Kolumne Hertha BSC

Viel mehr als den Trainer Pal Dardai benötigt Hertha BSC den Spielertypen Pal Dardai

In seiner Karriere als Profi für Hertha BSC hat der heute 47-Jährige genau die Eigenschaften verkörpert, die es braucht, um in der Bundesliga zu bestehen.

Selbst als Trainer zeigt Pal Dardai an der Seitenlinie mehr Emotionen als einige Spieler von Hertha BSC auf dem Platz.
Selbst als Trainer zeigt Pal Dardai an der Seitenlinie mehr Emotionen als einige Spieler von Hertha BSC auf dem Platz.Soeren Stache/dpa

Wie Pal Dardai, der vor der Herkulesaufgabe steht, eine mental ausgelaugte Hertha-Mannschaft in fünf noch ausstehenden Spielen zu retten, tickt, zeigt ein kleines Beispiel aus seiner erfolgreichen Karriere als Profi. Am 20. Oktober 1999 verletzte der Italiener Demetrio Albertini den Ungarn im Champions-League-Duell von Hertha BSC gegen den großen AC Mailand derart heftig am Sprunggelenk, dass Dardai – damals erst 23 Jahre alt – fünf Monate ausfiel und nie mehr schmerzfrei spielen konnte. Und das bis zu seinem Abschied im Mai 2011 klaglos durchzog. Das zeugt von unglaublicher Mentalität.

Eine sofortige Rückkehr in die Bundesliga scheint für Hertha BSC unmöglich

Den Spielertypen Dardai vermisse ich sehr in der Mannschaft, die der heute 47-jährige Trainer Dardai nun vor sich hat. Ich habe als Reporter drei Abstiege mit dem Traditionsverein erlebt, war hautnah dabei in den Augenblicken, als der Abstieg plötzlich Realität wurde. Totale Leere bei Spielern und Verantwortlichen, Trauer, Tränen und Angst vor der Zukunft. Sollte sich solch ein Szenario im Mai tatsächlich wiederholen, kann einem Bange werden angesichts des dramatischen Sparkurses, der gefahren werden muss. Eine sofortige Rückkehr in Liga eins wie 2010/11 unter Trainer Markus Babbel und 2012/13 unter Coach Jos Luhukay scheint dann schwer vorstellbar.

Einer, der sich auskennt im Abstiegskampf, ist Maik Franz. Der rustikale Abwehrmann, genannt „Iron Maik“, gehörte 2012 zum Absteigerteam bei Hertha. Der heute 41-Jährige war in seiner Karriere mit 192 Erstligaspielen zuvor bereits mit dem Karlsruher SC und Eintracht Frankfurt in Liga zwei gelandet. Ich fragte ihn jüngst, ob Qualität oder Mentalität im Ringen um den Klassenerhalt die Priorität besitzen?

Maik Franz antwortete mir zuerst mit einer kleinen Episode. Er war am Wochenende mit seinem Jungen beim Nachwuchsfußball unterwegs und ein anderer Vater sagte am Spielfeldrand: „Es ist schön, dass man angesichts der Krise des großen FC Bayern sieht, dass Fußball noch immer vor allem ein Mannschaftssport ist.“ Soll heißen: Die Mentalität und der Teamgeist entscheiden oft über Erfolg und Misserfolg. Das sieht auch „Iron Maik“ so und sagt: „Die Qualität ist im Abstiegskampf oft nicht entscheidend, sondern der Zusammenhalt, der unbändige Kampfgeist. Was man bei Hertha in dieser Hinsicht sieht, ist erschreckend. Der Kader passt überhaupt nicht zusammen.“

Dafür war in erster Linie Fredi Bobic mit verantwortlich. Der musste zwar mit den finanziellen Sünden aus der Vergangenheit leben, hat dem Klub aber mit seiner Personalpolitik den Rest gegeben. Von den zwölf externen Zugängen 2021/22 erwiesen sich Myziane Maolida, Jurgen Ekkelenkamp, Dong-jung Lee oder Fredik Björkan als untauglich und sind längst wieder weg. Unter den Verpflichtungen 2022/23 befinden sich mit Filip Uremovic, Ivan Sunjic, Agustin Rogel oder Wilfried Kanga durchschnittlich begabte Profis mit Zweitliga-Niveau. Bei der Vorstellung all dieser Profis sagte Bobic stets, sie würden für Hertha brennen. Meist blieb es bei kleiner Flamme.

Sandro Schwarz hat die Situation zu lange schöngeredet

Und Trainer Sandro Schwarz redete die Situation zu lange schön. Die Erklärungen nach Niederlagen wiederholten sich und zogen sich wie ein alter Kaugummi: „Wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass wir es besser können.“

Nachfolger Pal Dardai hat eine Truppe mental schwacher Spieler vorgefunden, die sich besser wähnte, als sie ist. Der Mannschaft fehlen Struktur, eine stabile Achse und bis auf Ausnahmen (Lucas Tousart, Marco Richter, Jessic Ngankam) unbändige Kämpfernaturen. Einer vom Kaliber Maik Franz wäre derzeit sehr hilfreich. Vom legendären Fußballlehrer Richard Girulatis, der 1928/29 auch Hertha trainierte, stammt das berühmte Zitat: „Elf Freunde müsst ihr sein, um Siege zu erringen.“ Angesichts der Kampfkraft des ehemaligen Spielers Pal Dardai muss es jetzt für die restlichen fünf Duelle heißen: „Elf Dardais müsst ihr sein.“