Das waren noch Zeiten! Als statt des blöden Neubaus mit dem Primark drin auf der Joachimsthaler Straße noch das graue Vorgängergebäude stand. Im oberen Bereich war ein Hostel beheimatet, in dem – ohne Witz – nicht jedes Mehrbettzimmer auch mit einem Fenster ausgestattet war.
Unten, in einer integrierten Durchgangspassage, duftete es ölig aus einer Dönerbude, daneben boten ein Pfandleihhaus und ein Chinashop ihren ulkigen Tand an. Und ganz hinten – ein Shop von Beate Uhse mit angeschlossenem Erotikmuseum: archaische Holzphalli, historische Sexheftchen und all sowas.
Der Laden passte hervorragend in diese Gegend. Damals, vor etwa 15 Jahren, als der Bahnhof Zoo noch immer Berlins Schmuddelecke war. Und auch heute existieren sie noch, die Beate-Uhse-Geschäfte, in denen es bonbonfarbene Dildos und Pornofilme mit Gangbangszenen gibt, in Aschaffenburg und Mainz zum Beispiel.

Mit dem Unternehmen aber, das mittlerweile hinter der Internetadresse beate-uhse.com steckt – und hier wird’s interessant – haben die analogen Sexshops seit einigen Jahren gar nichts mehr zu tun. 2019 wurde die damals insolvente Sexmarke durch die niederländische EQOM-Gruppe gekauft, der unter anderem auch der Erotikonlineshop Amorelie gehört. Seitdem stehen bei Beate Uhse die Zeichen auf Wandel – zumindest online.
Der stationäre Handel hat mit dem Onlineshop nichts mehr zu tun
„Wir glauben wirklich an den digitalen Handel, gerade im Bereich der Sextoys“, sagt Markenmanagerin Saskia ter Veld; schließlich entfalle bei der Dildo-Order vom heimischen Computer aus das ohnehin unsinnige Gefühl der Scham, das noch immer viele Menschen beim Betreten eines stationären Erotikgeschäfts verspürten.
Dass man sich allein um die Neuausrichtung des Onlineshops bemüht, liege zudem daran, dass es sich bei den alten Beate-Uhse-Läden um inhabergeführte Franchise-Filialen mit eigenen Rechten handelt, die sich nicht so einfach kontrollieren lassen. „Die noch vorhandenen Läden sind nicht Teil unseres Unternehmens und der neuen Ausrichtung von Beate Uhse”, so ter Veld. „Daher können wir auch nicht beeinflussen, was vor Ort angeboten wird und mit welchen Maßnahmen sie sich auf dem Markt positionieren.“

Denn beim Beate-Uhse-Angebot der Niederländer soll ja alles anders werden. Und gleichzeitig doch zurück zum Alten. Zurück zu den Ursprüngen des Unternehmens nämlich, das 1951 als „Versandhaus Beate Uhse“ in Flensburg gegründet wurde. Damals bot die Unternehmerin Uhse vor allem Bücher zu Themen der „Ehehygiene“ und der Verhütung, aber auch Kondome an – ein Skandal in den restriktiven Fünfzigern.
Vielen gilt Uhse als Schlüsselfigur der Emanzipation in Deutschland
„Sie wollte Frauen dabei unterstützen, ihre Sexualität genießen zu können, ohne sich Gedanken über lebenslange Konsequenzen machen zu müssen. Sie ermutigte ihre Kundinnen auch dazu, die Pille zu nehmen und sich auf diese Weise unabhängiger zu machen“, sagt Saskia ter Veld. Heute gilt Uhse vielen als Schlüsselfigur der weiblichen Emanzipation in Deutschland. Und genau hier wolle man jetzt ansetzen: Aus Beate Uhse soll eine feministisch geprägte Sexmarke werden.

