Oft ist es ja so, dass Menschen vor allem dann merken, wie wichtig etwas für sie ist, wenn es fehlt. Bei der Bewegung, dem organisierten Vereinssport scheint das nach drei Corona-Jahren so zu sein. So lassen sich die Zahlen interpretieren, die der Landessportbund Berlin (LSB) am Donnerstag präsentierte: Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Mitglieder in Sportvereinen um 45.324, also um 6,6 Prozent – um genau so viele Menschen also, die in die neue Hertha-Bonbonera passen würden, wenn dieses Stadion denn irgendwann mal gebaut werden würde. „Diese Zahlen übertreffen unsere Erwartungen“, sagte LSB-Präsident Thomas Härtel über den größten Zuwachs seit der Wiedervereinigung. Demnach treiben seit Beginn dieses Jahres 729.622 Menschen in Berlins Vereinen Sport – so viele wie noch nie.
Berliner Fußball verzeichnet größten Zuwachs
„Wir wachsen schneller als die Stadt“, resümierte LSB-Direktor Friedhard Teuffel. „Wir freuen uns über die Zahl. Gleichzeitig werden die Probleme nicht weniger.“ Denn die Nachfrage nach Sportmöglichkeiten übersteigt derzeit das Angebot in Berlin. Viele Verbände und Vereine haben dermaßen zugelegt, dass sie nur noch mit Wartelisten auf die vielen Anfragen reagieren können. Der Berliner Fußball etwa verzeichnet ein Plus von 19.270 Mitgliedern, es folgen die Turner mit 8098, die Schwimmer mit 2108 sowie die Basketballer mit 2004 neuen Mitgliedern.

„In Sportarten wie beispielsweise Schwimmen, wo es schon immer Wartelisten gab, sind sie mittlerweile trotz unserer Intensivkurs-Angebote in den Ferien noch länger geworden. Dazu kommen jetzt auch in neuen Sportarten Wartelisten“, erläuterte Teuffel. So stünden Berliner Kinder derzeit Schlange, um in die Basketballvereine aufgenommen zu werden. Frank Bachmann wies als Vizepräsident des Berliner Volleyballverbandes darauf hin, dass in den Volleyballvereinen der Stadt zwar 1000 Mitglieder mehr als im Vorjahr baggern und pritschen, „es könnten aber noch einmal 1000 Menschen mehr sein, die wir aber nicht bedienen können“. Roswitha Itong Ehrke von Pfeffersport berichtete, ihr Verein habe in der Trendsportart Parkour 800 Kinder auf der Warteliste stehen. „Vieles im Berliner Sport wäre noch besser, wenn wir mehr Sportanlagen und bessere Sportanlagen hätten. Die Sportstätten bleiben unsere große Challenge“, sagte Ehrke, „sie fehlen – und manchmal fehlen auch die Mitarbeiter.“
Thomas Härtel richtet Apell an die Politik
LSB-Präsident Härtel formuliert die Erfordernisse und Nöte der Basis in einen Apell an die Politik um. In einem Brief an die schwarz-roten Koalitionsverhandler Kai Wegner und Franziska Giffey legte er dar, weshalb das Sportstättensanierungsprogramm dringend erhöht werden müsse. Und dass bei der Schulbauoffensive des Landes Berlin immer auch beim Bau der dazugehörigen Sportanlagen die Belange des organisierten Sports mitgedacht werden müssen. „Wir benötigen eine Sportstättenoffensive, Hallen müssen auch saniert zur Verfügung stehen, wir brauchen eine Übungsleiteroffensive, wir brauchen neben ehrenamtlichen auch hauptamtliche Mitglieder in den Vereinen“, sagte Härtel.
Schließlich erwarte die Politik ja eine Menge vom organisierten Sport. So seien etwa nach den Silvesterkrawallen sofort Rufe nach Gewaltprävention und Integration in Richtung Sport erfolgt. Zudem ist der Sport aufgerufen, den Folgen von Long Covid entgegenzuwirken, neue Gesundheitsangebote zu starten. „Wir sind im Sport der Gesundheitsanbieter Nummer eins und erwarten da eine klare Beachtung“, verdeutlichte Härtel. „Es ist eine zentrale Forderung von uns, das wir Übungsleiter besser bezahlen können, orientiert an einem Lehramtsgehalt.“

