Frau Ullrich, bis zur ersten Weltmeisterschaft der Frauen hat es bis 1991 gedauert. Welche Erinnerungen haben Sie noch an die Premiere in China?
Ich war damals Studentin und habe natürlich gewusst, dass es dieses Turnier gibt, dass eine Silvia Neid oder eine Heidi Mohr mitspielen – und dass die USA eine Führungsrolle haben. Es gab aber keine mir bekannten Übertragungen der Spiele und in den Zeitungen nur Kurzmeldungen. Mehr konnte man damals nicht verfolgen.
Seit wann begleiten Sie die WM-Turniere der Frauen aus dem Teammanagement direkt vor Ort?
Nachdem ich 1996 beim DFB begonnen hatte, habe ich bei der EM 1997 mein erstes Turnier erlebt. Die darauffolgende WM 1999 war ein überwältigendes Erlebnis. Amerika hat erstmals mit vollen Stadien gezeigt, was im Frauenfußball möglich ist. Als wir im Viertelfinale gegen die USA ausgeschieden sind, hat Bill Clinton die Gastgeberinnen in der Halbzeit besucht, was dazu führte, dass ich nicht in die Kabine konnte (lacht). Damals hat man zum ersten Male gemerkt, was in der Sportart möglich ist, um eine Gesellschaft zu begeistern. Das war eine Riesenerfahrung.
Das Endspiel zwischen den USA und China haben in der Rose Bowl von Pasadena damals mehr als 90.000 Menschen gesehen, aber die Begleitumstände des Turniers waren sicherlich anders.
Mit heute ist das überhaupt nicht mehr zu vergleichen. Das deutsche Team wurde von acht bis zehn Betreuerinnen und Betreuern begleitet, heute sind es rund 50. Ich habe anfangs noch die Pressekonferenzen geleitet oder darauf geachtet, dass die Banden richtig stehen und fast noch die Musikkapelle aufs Feld geführt.
Vor 20 Jahren ist Deutschland dann das erste Mal Fußballweltmeister bei den Frauen geworden …
… daran habe ich ganz, ganz viele Erinnerungen. Eigentlich hatte sich zum Beispiel Maren Meinert fast schon verabschiedet, als wir sie wieder angesprochen haben, dass sie das Turnier noch spielen sollte. Dann hatten wir eine tolle Mischung aus jungen und erfahrenen Spielerinnen. Nia Künzer gehörte zu den Jüngeren, Bettina Wiegmann, Silke Rottenberg, Renate Lingor und auch schon Birgit Prinz brachten Turniererfahrung mit. Man muss auch wissen, dass diese Weltmeisterschaft eigentlich wieder in China geplant war, aber als dort das Sars-Virus ausbrach, sind die USA innerhalb weniger Monate eingesprungen. Die mediale Begleitung war immer noch überschaubar: Am Trainingsplatz waren zwei Kamerateams – Claudia Neumann vom ZDF und Carsten Flügel von der ARD. Und wenn die Spielerinnen mit der Bundestrainerin Tina Theune irgendwo Kuchen gebacken haben, sind alle mitgekommen. Es war halt alles sehr familiär.
Das Halbfinale gegen die USA gilt noch heute als eines der besten überhaupt.
Auf einem eigentlich zu schmalem Spielfeld! Die Ausmaße stimmten nämlich nicht, aber es war tatsächlich ein sensationelles Spiel unserer Mannschaft. Unheimlich rasant. Die USA hätten an diesem Tag noch sieben Stunden gegen uns spielen können und hätten uns nicht geschlagen, zumal Silke Rottenberg in überragender Form war. Danach herrschte die Stimmung vor: „Das lassen wir uns nicht mehr nehmen!“
Es brauchte im Finale in Carson gegen Schweden am 12. Oktober 2003 aber doch das berühmte Golden Goal.
Wir wissen alle, wie eng das Endspiel war. Aber kurz vor der Szene als Idgie (Spitzname von Renate Lingor, Anm. d. Red.), den Freistoß geschossen hat, habe ich zu Hannelore Ratzeburg gesagt, dass wir runtergehen müssen, weil gleich was passiert. Wir waren auf dem Weg nach unten, als Nia Künzer eingeköpft hat. Traumhaft.
Waren Sie 2007 in China auch noch mal als Teammanagerin dabei?
Ich war 2005 Abteilungsleiterin für den Frauenfußball geworden, aber ich war natürlich wieder dabei. Wir waren zwei Frauen in der Organisation. Bei der WM haben viele schon erwartet, dass wir den Titel verteidigen, weil wir eine solch gute Mannschaft hatten. Das 11:0 im ersten Spiel gegen Argentinien werde ich nicht vergessen. Nadine Angerer hat dann ja im ganzen Turnier kein Gegentor bekommen. Die Spielzüge hatten schon eine andere Qualität, unsere Spielerinnen haben sich auf dem Platz teils blind verstanden.
Für den Verband arbeitet Ulrich seit 1996, übernahm schnell die Funktion als Teammanagerin der deutschen Fußballerinnen, später leitete sie die Direktion Frauen- und Mädchenfußball. Deshalb ist die gebürtige Hildesheimerin eine kompetente Ansprechpartnerin vor der Frauen-WM in Australien (20. Juli bis 20. August) und dem zweiten Trainingslager der DFB-Frauen in Herzogenaurach (1. bis 8. Juli).
Wenn man jetzt auf die nächste WM schaut, hat man den Eindruck, dass Uefa und Fifa die Förderung des Frauenfußballs nicht mehr als Feigenblatt ansehen?
