer Füße entsprechen, eigens bei Massaro gefertigt. Im Magazin der Manufaktur hängen, mit Namen versehen – Marlene Dietrich, Jeanne Moreau, Romy Schneider, Caroline von Monaco, Lady Gaga, Beyoncé – all die hölzernen Fußmodelle von der Decke. Immer bereit, wieder in den Einsatz zu kommen oder als Inspiration für kommende Kollektionen herzuhalten.

Massaros Entwurf für Chanel, der zweifarbige Slingback, wurde zu einer Accessoire-Ikone.
Massaros Entwurf für Chanel, der zweifarbige Slingback, wurde zu einer Accessoire-Ikone.CHANEL

In den 80ern, 90ern und Zweitausenderjahren schufen Karl Lagerfeld und Monsieur Massaro in kongenialer Zusammenarbeit lauter Modelle, die heute Kult sind und noch bis Anfang Oktober in einer Ausstellung in einem kleinen, feinen Museum im südfranzösischen Avignon zu sehen sind. Von eleganten, mit Glasjuwelen bestickten Abendpumps bis zum einer Mordwaffe gleichenden Barbie-Stiletto in Pink, den einst Claudia Schiffer vorführte, ist alles vertreten. Schuhmode-Historie, an einem Ort gebündelt.

Schuhe, so spitz und lang wie Pinocchios Nase

Karl Lagerfeld hatte die Ideen, die weit schwierigere Umsetzung vollbrachte dann Raymond Massaro. Aber die beiden Männer verband ein grandioser Humor, wie Lagerfelds Vorgaben und Massaros Antworten auf den ebenfalls in der Schau gezeigten Arbeitsblättern demonstrieren. Wenn KL schrieb, der Schuh solle so spitz und lang sein „wie Pinocchios Nase“, dann verstand Massaro sofort, wie sowas auszusehen hatte – auch wenn kein Mensch weiß, wie lang die Nase von Pinocchio ist. Es war das instinktive Einverständnis der beiden, das immer wieder revolutionäre Schuhentwürfe wahr werden ließ.

Übrigens: Auch Raymonds Vater, Lazare Massaro , arbeitete bereits für Kundinnen des Über-Couturiers Cristobal Balenciaga wie die Society-Beauty Mona von Bismarck. Mit 14, mitten im Zweiten Weltkrieg, trat Raymond in die Familienfirma ein und blieb über 70 Jahre deren Inhaber. Immer wieder schuf Massaro auch persönliches Schuhwerk für Karl Lagerfeld, der streckende „Cuban Heels“ (also abgeschrägte Absätze wie bei Westernboots) schätzte. Neben seinem Chanel-Engagement tüftelte er an Modellen für Madame Grès (Ballerinas mit Gummizug an der Ferse, die Brigitte Bardot trug), Azzedine Alaia, Christian Lacroix oder John Galliano. Heute gehört Massaro zur Paraffections-Zulieferergruppe von Chanel, die „19M“ (Hauptsitz ist im 19. Pariser Arondissement), auf die Raymond das Familienunternehmen 2002 übertragen hat.

Fassen wir zusammen: Immer dann, wenn es schwierig wurde im Fußbereich, riefen Pariser Stardesigner den stets gutgelaunten Schuhkünstler. Und Raymond Massaro war sich seiner Wichtigkeit durchaus bewusst: Denn: Es ist die Frau, die ein Kleid trägt. Aber es ist der Schuh, die Frau trägt! Man kam einfach nicht um ihn herum.

Zum Schluss noch ein Tipp: Zu erschwinglichen Preisen findet man Massaros Ausnahmeschuhe immer mal auf Vintage Plattformen wie Vestiaire Collective. Mit Glück in der passenden Größe. Die Jagd lohnt sich.


Raymond Massaro: Mein Leben zu Ihren Füßen. Bis 8. Oktober 2023 im Musée Angladon, 5 rue Laboreur, 84000 Avignon in Südfrankreich. Di-So 13 – 18 Uhr. Die Provence im Herbst ist ohnehin eine Reise wert! www.angladon.com