„Gardens of Now“

Schöner, wilder Garten: Warum wir uns nach ursprünglicher Natur sehnen

Der Gartenkolumnist, Landschaftsarchitekt und Fotograf Rainer Elstermann lädt in seinem neuen Buch zum Schwelgen und Nachdenken ein.

Refugium in der Uckermark: Blick in den Inselgarten von Rainer Elstermann.
Refugium in der Uckermark: Blick in den Inselgarten von Rainer Elstermann.Rainer Elstermann

Den Namen Rainer Elstermann kennen viele unserer Leser – zwei Jahre lang schrieb der Gartenexperte Kolumnen für die Wochenendausgabe der Berliner Zeitung. Elstermann, geboren 1965 in Berlin, pendelt als Landschaftsarchitekt und Fotograf zwischen seiner Heimatstadt und der Uckermark. In den von ihm geschaffenen Gärten beschäftigt er sich nicht nur mit Beeten und Blumen, sondern auch mit philosophischen Betrachtungen zur Natur. Er entwirft Landschaften, die den Menschen in ihrem Wunsch nach Entschleunigung ein Stück Ursprünglichkeit zurückgeben sollen.

Einige dieser Landschaften sind nun in seinem neuen Buch „Gardens of Now“ zu sehen. Dabei handelt es sich weder um einen Ratgeber noch um eine Werkschau, für die sei es viel zu früh, sagt Elstermann über seinen Erstling. Die „Gärten der Gegenwart“, die im Buch gezeigt werden, sind seine Projekte – angelegt für andere, aber auch für sich selbst.

Ein ganzes Kapitel ist Elstermanns eigenem Paradies gewidmet, dem sogenannten Inselgarten am Rand eines uckermärkischen Dorfes. In der Sehnsuchtslandschaft für gestresste Hauptstädter sind der Gärtner und sein Mann Andreas seit mehr als zehn Jahren zu Hause. Aber auch anderswo rund um Berlin dürfen wir über Zäune und hinter Hecken blicken: am Wandlitz- und am Lubowsee, in der Villa Auguste, im Hof Flieth.

Ein Paradies, 30 Autominuten von Berlin entfernt: das Haus am Wandlitzsee. Den Garten hat Rainer Elstermann geplant und sich dabei auch von den umstehenden hohen Kiefern nicht einschüchtern lassen.
Ein Paradies, 30 Autominuten von Berlin entfernt: das Haus am Wandlitzsee. Den Garten hat Rainer Elstermann geplant und sich dabei auch von den umstehenden hohen Kiefern nicht einschüchtern lassen.Rainer Elstermann

Den Gartenaufnahmen – üppig blühende Königskerzen, sich verfärbende Pflanzen im Oktobernebel, überbordende Stauden und Gräser, zum See hinführende Zauberwaldwege – stellt Elstermann Texte zur jeweiligen Gartengestaltung, aber auch kulturwissenschaftlich-philosophische Essays zur Seite.

Einige Seiten sind zudem drei zeitgenössischen Künstlerinnen und ihren von Natur und Gärten geprägten Arbeiten vorbehalten. Der 1983 in Ankara geborenen Işık Güner zum Beispiel, deren Zeichnungen der langjährigen Tradition der botanischen Kunst folgen. Als Kind eines Botanikers, das inmitten wilder Natur aufwuchs, lag dieser Lebensweg wohl irgendwie nahe. Güner entwickelt für jedes ihrer Gemälde eine neue Technik, eine neue Pigmentmischung, die der Farbe einer Pflanze entspricht. Die komplizierten Details der Natur zu Kunst zu formen, diese Arbeit werde ihr nie langweilig, betont die Malerin.

Langweilig wird es auch Elstermann nie, wenn er gärtnert. „In diesen Stunden bin ich so bei mir und so glücklich wie nirgendwo sonst. Ich denke nicht, sondern ich bin“, schreibt er in seinem Buch. Die Auseinandersetzung mit Gärten, besonders dem eigenen, sei immer auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst.

