Eine Aktion am Rande des WM-Fußballspiels der Deutschen gegen Spanien am Sonntag hat das Al-Bait-Stadion von Doha in eine politische Bühne verwandelt – obwohl der internationale Fußballverband Fifa politische Proklamationen verboten hat und unter anderem dem deutschen Kapitän Manuel Neuer das Tragen einer Regenbogenbinde untersagte. Doch am Sonntag tauchten plötzlich Zeichnungen und Fotos des deutsch-türkischen früheren Nationalspielers Mesut Özil auf. Diese wurden von Zuschauern hochgehalten, andere Zuschauer hielten sich die Hand vor den Mund – so, wie dies die deutschen Spieler vor ihrem ersten Spiel auf einem Foto gemacht hatten. Die Spieler protestierten mit der Geste gegen das Regenbogenbinden-Verbot. Die Aktion sei gegen die „westliche Doppelmoral“ gerichtet, so die katarische Sendergruppe Al-Kass laut Deutscher Presse-Agentur (dpa). Die regierungsnahe türkische Zeitung Sabah schrieb, die Aktion sei ein Hinweis auf das „Sprichwort“, man solle zuerst den Balken im eigenen Auge entfernen, bevor man einen Splitter „aus dem Auge deines Bruders“ entferne. Die Aktion sei eindeutig „koordiniert“ gewesen, schreibt die Sabah. Auch die deutschen Medien gehen von einem bewussten Affront aus. „Die Bilder in verschiedenen Größen waren Teil einer konzertierten Aktion – das legen allein Anzahl und Qualität nahe“, schreibt die dpa. Die Bild-Zeitung berichtet von anonymen Stadionbesuchern als aufführenden Organen einer „Inszenierung“. Die Welt zitiert eine anonyme Person, die als Spanien-Fan gekleidet gewesen sei, mit den Worten: „Die Plakate lagen auf einem Stuhl vor unserem Block. Wir sollten alle eins nehmen und hochhalten. Verstanden habe ich das nicht.“ Die Bild schreibt, der Mann sei ein aus Bangladesch stammender Arbeiter gewesen, ohne dies aber zu belegen. Westliche Medien berichten seit einiger Zeit, dass Katar Gastarbeiter dafür bezahle, ins Stadion zu gehen, um der eigenen Mannschaft zuzujubeln.
In der Türkei wird der deutsch-türkische Konflikt um Özil durchaus als wichtiges politisches Ereignis gesehen. Die Sabah schreibt: „Katarische Fans erschienen am Sonntag, um auf Deutschlands eigene fragwürdige Behandlung von Özil hinzuweisen, dem ehemaligen Spieler, der die Nationalmannschaft verließ, nachdem er Ziel rassistischer Beleidigungen und ein Sündenbock für Deutschlands vorzeitiges Ausscheiden aus der Weltmeisterschaft 2018 geworden war. Özil, ein in Deutschland geborener Nachkomme türkischer Einwanderer, warf dem Fußballverband, den Fans und den Medien des Landes Rassismus im Umgang mit Menschen mit türkischen Wurzeln vor.“ Özil habe damals gesagt: „Ich bin Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ich bin Migrant, wenn wir verlieren.“ Der unterschwellige Vorwurf im Zusammenhang mit den aktuellen politischen Aktionen der deutschen Fußballmannschaft zielt darauf ab, den Deutschen Heuchelei und doppelte Standards vorzuwerfen.
Das Thema hat in der Türkei besondere Brisanz: Das Fehlverhalten der Deutschen habe bereits vor der WM 2018 begonnen, schreibt die Sabah. Özil und sein deutsch-türkischer Teamkollege Ilkay Gündogan posierten damals für Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Gündogan wurde wegen der Fotos von deutschen Fans während eines WM-Vorbereitungsspiels verhöhnt. Die Sabah wirft dem deutschen Teammanager Oliver Bierhoff und dem damaligen Verbandspräsidenten Reinhard Grindel vor, die Stimmung gegen die beiden Spieler angeheizt zu haben. Grindel habe laut Sabah später eingeräumt, er hätte Özil mehr Unterstützung geben sollen. Gündogan wollte sich nach dem Spanien-Spiel nicht zur Plakataktion äußern. Grundsätzlich sagte der Mittelfeldspieler laut dpa, dass es nicht mehr um Politik gehen solle. „Katar ist sehr stolz, die WM auszurichten. Die erste in einem islamischen Land. Ich komme aus einer muslimischen Familie, die muslimische Community ist stolz“, sagte er. Jetzt gehe es darum, den Fußball zu feiern.


