Fußball-Interview

Hertha-Profi Lucas Tousart: „Wenn ich das sage, verärgere ich die Deutschen“

Herthas französischer Mittelfeldspieler Lucas Tousart über die Bedeutung von Geld, die Chance auf Punkte, Präsident Kay Bernstein und die Berliner Currywurst.

Lucas Tousart gehört mittlerweile zu den Führungsfiguren im Team von Hertha BSC.
Lucas Tousart gehört mittlerweile zu den Führungsfiguren im Team von Hertha BSC.imago/Julius Frick

Lucas Tousart ist bei Hertha BSC das Scharnier zwischen Abwehr und Angriff. Für ihn läuft es endlich wie geschmiert, seit Trainer Sandro Schwarz nach Berlin gekommen ist. Sogar ein Kopfballtor ist dem 25 Jahre alten Franzosen diese Saison schon geglückt. Allerdings fehlt dem Team jetzt dringend ein Sieg, genauer gesagt: der erste Heimsieg. Vielleicht ist es am Sonntag so weit? Da kommt der FC Schalke ins Olympiastadion (17.30 Uhr, Dazn). Tousart, der nach dem Vormittagstraining aus der Hertha-Kantine schlendert und zum Gespräch seine angefangene Mineralwasserflasche mitbringt, hätte sicher nichts dagegen.

Monsieur Tousart, können Sie schon etwas auf Deutsch sagen?

Danke. Bitte. Wie geht’s? Deutsch zu sprechen ist noch ein bisschen schwierig, aber ich verstehe die Sprache sehr gut. Wobei man unterscheiden muss: Es gibt das Vokabular des Fußballs, und es gibt das Vokabular abseits des Fußballs, des alltäglichen Lebens, das schwieriger ist.

Sie haben bei Hertha mehrere Teamkollegen, die Französisch sprechen?

Genau, zum Beispiel Vedad Ibisevic, Dodi Lukebakio, Wilfried Kanga, Kelian Nsona, Jean-Paul Boetius, der spricht sehr viele Sprachen, Myziane Maolida, Jessic Ngankam, einige.

Welches französische Wort kommt im Training am häufigsten vor?

Travail. Arbeit, denke ich.

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imago/Jürgen Engler
Zur Person
Der Franzose Lucas Tousart (25) kam im Juli 2020 von Olympique Lyon als teuerster Profi der Vereinsgeschichte für 25 Millionen Euro zu Hertha BSC. Nach vielen Umbrüchen sowie dem im letzten Moment geglückten Bundesligaverbleib, hat sich der defensive Mittelfeldspieler im neuen Hertha-Team von Trainer Sandro Schwarz unverzichtbar gemacht. 2021 nahm er mit Frankreich an den Olympischen Spielen in Tokio teil. 

Sie kamen als Herthas teuerster Einkauf für 25 Millionen Euro von Olympique Lyon nach Berlin. Hat Sie das belastet?

Nicht wirklich. Der Vertrag kam vor Corona zustande. Da war der Markt noch anders. Sportlich gesehen war es im ersten Jahr wegen der Pandemie schwierig für den Klub und schwierig für mich, zur Geltung zu kommen. Doch inzwischen läuft es viel besser.

Was war so schwierig?

Zum Beispiel die Anpassung an das Spiel während der ersten Saison. In der Bundesliga geht es hin und her. Es gibt viele Duelle. Es wird viel gelaufen. Es geht um Ballbesitz, viele Konter. Im Vergleich zur Ligue 1 ist es ein anderes Spiel.

Zurück zum Geld: Was würden Sie machen, wenn Sie 374 Millionen Euro übrighätten? So viel möchte Investor Lars Windhorst für seine Anteile an Hertha BSC wiederhaben.

(lacht) Mit einer solchen Frage habe ich nicht gerechnet. Das ist sehr, sehr viel Geld. Das will gut überlegt sein. Ich glaube, ich würde eine Insel kaufen. Darauf würde ich Häuser bauen für meine Familie, um in Ruhe leben zu können. Ich würde Vereinen helfen, sozialen Einrichtungen …

Ist Geld für Sie wichtig?

