Niklas Süle ist ein Bursche, der durchaus mal etwas gehörig durcheinanderbringen kann. Wenn auch mitunter unverschuldet. Gerade befindet sich die deutsche Fußballnationalmannschaft zur Vorbereitung aufs Testspiel am Sonnabend gegen Japan (20.45 Uhr/RTL) in Wolfsburg, und ja, beim letzten Mal in Wolfsburg – da war doch was?
9. November 2021, keine zwei Jahre her und doch gefühlt eine Steinzeit weit weg. Corona regiert das Land, und als Niklas Süle, sauber durchgeimpft und symptomfrei, gleich nach der Ankunft im prompt weiträumig abgeschirmten Fünf-Sterne-Hotel Ritz-Carlton in der Autostadt getestet wird, kommt ein positives Ergebnis heraus. Die Aufregung ist groß, denn mit dem armen Verteidiger trifft der Marschbefehl nach Hause auch Süles damals ungeimpften Münchner Teamkollegen Joshua Kimmich, Serge Gnabry und Jamal Musiala sowie Karim Adeyemi (seinerzeit RB Salzburg), Bundestrainer Hansi Flick nominiert eilig wegen deren kurzer Anfahrtswege die Wolfsburger Maximilian Arnold und Ridle Baku für zwei WM-Qualifikationsspiele nach. Zwar geriet daraufhin an einem trüben Novembertag der Abschied von Joachim Löw daneben, aber immerhin wurden damals noch Spiele gewonnen, wenn auch nur gegen Liechtenstein und Armenien.
Niklas Süle und Joshua Kimmich geraten aneinander
Anschließend folgte eine verbissen geführte Debatte um den Impfstatus von Joshua Kimmich. Der ist, genau wie Süle, immer noch im DFB-Team dabei und, anders als Süle, auch niemals zwischenzeitlich aussortiert worden. Die beiden haben sich aber vor der Weltmeisterschaft 2022 in Katar böse angegiftet, wie jetzt in einer Amazon-Doku enthüllt wurde. Kimmich: „Wie redest du mit mir auf dem Platz? Du beleidigst mich!“ – Süle: „Laber mich nicht voll, ich sag’s dir!“
Laut des Stoppers ist das Thema abgehakt: „Ich kenne Jo, seit wir elf Jahre alt sind. Er ist ein guter Kumpel von mir.“ Tatsächlich sieht das dieser Tage im Glutofen Wolfsburg genauso aus. Süle und Kimmich fassen sich beim Aufwärmspiel im Kreis an den Händen. Keine Berührungsängste also zwischen dem Bayern und dem nach Dortmund emigrierten Ex-Münchner.
In Katar galt noch die über Jahrzehnte dogmatische Maxime: Deutschland spielt mit Bayernblock. Sieben Münchner bildeten bei der Winter-WM das instabile Gerüst der Mannschaft. Fünf Borussen waren zwar auch dabei, die meisten aber weiter unten in der Hierarchie. Mittlerweile haben sich die Gewichtungen verschoben. Aktuell gehören nach der Begnadigung von Süle sechs Dortmunder und nur fünf Bayern zu Flicks Aufgebot. Ohne den nachnominierten Thomas Müller wären es gar nur vier Spieler vom Branchenführer: Kimmich, Gnabry, Musiala und Leroy Sané. Wobei Musiala aktuell noch angeschlagen ist und gegen Japan keinesfalls spielen kann.
Mehr Borussen als Bayern? Das kann man angesichts der trüben Gegenwart beim BVB, des ernüchternden Saisonausgangs im Mai und der anhaltenden Unterlegenheit im Vergleich zum Abomeister nicht unbedingt als Zeichen des Aufbruchs werten. Im Fall Süle ist es auch eine Symbolik des Zickzackkurses, mit welchem der Bundestrainer das DFB-Team bisher erfolglos durch die Post-WM-Phase navigiert hat. Süle raus, Süle rein. Aktuell: Müller raus, Müller jetzt wieder rein. Wieso, fragen manche Leute, die sich ganz gut auskennen, nominiert Flick für den angeschlagenen Niclas Füllkrug nicht den formstarken Unioner Kevin Behrens nach, der im Gegensatz zu Müller gerade Tore am Fließband herstellt und mit 32 sogar noch anderthalb Jahre jünger ist als der Altmeister? Und was passiert mit den just überraschend nicht berücksichtigten Leon Goretzka, Timo Werner, Thilo Kehrer? Raus und wieder rein? Nur ein Denkzettel?
Süle soll sich professioneller vorbereitet haben
Die Süle-Sache jedenfalls interpretiert Flick anders als seine Kritiker – und auch anders als Süle selbst. Im Juni strich Flick den Hünen aus dem Kader, obwohl dieser wahrscheinlich die beste Halbserie seiner Karriere gespielt hatte. Doch Flick mokierte sich über Süles latente Nachlässigkeiten. Der Bundestrainer glaubt, durch seine Maßnahme eine Reaktion beim Verteidiger erwirkt zu haben. Aus Dortmund hörte man Ähnliches: Der Abwehrmann soll sich professioneller auf diese Spielzeit vorbereitet haben, hieß es.



