Berlin Fashion Week

Am Montag startet die Berlin Fashion Week - und das ist das beste Label

Zum zweiten Mal richtet SF1OG nächste Woche eine Show in Berlin aus. Wie sich das junge Label vorbereitet – und was es zur spannendsten Marke der Stadt macht.

Hier werden Lederreste bearbeitet, das Prinzip des Recyclings wird in der Mode immer relevanter.
Hier werden Lederreste bearbeitet, das Prinzip des Recyclings wird in der Mode immer relevanter.Jonas Berndt

Ein bisschen sehen sie wie archäologische Funde aus, die kleinen Dinge, die Rosa Dahl behutsam aneinanderreiht. Wie antike Kostbarkeiten liegen sie auf ihrem Arbeitstisch; prähistorische Artefakte, archaische Werkzeuge vielleicht, Schmuckstücke und Spielzeuge. Und tatsächlich wurzeln die Objekte in der Vergangenheit – nicht in den zeitlichen Ursprüngen der Menschheitsgeschichte allerdings, sondern in der Kindheit der Designerin.

„Mein Vater hat viel gearbeitet, aber jeden Freitag hat er sich eine Stunde Zeit genommen, um in seiner Werkstatt mit mir zu basteln“, erzählt Dahl bei einem Besuch in ihrem Atelier in Mitte; die kleine Sammlung an metallenen und hölzernen Gegenständen, die nun vor ihr liegt, zeugt heute noch davon. Es sind die Dinge, die sie damals mit ihrem Vater, einem Künstler, angefertigt hat – wünschelrutenartige Holzstücke, silbrige Figürchen, ein Geflecht aus Wolle und Schraubenmuttern.

Viele Jahre hat Dahl die Objekte in einer kleinen Kiste aufbewahrt, einer Art Schatztruhe für Erinnerungen. Nun hat sie das Konvolut wieder hervorgekramt, um daraus Mode werden zu lassen: Mit ihrem Label SF1OG – eine Abkürzung für Seitenflügel 1. Obergeschoss – wird sie auf der kommenden Berliner Modewoche Adaptionen der infantilen Bastelarbeit präsentieren. „Für eine neue Kollektion brauche ich immer einen emotionalen Anreiz, etwas, das mich berührt“, erklärt Dahl. „Sonst habe ich das Gefühl, die Kleider kommen gar nicht wirklich von mir.“

Designerin Rosa Dahl wirkt eineinhalb Wochen vor der Show gelassen.
Designerin Rosa Dahl wirkt eineinhalb Wochen vor der Show gelassen.Jonas Berndt

Immer wieder sind es persönliche Geschichten, die sie zu neuen Entwürfen inspirieren; Geschichten der Familie, Geschichten über sie selbst. Der Wollzopf mit den eingearbeiteten Schraubenmuttern zum Beispiel taucht nun in ihrer neuen Linie wieder auf: Aus der robusten, naturfarbenen Faser von damals ist eine feine schwarze Merinowolle geworden, unzählige Metallmuttern hängen daran – ein Accessoire, das um Arm oder Hüfte geschlungen werden kann, Schmuckstück oder Gürtel.

Auch andere Details sind den Stunden in der väterlichen Werkstatt entlehnt, hölzerne Elemente in organischen Formen zum Beispiel. Rosa Dahl hat sie gemeinsam mit ihrer Familie, die unweit von Hamburg in Niedersachsen lebt, neu angefertigt – sie zeichnete die Silhouetten auf, der Vater sägte aus, der jüngere Bruder griff zum Schleifpapier. „Im Grunde“, sagt Dahl und blickt auf die Erinnerungsstücke, „erzählt genau dieser Prozess noch viel deutlicher davon, was ich von meinem Vater gelernt habe, als diese Teile an sich.“

Rosa Dahls Bastelarbeiten aus Kindertagen sehen fast wie archäologische Funde aus.
Rosa Dahls Bastelarbeiten aus Kindertagen sehen fast wie archäologische Funde aus.Jonas Berndt

Sammeln und sortieren. Schauen, was man da hat. Überlegen, was daraus Neues werden kann. Wie der Künstler-Vater, der in seiner Werkstatt von Holzresten über Metallstücke bis zu Elektroteilen und Kabeln alles Mögliche zusammengetragen und weiterverarbeitet hat, arbeitet nun auch seine Tochter. Es ist ein nachhaltiges Konzept, das hinter ihrem Label SF1OG steht, das Prinzip des Recyclings, das auch in der Mode immer relevanter wird. „Ich will ungenutzten Materialien ein neues Leben schenken, ihnen durch die Handarbeit neuen Wert verleihen“, so Dahl.

