Am Sonntagmorgen wollte Pal Dardai seine Mannschaft noch mal sehen. Er fand, das Abwehrverhalten tags zuvor beim 2:4 gegen den SV Werder Bremen sei Kindergarten gewesen. Er wollte den Fußballprofis von Hertha BSC noch mal in die Augen schauen. Sie sollten sich noch mal mit der Niederlage auseinandersetzen. Sie hatten ja alle im ausverkauften Olympiastadion die Gesänge aus 20.000 Bremer Mündern gehört, die ihnen wie eine Moritat vorkommen mussten: „Zweite Liga, Hertha ist dabei.“
Kurz nachdem Dardai eine Teamansprache auf dem Trainingsplatz gehalten hatte, war das Klacken von Stollenschuhen auf dem Asphalt zu hören. Es waren die Schritte von Mittelfeldspieler Ivan Sunjic. Er schlenderte allein zurück in die Kabine. Auf einem Video des Senders Sky ist zu hören, wie Dardai dem Kroaten zuruft: „Geh weg. Tschüss, verpiss dich.“ Ein Rauswurf als Zeichen: Im Abstiegskampf ist Mentalität gefragt. Zweikampfstärke. Intensität. Spieler, die dazu nicht bereit sind, können gehen.
Dardai und Boateng sprechen von einer Blockade
Zweite Liga – das Menetekel schwebte im Olympiastadion bei herrlicher Sonne über allem. Und über der Ostkurve stand auf einem Banner: „Zerreißt euch endlich für Hertha BSC!“ Das war ja eigentlich der Plan – Dardais und der Hertha-Profis. Das war im Ansatz zu erkennen, als Dodi Lukebakio gleich eine veritable Torchance herausgearbeitet hatte und gleich noch zu einer zweiten Chance kam. Doch dann entwickelte sich aus einer blöden Situation ein noch blöderes Gegentor: Während sich Lucas Tousart vor Schmerzen neben dem Mittelkreis am Boden krümmte und die Berliner Spieler auf einen Pfiff des Schiedsrichters spekulierten, sprintete Werder-Stürmer Marvin Ducksch Richtung Hertha-Tor – und erzielte nach sechs Minuten das 1:0. Das war der Anfang von Herthas Ende in dieser Partie, die für die Berliner mit 2:4 (0:2) verloren ging.
„Tut weh!!“, postete Kevin-Prince Boateng ein paar Stunden nach dem Spiel. „Ich bin einer, der immer viel reden kann, der immer Antworten hat, aber gerade ist es sehr schwer zusammenzufassen. Es ist einfach nicht genug, was wir in der ersten Halbzeit gezeigt haben“, sagte er nach dem Abpfiff. „Man hat gemerkt, dass irgendwie eine Blockade vorhanden war.“
Jede Partie hat eine Vorgeschichte. Für die Mannschaft war das vorherige Kapitel das 2:5 in Gelsenkirchen. Danach übernahm Dardai für Sandro Schwarz, der 47-Jährige hatte Hertha schon 2015 und 2021 vor dem Abstieg bewahrt. Das hat er auch jetzt wieder vor. „Das Spiel fängt an, Dodi hat eine Riesenchance, wir machen kein Tor. Wir haben noch eine Gelegenheit. Im Gegenzug gleich ein Tor. Danach war die Mannschaft so blockiert“, sagte Dardai.
Er selbst wirkte gefasst nach der Niederlage. Keineswegs demoralisiert oder demotiviert. Er habe gehofft, auf Glück, auf ein schnelles Tor, sagte er. Aber er sei vorbereitet gewesen auf eine Niederlage. Denn: „Ich kenne die Fußballdynamik. Unter Druck hat das Team Riesenprobleme. Da müssen wir dringend etwas tun, um diese Blockade zu lösen. Es gibt in der ersten Halbzeit mindestens 15 Szenen, die zeigen, das wir nicht mutig waren.“ Wie man ein Team mutiger machen kann, scheint Dardai zu wissen. „Ich werde schon was tun“, sagte er.
Dabei spekuliert er vor allem auf die über- und überüberübernächste Partie. Denn nachdem es kommende Woche gegen den FC Bayern München geht, stehen gegen Stuttgart, Köln und Bochum unter anderem zwei Spiele gegen direkte Abstiegskonkurrenten an, ehe die Saison beim VfL Wolfsburg endet oder um die Relegation verlängert wird. „Wenn man irgendwas Positives nimmt: Wir sind noch nicht abgestiegen. Wir haben noch wichtige Spiele zu Hause. Wir müssen jetzt noch schneller enger zusammenrücken“, sagte Boateng.
Die Blockade, die Dardai und Boateng erwähnten, zeigte sich vor allem in der ersten Hälfte der Partie. Den Berlinern missrieten viele Pässe. Zweikämpfe waren von ihnen nicht zu sehen. Chancen kreierten sie nicht. Und vermutlich fühlte sich Marvin Ducksch selten so allein und unbeobachtet wie bei seinem Kopfballtor zum 2:0 oder seinem strammen Schuss zum 3:0. Und dann brachte der eingewechselte Agustin Rogel auch noch Herthas Torhüter Oliver Christensen mit einem Pass im Strafraum derart in Bedrängnis, dass sich Mitchell Weiser den Ball schnappte und zum 4:0 traf.


