Olympia 2024

Gender-Debatte um Imane Khelif: Italienische Boxerin vor dem Kampf unter Druck gesetzt

Die italienische Boxerin Angela Carini sei unter Druck gesetzt worden, den Kampf nicht anzutreten. Das bestätigten nun auch Sportfunktionäre. Wie der Fall politisch wurde.

Angela Carini nach dem Kampf gegen Imane Khelif am 1. August
Angela Carini nach dem Kampf gegen Imane Khelif am 1. AugustAFP

Die algerische Boxerin Imane Khelif kämpft bei den Olympischen Spielen in Paris mittlerweile um Gold, doch der Eklat um ihren ersten Kampf, als sie am 1. August gegen die Italienerin Angela Carini gewann, sorgt weiterhin für Diskussionen und Schlagzeilen.

Carini hatte damals den Kampf nach nur 46 Sekunden aufgegeben, daraufhin war eine Debatte um das Geschlecht der Algerierin entbrannt, die schnell über die Grenzen des Sports hinausging und besonders in Italien zum Politikum wurde.

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Italienisches Olympisches Komitee:„ Carini bekam Nachrichten von der IBA“

Italienische Medien mutmaßen seit Tagen darüber, ob Angela Carini bereits vor ihrem Kampf gegen Khelif unter Druck gestanden haben könnte. Nun bestätigte Giovanni Malagò, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees Italiens (CONI), in einem Interview mit der Zeitung La Stampa, dass die italienische Athletin ihm Nachrichten von Vertretern der International Boxing Association (IBA) gezeigt habe, in denen sie aufgefordert wurde, den Kampf gegen Khelif nicht anzutreten, da diese „keine Frau“ sei. Während des Interviews zeigte Malagó dem Journalisten von La Stampa die entsprechenden Nachrichten. Einen „Fall Khelif“ habe es also in der Sportwelt bereits Tage vor dem Kampf in Paris gegeben, auch wenn er erst nach dem Sieg der Algerierin in den Medien regelrecht „explodierte“.

Auch die Zeitung La Repubblica rekonstruiert den Fall Carini-Kehlif
und legt anhand von Aussagen der Verantwortlichen beim CONI nahe, dass die Italienerin in den Tagen vor dem Kampf sehr beunruhigt gewesen sei. „Man hat mir gesagt, ich soll gegen einen Mann kämpfen“, soll Carini CONI mit Bezug auf die Nachrichten der IBA mitgeteilt haben. Beim CONI sind dem Bericht zufolge alle erstaunt über die Aussagen der Italienerin gewesen: „Alle Kontrollen sind immer durchgeführt worden“, zitiert die Zeitung Quellen aus dem Komitee, Khelif trete schließlich seit Jahren im Frauenboxen an, ihre Unterlagen seien einwandfrei, sie habe bereits an einer Olympiade teilgenommen – und verloren.

Imane Khelif jubelt nach ihrem Sieg gegen Janjaem Suwannapheng aus Thailand. Die Algerierin ist damit ins Finale gezogen.
Imane Khelif jubelt nach ihrem Sieg gegen Janjaem Suwannapheng aus Thailand. Die Algerierin ist damit ins Finale gezogen.James Crombie/imago

Ein weiterer bemerkenswerter Fakt: Khelif war dem italienischen Boxverband schon bekannt. Sie hatte in Assisi trainiert und war die Fahnenträgerin der Mittelmeerspiele, die 2022 im algerischen Oran stattfanden. Khelif hatte die Fahne nach Taranto weitergereicht, wo die nächste Ausgabe der Spiele im August 2026 stattfinden wird. Sie ist also keine unbekannte Athletin, wie war es möglich, dass ihre Teilnahme plötzlich so viel Aufsehen erregt?