Praktikantin Charlotte Lockton näht die nicht unwichtigen Labels ein.
Praktikantin Charlotte Lockton näht die nicht unwichtigen Labels ein.Jonas Berndt

Seit sie ihre Marke 2019, noch während des Studiums an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, gründete, arbeitet die Designerin auf diese Weise. Man kann das sehen, im kleinen Souterrain-Studio in der Eichendorffstraße: Während Rosa Dahl von ihrer Mode spricht, schneidet hinten in der Ecke gerade ein Praktikant Schnittteile aus Lederresten aus; in Dahls Onlineshop finden sich auch Hemden, für die handgewebtes Leinen aus dem Jahr 1910 zum Einsatz kommt. Sie, die Hemden, sind Teil von Dahls „Multiplied Line“, ihrer Konfektionslinie, die in kleinen Stückzahlen in einer polnischen Näherei hergestellt wird. Unter der „101 Line“ bietet SF1OG außerdem kunstvolle Unikate an.

Rosa Dahl mit Stylist Leon Romeike, Marketingchef Jacob Langemeyer, Praktikantin Charlotte Lockton (v.l.n.r.)
Rosa Dahl mit Stylist Leon Romeike, Marketingchef Jacob Langemeyer, Praktikantin Charlotte Lockton (v.l.n.r.)Jonas Berndt

Atmosphärisch reiht sich Dahls Mode in eine neue Garde an Marken aus Deutschland ein. Labels wie GmbH und Ottolinger, No/Faith Studios oder Moritz Iden, die stilistisch an die belgische Avantgarde der Neunziger und die Japaner der Achtziger anknüpfen: Den Dekonstruktivismus Margielas oder Demeulemeesters verbinden sie mit einem hypermodernen, sportiven Charakter; Kawakubos düsterem Intellekt setzten sie Momente der Subkultur und Streetwear entgegen.

In Berlin kommt das überaus gut an: SF1OG gilt gegenwärtig als eine der spannendsten Marken der Stadt. Das hat nicht zuletzt die erste Modenschau des Labels auf der Berliner Fashion Week der vergangenen Saison gezeigt. „Die Show damals haben wir super spontan gemacht, im Grunde haben wir sie mit ganz wenigen Leuten in ein paar Tagen auf die Beine gestellt“, sagt Dahl. Zu spüren war davon: nichts. Tatsächlich bewegte sich das Label mit seiner Inszenierung und der Kollektion, die inhaltlich die Fluchtgeschichte von Dahls polnischer Großmutter nacherzählte, schon damals auf internationalem Niveau.

Am Tag des Modenschauen-Castings wird Maß genommen.
Am Tag des Modenschauen-Castings wird Maß genommen.Jonas Berndt

Möglich machte das auch die Initiative „Studio2Retail“ des Fashion Council Germany, des Deutschen Moderats, der Lobbyarbeit für die Branche betreibt. Im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe verteilt der Verein Preisgelder in Höhe von je 10.000 Euro an vielversprechende junge Modedesignerinnen und Modedesigner, die damit eine Show auf der Berliner Modewoche ausrichten können. In diesem Jahr gehören unter anderem das Frankfurter Label Susumu Ai und das neu gegründete Label The Twins der Berliner Michael Sontag und Tutia Schaad zu den Gewinnern – auch SF1OG erhält noch einmal Gelder aus dem Fördertopf.

Beim Ausmessen und Ausschneiden nimmt es Praktikant Valentin Prinz ganz genau.
Beim Ausmessen und Ausschneiden nimmt es Praktikant Valentin Prinz ganz genau.Jonas Berndt

„Ich will doch zeigen, woran ich ein halbes Jahr gearbeitet habe, was meine Ideen sind, was mir durch den Kopf gegangen ist“, sagt Rosa Dahl, die nur eineinhalb Wochen vor ihrer zweiten Show ungewöhnlich gelassen wirkt. Womöglich liegt das auch daran, dass der Designerin ein großer Coup bereits gelungen ist: Als Location für ihre Modenschau am kommenden Mittwoch konnte sie die Feuerle Collection gewinnen. Das Privatmuseum im ehemaligen BASA-Bunker am Halleschen Ufer passe perfekt zu ihrer neuen Kollektion, meint Dahl.

Sofortbilder sorgen für den Überblick beim Casting.
Sofortbilder sorgen für den Überblick beim Casting.Imago

„Wer die Feuerle Collection betritt, taucht erstmal in tiefe Düsternis ein. Erst im folgenden Ausstellungsraum wird die Dunkelheit von Lichtkegeln durchbrochen“, beschreibt sie. Während ihrer Show, die von der Cellistin Esther Thoben begleitet wird, bedeutet das: Gleißendes Licht, das auf Dahls Kleider fällt; Texturen und Details, die vom Publikum mit geschärften Sinnen wahrgenommen werden können. „Das passt perfekt, weil ich meine Kollektionen immer von der handwerklichen Seite her angehe“ – die Schneiderei, die Rosa Dahl übrigens schon früh von ihrer Familie gelernt hat, natürlich, das Nähen brachte ihr die Mutter bei.

Wie sehr das gefruchtet hat, davon werden sich am kommenden Mittwoch nicht nur Modejournalistinnen und Fotografen, überhaupt die gesamte deutsche Szene überzeugen. Im Publikum wird auch Rosa Dahls Familie sitzen.