Nein, wichtig ist für mich, im Leben glücklich zu sein. Wir als Fußballer haben das Glück, sehr viel zu verdienen. Aber Geld macht nicht zwingend glücklich. Sicher, es trägt dazu bei, bestimmte Dinge tun zu können. Zu reisen, sich etwas zu kaufen. Doch das Wichtigste im Leben ist, glücklich zu sein, mit den Menschen zusammen zu sein, die man mag, gute Momente mit ihnen zu haben und Gesundheit.

Gibt es bei Hertha mehr gute Momente, seit Kay Bernstein Präsident ist?

Der Trainerwechsel war für uns Spieler ehrlich gesagt entscheidender. Aber wir sind bespielsweise auch näher an die Zuschauer herangerückt. Die Tatsache, dass der Präsident auch ein Fan ist, bedeutet, dass er um die Bedeutung der Unterstützung durch die Fans für uns weiß. Normalerweise tragen Präsidenten eher Anzüge, er hat diese blaue Hertha-Fanjacke an. Er ist ein nahbarer Präsident.

Wie sind Sie mit den vielen Veränderungen bei Hertha zurechtgekommen?

Es war herausfordernd. In den ersten zwei Jahren hatte ich, glaube ich, fünf verschiedene Trainer. Das war nicht gut für die Stabilität. Die Spielsysteme haben sich geändert, es war schwierig, sich immer wieder daran anzupassen.

Fünf Trainer?

Moment (zählt an den Fingern einer Hand ab). Vier, mit dem jetzigen Trainer fünf. Jürgen Klinsmann war Coach, als ich unterschrieben habe. Danach hat sich an der Spitze des Klubs viel verändert. Das sind nicht die besten Bedingungen, um gut zu spielen.

Und wie ist es jetzt mit Sandro Schwarz?

Jetzt haben wir Stabilität. Der neue Trainer bringt eine klare Linie ins tägliche Training. Einige Spiele hätten wir gewinnen müssen. Auf dem Spielfeld läuft es gut. Wir arbeiten gut zusammen, wir haben eine Idee vom Spiel. Es könnte allerdings besser laufen, was die Resultate angeht.

Ist das nicht ein Problem, dass die Siege ausbleiben?

Es war ja nicht so, dass wir immer klar verloren hätten. Es war oft eng. Im Moment fehlt nicht viel, um zu punkten und in der Tabelle weiter nach oben zu kommen. Voraussetzung dafür bleiben aber ordentliche Leistungen Woche für Woche.

Auf Instagram haben Sie lobende Worte für die Kollegen gepostet.

Würden wir schlecht spielen, wäre das etwas anderes, aber uns fehlt einfach nur ein bisschen Glück. Ich versuche also, die Mannschaft zu ermutigen, dass es wichtig ist, nicht zu heulen, sondern weiterzumachen, dranzubleiben.

Ist es das, was ein Leader tun sollte?

Das gehört zu seinem Job.

Sie haben zuletzt oft die Kapitänbinde übernommen. Wenn Marvin Plattenhardt der stille Kapitän ist und Kevin-Prince Boateng der laute, was sind Sie dann?

Ich bin ein Kapitän des Vorangehens, auf dem Spielfeld. Wenn die anderen sehen, dass ich alles aus mir heraushole, macht mich das zu einem Anführer. Ich gebe jeden Tag alles, das gibt den anderen ein Beispiel.

Nun haben die Fans das Hertha-Team nach der Niederlage in Leipzig gefeiert.

Das war außergewöhnlich. Sie haben gesehen, dass wir im Spiel alles gegeben haben. In Frankreich wird man oft nach Niederlagen ausgepfiffen. Die französische Mentalität ist anders als in Deutschland.

Inwiefern?

Es ist im Fußball wie im Leben insgesamt. Wie in Deutschland gibt es auch in Frankreich etliche Dinge, die nicht funktionieren. In Frankreich wird sofort gemeckert.

Und gestreikt?

Ja, und gestreikt. Die Deutschen sind deutlich zurückhaltender.

