Meine Großtante lebte seit Kriegsende direkt neben Windsor Castle – einem der drei Hauptsitze der Queen, neben dem Buckingham Palast in London und Holyroodhouse in Edinburgh. Nicht nur ihr Amt und ihr Status machten Elisabeth II. einmalig, sondern auch ihr Äußeres, vor allem aber ihre Garderobe. Das durfte ich schon in frühester Kindheit erleben, an der Hand meiner Großmutter die große Allee des Windsor Great Parks entlang spazierend. Jene Allee, die direkt auf den großen Turm des riesigen Schlosses Windsor Castle zuführt. Wenn die Queen nicht anwesend war, flatterte dort der Union Jack. Sobald sie, meist am Wochenende, auf dem Schloss weilte, war die königliche Standarte gehisst.
Manchmal fuhr die Queen im gedrosselten Tempo zum Schloss an uns vorbei. In ihrem signifikanten Wochenend-Look, bestehend aus Cardigan, einfacher Hemdbluse, Tweed-Rock und dem seidenen Kopftuch unter dem Kinn geknotet, saß sie selbst am Steuer ihres Landrovers. In diesen Momenten war sie plötzlich ganz nah und sah aus wie eine jener Britinnen auf dem Heimweg, die ihr Wochenende auf dem Land verbracht hatten.
Dass die Queen immer on point und dem Anlass gerecht gekleidet war, wird niemand abstreiten. Dass sie mehrmals während ihrer siebzigjährigen Regentschaft ihren Stil änderte, bemerkte man nur an Details. Unterschwellig beeinflusste sie damit nicht nur die Mode, sondern sie erfand auch das, was sich später international etablierte: die Sprache der Kleidung als diplomatisches Mittel, die sogenannte „Sartorial Diplomacy“ (frei übersetzt: „Modediplomatie“). Katherine, die Herzogin von Cambridge, Michelle Obama und viele andere Frauen der Politik folgten später ihrem Beispiel.
Die Queen trug lebenslang nur englische Kleidung, bei Hermès machte sie eine Ausnahme
Einer Verordnung nach, die auf Queen Victoria zurückgeht, durfte auch Queen Elisabeth II. nur englische Modemarken tragen. Als königliches Vorbild voranschreitend, sollte so die heimische Textilindustrie gestärkt werden. Dennoch erlaubte sich die Queen bei einer Marke eine Ausnahme - ausgelöst 1948 durch einen Besuch in Paris, bei dem sie erstmals nur mit ihrer Schwester Margaret-Rose, ohne Eltern, reiste. Damals schenkte Charles de Gaulle den Geschwistern je ein Hermès Tuch. Die Reise sollte bis zum Lebensende von Elisabeth II. einer der wenigen Momente der Freiheit bleiben. Vielleicht war das der Grund, warum die Queen seitdem ausschließlich die Carrés der berühmten Pariser Marke trug. Später wurden für sie sogar eigene Motive entworfen.
In jüngeren Jahren trug die Queen Englands den damals berühmtesten Designer Edwin Hardy Amies oder Modelle von Bellville Sassoon, doch seit 1988 bis zu seinem Tod 2019 schneiderte ein Deutscher ihre gesamte Garderobe. Karl-Ludwig Rehse, geboren in Essen und nach London ausgewandert, betrieb das Modehaus John Anderson.

Ab Anfang der 70er-Jahre rückte ihre Handtasche in den Vordergrund ihrer Looks. Bei ihren öffentlichen Auftritten wurde stets über die Modelle spekuliert, die später zu Kultobjekten wurden. Selten sah man sie ohne. Beim sprichwörtlichen britischen Regen trug sie transparente Vinylschirme mit farblich auf ihren Look abgestimmtem Rand, damit ihr Volk sie sehen konnte.
Farben und Schmuck als stille Botschafter
Der Stil der Queen lässt sich generell als sportlich-elegant beschreiben. Er war geprägt von der Mode ihrer Jugend in den 30er-Jahren und von der Kriegszeit. Sie trug Wollstoffe, Tweeds, Bahnenröcke und Cardigans, die meist von Jaeger London waren. Nur in den Details reagierte sie während ihrer Regentschaft auf die jeweils herrschende Mode. So trug sie den New Look mit fließender Taille, schlichten Etuikleidern oder Kostümen. Übertreibung lag ihr nicht. Damals trug sie noch die Farbcodes der Zeit, erst später entwickelte sie ihr ganz eigenes System – als sich ihr Stil zu einer Art königlichem Signatur-Look verwandelte. So trug sie bei Staatsbesuchen die Farben des Gastlandes, wie Grün in Irland oder Rot in Kanada. Mit Farben brachte sie aber auch ihre Gefühle zum Ausdruck. Ein grünes Kleid konnte dann für die Hoffnung stehen, wie in ihrer Pandemie-Rede, mit Violett brachte sie ihre Trauer zum Ausdruck, als Prinz Philip starb. Danach sah man sie oft mit zwei Broschen, womit sie ihre Verbundenheit zum geliebten Gatten bis in den Tod hinein ausdrückte. Ihr wertvoller Schmuck diente auch bei Staatsbesuchen dazu, Anlass oder Stimmung zu signalisieren.



