„Seid ihr nur Intellektuelle da drüben?“, ruft der Mann in Richtung der Dreiergruppe mit dem Autor, die vor dem Glashaus steht und ratscht. Der Gärtner sucht kräftige Arme, die ihm helfen, ein Gerüst zu schleppen. Der Umgangston im Wangeliner Garten ist herzlich und humorvoll, man kennt sich. Das Gartenprojekt und Ökohausprojekt in der Weite Mecklenburg-Vorpommerns ist mittlerweile überregional bekannt und zieht in der warmen Jahreszeit Gäste von weither an. Wer mehr erfahren will über Wildkräuter, Baumschnitt, Weidenbau, Terra preta (schwarze Wundererde) oder Naturfarben, der ist hier genau richtig.
„Vor 30 Jahren war an der Stelle, wo es jetzt grünt und blüht, rein gar nichts, nur ein Maisfeld“, erzählt Klaus Hirrich, einer der Mitbegründer des Gartens. Hirrich zog schon vor dem Mauerfall aus Sachsen nach Wangelin. Nach dem Mauerfall dann waren viele in der Region, wie allgemein bekannt, auf einmal arbeitslos. Und es begann die Epoche der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. „Eine davon war eben der Wangeliner Garten“, erinnert sich der alte Mann mit dem leicht struppigen Bart. Mithilfe dieser Maßnahme wurde aber nicht nur der Garten angelegt, sondern auch Landschaftsprojekte wie die zahlreichen Birkenalleen, die heute die Landstraßen um Wangelin verschönern. Das war die Zeit, in der vieles möglich war und fast Anarchie herrschte, kommt es leicht sehnsuchtsvoll von Hirrich.

In Tourismusprospekten wird der Wangeliner Garten als der größte Kräutergarten Mecklenburg-Vorpommerns beschrieben. Doch er ist mehr als das. Neben Kräutern gibt es Duftpflanzen, Färbepflanzen und Zauberpflanzen. Und ein Gartencafé, in dem Dinge aus dem Garten auf dem Teller landen, zum Beispiel als Wildkräutersalat. Im Gartencafé gibt es außerdem Bücher, in denen der Wangeliner Garten vorkommt. Wie „Die Wiederbegrünung der Welt“, „Orte der friedlichen Revolution in Mecklenburg-Vorpommern“ oder „Atlas des Aufbruchs“.
Und einige Produkte von Kunsthandwerkern der Region, zum Beispiel der Töpferei Diemitz. Natürlich ist auch das Gartencafé architektonisch anspruchsvoll, das merkt der Besucher schon, wenn er zur Decke schaut und ein geometrisch geformtes Oberlicht erblickt. Den Raum dominiert ein riesiger Lehmofen, der im Winter eine wohlige Wärme abgibt.
Ferienhäuser für das ganze Jahr
Viele Besucher kommen, um sich über Lehmbau zu informieren. Im Nachbarort von Wangelin hat die Europäische Bildungsstätte für Lehmbau ihren Sitz, die Seminare wie „Lehmbau-Praxis“, „Dekorative Techniken“ oder „Handwerklicher Kalk-Terrazzo“ anbietet.
In Zusammenarbeit mit der Bildungsstätte entstanden neben dem Wangeliner Garten verschiedene kleine Lehmhäuser, die man als Ferienhäuser mieten kann. Wenn man die Tür öffnet, ist es durch die Heizung schön warm im Inneren. Die Luft fühlt sich aber nicht so trocken an, wie man es aus Betonhäusern oder Steinhäusern kennt, sondern leicht feucht und erdig riechend. Die Ferienhäuser stehen das ganze Jahr über zur Vermietung, auch im Winter, wenn der Garten öd und kahl aussieht.
Da wären einmal die „Tonnen“, die ein geschwungenes Dach haben und halb in die Erde eingelassen sind. Sie entwarf Professor Gernot Minke 2015, und sie bilden den ersten in Deutschland genehmigten Tonnengewölbebau aus Strohballen. Der Dämmstandard ist hier dermaßen hoch, dass selbst im kältesten Winter nur wenig Heizenergie benötigt wird. Selbst der Fußboden ist öko pur: es ist ein sogenannter Stampflehmfußboden, der mit Leinöl behandelt wurde. Natürlich stehen in solch einer Behausung keine Ikea-Möbel, sondern handgefertigte Betten, die in ihrem früheren Leben einmal Webstühle waren. Im Badezimmer kleben keine Kacheln an der Wand, sondern Tadelakt. „Das bezeichnet einen Kalkglanzputz, wie man ihn traditionell in Marokko findet“, weiß Hirrich. Nebenan steht das „Gärtnerinnenhaus“, ein sehr modern wirkendes Strohballenhaus mit einem Zimmer, das für bis zu vier Personen Platz bietet und ab 17 Euro pro Person und Nacht kostet. Ähnlich preisgünstig sind die Wohnwagen, die als Tiny Houses nun schon an vielen Orten in Mecklenburg-Vorpommern zu finden sind.