Kennen Sie sich in Berlin schon gut aus?

Ja, sicher. Im ersten Jahr war es etwas heikel wegen Covid, man konnte nirgendwohin. Aber inzwischen habe ich mir mit meiner Partnerin schon einiges anschauen können.

Und Ihr Eindruck?

Das Leben hier ist sehr angenehm, es fühlt sich sehr gut an. Die Stadt ist sehr angenehm. Sie ist sehr groß, es gibt viele grüne Bereiche, Gärten, Parks. Und dann sind die Leute hier sehr angenehm, eine andere Mentalität als in Frankreich. Die Menschen sind höflich, zuvorkommend.

Darüber kann man geteilter Meinung sein.

Kommen Sie mal nach Paris, dann wissen Sie, was ich meine. Die Menschen gehen hier respektvoll miteinander um.

Ist es von Nachteil, in Deutschland zu spielen, wenn man in Frankreichs A-Nationalmannschaft berufen werden will?

Im Gegenteil. Hier spielen Nkunku, Coman, Pavard, Hernández. Die Sache ist die: Die Nationaltrainer schauen auf die internationalen Klubwettbewerbe, Champions League, Europa League. Wenn man da nicht spielt, wird es sehr schwierig, in die Nationalelf zu kommen. Es gibt nur sehr wenige Spieler, denen das gelingt.

Gehört die Nationalmannschaft derzeit überhaupt zu Ihrem Ziel?

Natürlich. Ich habe alle Jugendnationalteams durchlaufen, war in der Olympia-Auswahl in Tokio, da ist es nur logisch, dass ich für die Équipe tricolore spielen möchte. Aber es ist, wie gesagt, im Moment schwierig – leider.

Wo schauen Sie die WM, hier in Berlin oder daheim in Rodez?

Das ist diesmal ja besonders. Die Bundesliga endet am 12. November, wir trainieren hier weiter.

Sind Sie oft in Frankreich?

Ich versuche, regelmäßig die Familie zu besuchen, das ist wichtig für das persönliche Gleichgewicht, wenn man im Ausland ist. Es ist normal, dass einem die Familie fehlt. Es gibt Spielpausen, in denen man sie besuchen kann.

Was vermissen Sie am meisten an Frankreich?

Wenn ich das sage, verärgere ich die Deutschen.

Ach was!

Das Essen. Frankreich ist in dieser Hinsicht großartig. Die Gastronomie, die Produkte, das ist super. In Deutschland isst man zwar auch gut, es gibt viele verschiedene Sachen, aber es fehlen die Spezialitäten. Abgesehen von der Currywurst. Sie verstehen, was ich meine …

Es gibt gute Restaurants in Berlin.

Ja, es gibt viele französische Restaurants hier. Die Brasserie Lamazère ist zum Beispiel sehr gut.

Danke für den Tipp. Und was halten Sie von der Currywurst?

Ja, nun, tja, sie ist hier legendär, aber bitte nicht böse sein: Für mich ist sie jetzt nicht außergewöhnlich – eine Wurst, viel Ketchup, Currypulver, voilà.

Kochen Sie gern selbst?

Ja, seit Corona. Ich hatte viel Zeit zu Hause und habe ein wenig herumprobiert. Nicht nach Rezept, sondern nach Intuition.

Was kochen Sie immer wieder gern?

Huhn in Champignon-Sahnesoße mit Reis. Das ist ein Familienrezept, von meiner Großmutter. Es wird in einem speziellen Topf zubereitet, le Creuset.

Im Gegensatz zu anderen Sportlern posten Sie keine Mahlzeiten und wenig Privates auf Instagram. Warum?

Ich würde nicht sagen, dass ich gar nichts Privates poste, aber es gibt eben zwei Bereiche: den professionellen und den privaten. Ich poste manchmal Bilder aus dem Urlaub. Aber ich will nicht zu viel zeigen. Das ist ja mein ganz persönliches Leben. Es gibt ein Sprichwort im Französischen: Lebe glücklich, lebe im Verborgenen. Voilà.

Das Gespräch führten Christian Schwager und Karin Bühler.