Mitgliederversammlung

Arm, aber happy: Hertha BSC macht fast 80 Millionen Euro Verlust

Herthas Geschäftsführung kündigt an, den Klub in den nächsten zwei, drei Saisons zu konsolidieren – und dabei mehr auf die Talente der Akademie zu setzen.

Herthas Vizepräsident Fabian Drescher (l.) und Präsident Kay Bernstein bei der Mitgliederversammlung in der Berliner Messehalle.
Herthas Vizepräsident Fabian Drescher (l.) und Präsident Kay Bernstein bei der Mitgliederversammlung in der Berliner Messehalle.dpa/Jan-Philipp Burmann

Wie es geht, sich schnell von Nackenschlägen zu erholen, haben die Bundesliga-Fußballer von Hertha BSC gerade vorgemacht. Erst die Niederlage in Stuttgart in letzter Sekunde am Dienstag, dann der Sieg gegen Köln am Sonnabend, der dafür sorgte, dass Trainer Sandro Schwarz bei der Mitgliederversammlung am Sonntag auf der Bühne sagen konnte: „Mein größter Wunsch ist in Erfüllung gegangen, gestern mit so einem Gefühl rauszugehen.“

Trainer Schwarz bedankt sich bei Mitgliedern und Fans

Raus aus dem Bundesligajahr 2022, auf Tabellenplatz 15, knapp vor der Abstiegszone, nicht mittendrin – und mit 60.000 Zuschauern im Olympiastadion, alles in allem mit einem guten Gefühl und Luft nach oben also, und mit der Botschaft, die Schwarz in der Messehalle 22 an die knapp 1500 Mitglieder sandte: „Als Außenstehender kann man ein anderes Bild von der Hertha haben. Nur Krisen, Probleme, nur Theater … Wenn du drin bist, fühlt es sich toll an.“ Er bedankte sich für die Energie, die er und das Team von den Fans spüren. „Die Gruppe lebt“, rief Schwarz.

Auch der Verein lebt. Ein bisschen anders als zuvor. Denn seit 26. Juni ist Kay Bernstein Präsident. Er hat dem Klub ein neues Gesicht gegeben, einen neuen Anstrich, eine blaue Jacke, die auch Vizepräsident Fabian Drescher übergezogen hatte, als er beim Bericht des Präsidiums die Jahresbilanz 2021/22 vortrug. Die Schlussfolgerung aus dem erneut erheblich negativen Betriebsergebnis, dass Herthas Eigenkapital von 107,5 Millionen Euro auf 29,5 Millionen Euro schmelzen ließ, lautet: arm, aber happy.

Arm, weil den Erträgen von 146,5 Millionen Euro Aufwendungen von 226,3 Millionen Euro entgegenstehen, was ein Jahresminus von 79,8 Millionen Euro ergibt. Wobei das Gros, 97,7 Millionen Euro, für Personalkosten aufgewendet wurde: Spieler, Verwaltung, Akademie, Abfindungen für ehemalige Trainer und Geschäftsführer. Der Klub muss sich wirtschaftlich konsolidieren, weiter Kosten reduzieren. Man wolle sich „in den nächsten zwei, drei Saisons substanziell kurz- und mittelfristig verbessern, eine schwarze Null im Jahresergebnis anstreben“, sagte Geschäftsführer Thomas Herrich.

Happy ist Hertha, weil die Mitgliederzahl von 38.407 auf 44.211 stieg. Und weil Bernstein mit seinem Präsidium in den ersten 140 Tagen viel geschafft hat. Das Wir-Gefühl ist zurück. „Ich finde, dass dieser Verein ein Stück nahbarerer geworden ist, ein bisschen demütiger in seiner Präsentationsform“, sagte Bernstein. Das Präsidium sei geeint, die Gremien beruhigt und in einem vernünftigen Dialog. Der Abwahlantrag gegen Klaus Brüggemann verfehlte die nötige Dreiviertelmehrheit.

Machbarkeitsstudie zum neuen Stadion soll im Sommer vorliegen

Vor seiner Wahl hatte Bernstein, 42, als Ziel ausgegeben, mit Investor Lars Windhorst ein gutes Miteinander zu finden. „Das haben wir 97 Tage geschafft. Dann kam der Bericht der Financial Times“, sagte der Präsident und spielte auf die mutmaßliche Spionagegeschichte an, deren Aufklärung sich ebenso noch im Prozess befinde, wie die Trennung vom Investor.

Den besorgniserregenden Bilanzzahlen begegnet Hertha mit einer progressiven Stimmung. Bernstein begreift es als Mammutaufgabe, die Wirtschaftlichkeit des Vereins umzuwandeln, Vermarktungserlöse zu steigern. „Natürlich hilft da sportlicher Erfolg ungemein“, sagte der Hertha-Präsident, für den die Konsolidierung auch darin besteht, Talente aus der Akademie häufiger als zuletzt an die Profimannschaft heranzuführen. Sport-Geschäftsführer Fredi Bobic unterstrich diesen Kurs und betonte: „Wir dürfen uns nicht ausverkaufen. Wir müssen konkurrenzfähig und bundesligatauglich sein.“

Neben dem Aufbau einer Frauenfußall-Abteilung kündigte Bernstein Fortschritte beim Stadionbau an: „Wir sind erstmals in der Lage, dass wir die politische Willensbildung und die Unterstützung einer Senatorin Spranger haben, die sagt: ‚Ich will dieses Stadion.‘“ Im Sommer soll die Machbarkeitsstudie für einen Neubau im Olympiapark vorliegen. Mit dem Bau ist es wie mit den Punkten des Teams: „Wir brauchen manchmal Geduld. Und Geduld mit unserer Berliner Klappe ist manchmal sehr schwierig“, sagte Bernstein: „Wir werden weiterhin Geduld haben müssen.“