Das zeigen schon die neuen Kampagnenfotos, die sichtlich gut gelaunte Frauen verschiedener Altersgruppen, Körperformen und Hautfarben abbilden. Sie tragen Jeans und Hosenanzüge, tanzen lachend durchs Bild, haben offensichtlich Spaß, ganz für sich allein. Und würden sie keine Vibratoren in ihren Händen halten – man könnte die Bilder für Werbefotos eines jugendlichen Denim-Labels halten.
Gut gestaltete Sextoys tragen zur Liberalisierung der Gesellschaft bei
Die zugehörigen Toys werden am Donnerstag (30. März) in Berlin erstmals einem deutschen Publikum präsentiert. Auch sie sprechen nun eine neue Sprache: Es sind eben keine hautfarbenen, adrigen Penis-Imitate, die hier angeboten werden. Stattdessen sehen die verschiedenen Vibratorenmodelle, die allesamt Frauennamen wie „Anna“, „Marie“ und natürlich „Beate“ tragen, wie moderne Designobjekte aus; sachliche Formen in mattem Schwarz, dazu rotgoldene Details.

Dass auch das Toy-Design zur Verbesserung des Sexlebens und somit zumindest im ganz, ganz Kleinen zur Liberalisierung der Gesellschaft beitragen kann, hatte schon Yaniv Barinberg vom alternativen Sexshop Other Nature in Kreuzberg vor einigen Monaten der Berliner Zeitung gesagt. Ansprechend gestaltete Toys würden neugierig machen und so dazu einladen, die eigene Sexualität näher zu erforschen, so seine These.
Erotikprodukte erleichtern die Kommunikation über die eigene Lust
Gerade Sextoys, die nicht peinlich, unansehnlich oder altbacken daherkämen, erleichterten auch die Kommunikation über die eigene Lust, stellte damals außerdem die Sexualwissenschaftlerin Elisabeth Neumann heraus.„Es ist eben einfacher, erstmal über bestimmte Produkte zu sprechen, als direkt über sich selbst und das eigene Masturbationsverhalten“, sagte sie der Berliner Zeitung.
Neumann arbeitet für die internationale Lovehoney Group, die unter anderem den „Womanizer“ herstellt – einen weltberühmten Auflegevibrator, der durch eine eigens entwickelte Luftschwingungen-Technologie als Orgasmus-Garant gilt.

Mit einer neuartigen Technik warten die nun erschienenen Vibratoren von Beate Uhse nicht auf. In einem ersten Schritt der Neuausrichtung ginge es vor allem um die Imagebildung und das mithin veränderte Design, so Saskia ter Veld. Passenderweise heißt die neue Produktlinie „Lieberté“, ein Kofferwort aus „Liebe“ und dem französischen Wort für Freiheit „liberté“.
Für die Kommerzialisierung der Marke war Uhse selbst verantwortlich
„Beate Uhse wäre sicher stolz, dass unter ihrem Namen nun wieder etwas in dieser Stimmung entsteht“, sagt Saskia ter Veld, wenngleich sie hervorhebt: „Man muss auch sagen, dass sie selbst es war, die ihre Marke in den Achtzigern stark kommerzialisiert hat.“
Zugunsten der Gewinnsteigerung habe sich Uhse, die 1999 mit ihrem Unternehmen auch an die Börse ging und somit die erste Erotik-Aktiengesellschaft überhaupt entwickelte, von ihren einstigen Grundsätzen ein Stück weit entfernt. „Wir freuen uns, dass wir nun auf die Anfänge und ursprüngliche Vision von Beate Uhse zurückgreifen und eine Produktlinie geschaffen haben, die auf das weibliche Vergnügen ausgerichtet ist.” so ter Veld.

Denn in den vergangenen 30, 40 Jahren wurden unter dem Namen der Unternehmerin, die 2001 verstarb, eben nicht nur Produkte verkauft, die das weibliche Vergnügen in den Fokus nehmen. Im Grunde gab es bei Beate Uhse dieselben Sexspielzeuge und Filme, die es auch in der restlichen, von Männerfantasien dominierten Branche gibt.
Und auch im Onlineshop beate-uhse.com sind solche Produkte anderer Hersteller weiterhin zu finden, wenn auch weniger offensiv beworben und versteckter einsortiert als die unternehmenseigenen, nun feministisch ausgerichteten Vibratoren. „Auch das entspricht ja dem Geist Beate Uhses“, meint Saskia ter Veld.