Spartanisch nächtigt man auch im „Lehmkloster“, ein Haus, das mit schmalen Betten bestückt ist und früher das Haus des Stellmachers aus dem Dorf war. Ein Stellmacher war in früheren Zeiten ein Handwerker, der Wagen aus Holz baute. Dann ist da noch das „Steenshaus“, das die Amerikaner Bill und Athena Steen entwarfen. Auch in Nordamerika ist die Lehmbauweise en vogue. In Amerika werden Strohballen für Lehmhäuser zwischen Ringbalken wie Mauersteine verlegt und die Wände dann mit einem sehr faserhaltigen Lehm verputzt, eine Technik, die in Deutschland nicht genehmigt ist. „Deshalb mussten wir nachträglich Holzständer in die Wand einbauen“, klärt Hirrich auf. Auf die Frage, wie es kommt, dass Lehmhäuser bei Regenwetter nicht aufweichen, antwortet Hirrich, dass es wichtig sei, dass das Dach dicht ist und dass das Haus „trockene Füße“ hat.
Nicht nur chillen
Für alle, die keine Küche in ihrem Häuschen haben, gibt es eine „Sommerküche“ open air, die mit Wänden aus gestampfter Erde eingerahmt ist. Natürlich ist auch das Waschhaus öko, das Wasser wird mit Sonnenkollektoren erwärmt und in Duschen geleitet, die aus Abschnitten aufgeschnittener Entwässerungsrohre gebaut sind.
Der Garten, der ab Mai in voller Blüte steht, kostet für Erwachsene 5,50 Euro Eintritt. Er ist gegliedert in verschiedene Bereiche. Einer umfasst die „Zauberpflanzen“. Was Zauberpflanzen sind? Zum Beispiel das Gänseblümchen, bei dem Mädchen früher die Blütenblätter gezupft haben und bei jedem Blatt „Er liebt mich“ oder „Er liebt mich nicht“ sagten. Da wäre auch noch die Gemeine Wegwarte, der man starke Liebeskräfte nachsagt. Mithilfe eines Hirschgeweihs soll man ihre Wurzel ausgraben und damit den Auserwählten berühren, um so eine unsterbliche Liebe hervorzurufen. Selbst wenn das nicht klappt – eine schöne Story ist es auf jeden Fall. Für die verschiedenen Pflanzenfelder wurde eine Audiotour entworfen, die man mit jedem Smartphone kostenlos ablaufen kann.
Wer in Wangelin nicht nur chillen will, sondern auch etwas lernen, sollte sich den Veranstaltungskalender ansehen. Da gibt es Seminare zur Obstbaumveredelung, denn: einfach einen Apfelkern in die Erde stecken und warten, bis der Apfelbaum steht – so einfach ist es leider nicht. Vor Ostern gibt es einen Workshop zum Ostereierfärben mit Pflanzenfarben, die geben zärtere Töne ab als handelsübliche Eierfarben. Naturheilkundliches Wissen vermittelt ein Seminar über Hildegard von Bingen, die große Universallehrerin des Mittelalters. Von Hildegard von Bingen stammen zahllose Rezepte, wie man mit Kräutern diverse Leiden mildert. Sie zog auch beim Backen Dinkel dem Weizen vor, da er besser bekömmlich sei.
Lehm als tolles Baumaterial
An einigen Tagen finden im Sommer auch Konzerte statt, dafür wurde eine Naturbühne aus Rohr gebaut. Für Kinder gibt es einen „Maulwurfshügel“, eine Erhebung, auf der sich ein Spielplatz befindet. Durch eine Tür kann man aber auch ins Innere vordringen, dort ist es ziemlich dunkel und es wartet eine krabbelnde Überraschung, die hier nicht verraten werden soll.
Auch Künstler wurden in Wangelin schon aktiv. Um den Garten herum führt ein Rundweg, an dem Studenten der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle und der Hochschule für Bildende Künste Dresden Land-Art-Skulpturen schufen, die aus Holz, Lehm, Stein oder Metall bestehen.

Wer etwas länger Zeit hat, kann das Modemuseum im nahe gelegenen Schloss Meyenburg besuchen. Dort ist die Sammlung der Josefine Edle von Krepl ausgestellt; der Name ist natürlich kein Hinweis zur Qualität der Ausstellungsstücke. Fokus liegt auf der Damenmode von 1900 bis 1970. Im Nachbarort Gnevsdorf gibt es ein Lehmmuseum, das einzige seiner Art in Europa. Lehm wird hier in vielen Facetten vermittelt: als Baustoff, als Klimamaterial, als Heilmittel und als haptisch reizvoller Stoff. Im reetgedeckten Haus des Museums kann man sich in ein Schwalbennest begeben und die Lehmbaumeister des Tierreichs kennenlernen. Wie der Dachverband Lehm e. V. bestätigt, gewinnt das Bauen mit Lehm in Deutschland immer mehr an Bedeutung, weil es zum einen Ressourcen spart und umweltschonend ist. Zum anderen ist Lehm als Baumaterial gesundheitlich unbedenklich.
Anfahrt: Mit dem Auto aus Berlin dauert die Anreise rund 2 Stunden. Dem Ziel angepasst, ist aber eine Anreise mit Bahn und Rad vorzuziehen, der nächste Bahnhof ist Meyenburg. Die Fahrt mit Umstieg in Pritzwalk und Neustadt dauert 2,5 Stunden. Von Meyenburg bis Wangelin sind es dann noch 14 Kilometer mit dem Rad.