Die Uefa ist seit vielen Jahren mit Nadine Keßler an der Spitze vom Frauenfußball überzeugt. Die Champions League ist da eine wichtige Bühne geworden, um die Professionalisierung voranzutreiben. Dasselbe sehen wir jetzt auch bei der Fifa. Gianni Infantino hat auf dem letzten Kongress ja bis 2027 eine komplette Gleichbehandlung auch in finanziellen Fragen angekündigt. Die Wertschätzung nehme ich aber auch beim DFB wahr, wo die Frauen und der Frauenfußball seit vielen Jahren ein Kernthema besetzen und wir mit unserer „Strategie Frauen im Fußball FF27“ konkrete und verbindliche Ziele verabschiedet haben.
Haben Sie seit Ihrer Ernennung zur Generalsekretärin das Gefühl, dass Sie international überall akzeptiert werden? Der Fifa-Kongress in Kigali war ja wieder eine sehr männlich geprägte Veranstaltung.
Das stimmt sicherlich, aber ich war schon bei meinem ersten Fifa-Kongress in Katar positiv überrascht, wie viele alte Bekannte ich aus dem Frauenfußball getroffen habe und welche Netzwerke ich noch bemühen kann. Ich treffe viele Kollegen und Kolleginnen wieder, die schon bei der Frauen-WM 2011 in Deutschland eine Aufgabe hatten. Meine lange internationale Erfahrung ist sicherlich ein Vorteil für meine Arbeit beim DFB.
Der DFB-Präsident Bernd Neuendorf hat im Hintergrund mitgeholfen, dass von der Frauen-WM aus Australien und Neuseeland TV-Übertragungen zustande gekommen. Warum war es so schwer, eine Einigung zu finden?
Ich glaube, da wurde lange die Wertediskussion mit der Debatte um den Marktpreis verwechselt. Wenn man mich bittet, für ein Pokalspiel der Frauen denselben Ticketpreis zu zahlen wie für ein Pokalspiel der Männer, dann sage ich ja. Weil ich genauso viele gute und schlechte Frauen- wie Männerspiele gesehen habe. Für mich hat das vielleicht auch denselben Wert, weil ich mit 30 Jahren Frauenfußball sozialisiert bin. Das andere ist der Marktpreis, der sich aus Angebot und Nachfrage ermittelt. Und erst als beides übereinander gelegt wurde, konnte man zusammenfinden.
Die Fifa schüttet insgesamt 150 Millionen Dollar an Preisgeldern aus, beteiligt im erheblichen Maße die Spielerinnen an diesen Geldern. Ein strategischer Schachzug oder echte Überzeugung?
Ich glaube, dass es wirklich Überzeugung ist. Die Rekordprämien nehme ich erst einmal als positives Signal war. Nach meinem Kenntnistand ist die direkte Beteiligung der Aktiven im Vergleich zu anderen Sportarten sogar einmalig. Die Fifa wollte sicherstellen, dass alle Fußballerinnen von der WM profitieren, insbesondere von Verbänden, die ihre Spielerinnen sonst nicht haben partizipieren lassen. Bei unseren Nationalspielerinnen schätze ich sehr, dass sie sich über ihre individuelle Perspektive hinaus weiter für bessere Rahmenbedingungen einsetzen. Da geht es unter anderem darum, Müttern einen besseren Rahmen zu bieten. Das sind wichtige Themen.
Werden Sie bei der WM in Australien und Neuseeland dabei sein? Oder reist der Präsident?
Ich werde am Ende vor Ort sein, und ich hoffe, dass ich noch ein Halbfinale mit der deutschen Mannschaft erlebe.
Müssen die Frauen in diesem Sommer die Ehre des deutschen Fußballs retten, wo die Männer in ein solches Loch gefallen sind?
Jede Mannschaft stellt, unabhängig vom Abschneiden der anderen, die höchsten Ansprüche an sich selbst. Bei einer WM dabei sein zu dürfen, ist noch dazu das Größte, das man als Spielerin erreichen kann. Aber ja: Wir hoffen nach dem EM-Titel unserer U-17-Junioren natürlich sehr auf ein weiteres erfolgreiches Turnier in diesem Jahr.
Würde ein frühes Aus der DFB-Frauen den Boom in Deutschland wieder stoppen?
Das hoffe ich nicht, und das glaube ich nicht. Wir haben über eine ganze Saison in der Frauen-Bundesliga viel mehr Zuspruch erlebt, das DFB-Pokalfinale war ausverkauft. Die größere Sichtbarkeit wird nicht mehr zurückgedreht. Unsere Nationalspielerinnen werden auch dann noch gute Repräsentantinnen sein, wenn sie nicht mit dem Titel aus Australien zurückkämen. Ich habe schon einmal gesagt: Mit dem Frauenfußball sind wir in den Herzen der Menschen angekommen und in den Köpfen der Entscheidungsträger.
Wie wichtig wäre der Zuschlag für die Frauen-WM 2027, für die sich der DFB mit den Niederlanden und Belgien beworben hat?
Ich nehme erst einmal wahr, dass wir neben Südafrika mit Brasilien sowie den USA und Mexiko drei gute Mitbewerber haben. Wir können das starke Argument vorbringen, im Herzen von Europa in drei Fußball-Nationen ein nachhaltiges Turnier der kurzen Wege auszurichten, das zwar lokal, aber auch global ist. Alle Stadien liegen in einem Umkreis von 250 Kilometern, gleichzeitig ist die Region von einer offenen, bunten Gesellschaft geprägt.