Wenn er Gärten für seine Kunden plane, versuche er Bedingungen zu schaffen, unter denen sich Pflanzen möglichst frei entfalten. Das größte Kompliment für ihn sei, „wenn es dann so aussieht, als ob es schon immer so war. Dass man sich gar nicht vorstellen kann, es hätte einmal anders ausgesehen. Dass die Grenzen zwischen Garten und Nicht-Garten verschwinden, dass man nicht weiß: Ist das eine angelegte Landschaft?“

Das Rohe und Wilde kehrt in Gärten und Parks zurück

Und da sind wir auch schon bei der „wilden“ Natur, die im Laufe der Menschheitsgeschichte höchst unterschiedlich wahrgenommen wurde – einerseits als allgegenwärtig, üppig, nährend, andererseits als unberechenbar und bedrohlich. Im Laufe der Zeit änderte sich mit dem jeweiligen Empfinden auch der Umgang mit der Natur. Mal schuf man ummauerte, isolierte Räume, dann wieder wuchs die Sehnsucht nach ein wenig Kontemplation in wildromantischen Parkanlagen.

Kleine Gärten im Zimmer: Im Sommer schneidet Elstermann die Blumen aus seinem Garten und stellt sie drinnen im Haus in eine Vase.
Kleine Gärten im Zimmer: Im Sommer schneidet Elstermann die Blumen aus seinem Garten und stellt sie drinnen im Haus in eine Vase.Rainer Elstermann

Derzeit sei als Reaktion „auf den schmerzlichen Verlust einer vom Menschen unberührten Natur“ wieder Ursprüngliches gefragt – das Rohe und Wilde kehrt in Gärten und Parks zurück, beobachtet der Autor. Die Sehnsucht nach wilden Wiesen, nach weniger Ordnung, die verspüren auch die Bauherren, die Elstermann beauftragen.

Aber wie geht das: In von Menschen geschaffenen Gärten Natur zuzulassen. Wer zu viel wuchern und alles sich selbst überlässt, hat am Ende wilde Natur, aber einen kaum noch nutzbaren Garten. Was also muss weg, was kann bleiben? Wie viele Blüten braucht ein Blumenbeet? Und wie viel Arbeit macht das Ursprüngliche?

Es kann blühen – von Januar bis Dezember

Diese Frage stellt sich der Leser beim Betrachten der wildromantischen Natur. Erst recht, wenn er selbst gärtnert. Elstermann antwortet darauf diplomatisch. Natürlich überlasse er bei der Neugestaltung eines Gartens kaum etwas sich selbst. Man könne aber zum Beispiel in Wiesen Plätze und Wege hineinmähen und sie ansonsten einfach wachsen lassen. In seinem Garten sei es ihm wichtig, dass das ganze Jahr über etwas blüht, dass der Garten von Insekten und anderen Tieren belebt wird. Im Dezember gehen die Rosen oft noch mal in die Nachblüte, und wenn nicht gerade eine dichte Schneedecke liegt, findet sich immer irgendein kleines Wildkraut, das noch blüht.

<strong>Rainer Elstermann, „Gardens of Now“, Distanz-Verlag, 176 Seiten, 38 Euro</strong>
Rainer Elstermann, „Gardens of Now“, Distanz-Verlag, 176 Seiten, 38 EuroDistanz

Nun verfügt nicht jeder über ein Grundstück in der Uckermark oder einen eigenen Schrebergarten. Schwelgen und Sehnsüchte entwickeln kann man aber dennoch – zum Beispiel beim Blick auf die Bilder in Elstermanns Buch. Gärten werden in Zukunft, so ist der Experte überzeugt, eine wichtige Aufgabe haben: „als nährende, heilende und therapeutische Sphäre“. Und manchmal ist ein Buch da ein guter Anfang.