Kampagne gegen „Trans-Boxerin“ und „woken Wahnsinn“ bei Olympia

CONI-Chef Giovanni Malagò kann die Frage nicht beantworten, findet aber, dass der Fall mit Sport wenig zu tun habe: „Alles wird heute von der Politik instrumentalisiert. Sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite.“ Wobei die Kampagne gegen Khelif, die zunächst von der Falschaussage geprägt war, sie sei transsexuell, zumindest in Italien von rechten Politikern gestartet wurde. Während die Vertreter des CONI versuchten, Carini vor dem Kampf zu beruhigen, wurde der Fall politisch und in den sozialen Medien entsprechend aufgegriffen.

Lega-Chef Matteo Salvini schrieb bereits am 30. Juli in einem empörten Post auf X, Carini werde gegen eine „Trans-Boxerin“ kämpfen müssen, das sei „ungerecht“ und ein „Schlag ins Gesicht für die Ethik des Sports“ und forderte ein Ende des „woken Wahnsinns“. Weitere Lega-Politiker legten nach, schrieben von „Transgender-Olympiade“, brachten erneut die Olympia-Eröffnungsfeier ins Spiel als angebliches Beispiel dafür, wie sich die Welt des Sports der „woken Ideologie“ gebeugt hätte.

Giorgia Meloni zu Carini: „Es lag nicht an dir“

Als Carini am 1. August in den Ring stieg, war das mediale Aufsehen – zumindest in Italien – bereits enorm. Was danach passierte, ist bekannt.

Nach ihrer Niederlage unterstellte man der Italienerin zunächst, sie habe den Kampf „aus Protest“ aufgegeben. Sie erhielt sogar Besuch von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die ihr gesagt habe: „Gib nicht auf, weil es heute nicht an dir lag.“

Carini bedankte sich zwar für die Solidaritätsbekundung, stellte allerdings später wiederholt klar, dass der „Gender-Streit“ nicht der Grund war, warum sie den Kampf aufgegeben hat, und wünschte Khelif sogar, dass sie „die Olympiade gewinnt“. Auch beim CONI wolle man den Fall nicht politisch aufladen: „Wir stehen alle geschlossen hinter Angela zusammen. Aber ich stehe auch zu 100 Prozent auf der Seite des IOC“, betont Malagó im Interview.

Der IBA, der vergangenes Jahr die Boxerin Khelif sowie ihre taiwanesische Kollegin Lin Yu Ting von den Weltmeisterschaften aufgrund nicht bestandener „Geschlechtstests“ ausgeschlossen hatte, beharrt auf die Behauptung, Khelif sei „männlich“.

In einer Pressekonferenz in Paris hatte der aus Moskau zugeschaltete IBA-Präsident Umar Kremlew gesagt: „Wir haben wissenschaftliche Tests, die zeigen, dass sie männlich sind“, doch Ergebnisse der Untersuchungen könne der IBA „aus Datenschutzgründen“ nicht offenlegen. Die Frage, um welche Tests es sich dabei handelte, wurde laut Berichten der anwesenden Journalisten nicht eindeutig beantwortet. Die Tests haben dem früheren Vorsitzenden des medizinischen Komitees der IBA, Ioannis Filippatos, zufolge „hohe Testosteronwerte“ bei Khelif und Yu Ting gezeigt. Damit widersprach er allerdings der Aussage eines Statements vom 3. Juli, wonach der IBA keine Testosterontests durchgeführt habe. In der entsprechenden Passage ist nämlich zu lesen: „Anzumerken ist, dass die Sportlerinnen nicht einer Testosteronuntersuchung unterzogen wurden, sondern einem separaten und anerkannten Test, dessen Einzelheiten vertraulich bleiben. Dieser Test ergab eindeutig, dass beide Sportlerinnen die erforderlichen Kriterien für die Teilnahme am Wettbewerb nicht erfüllten und dass sie Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Sportlerinnen hatten.“

Imane Khelif: Wirklich stärker als ihre Gegnerin?

Dieser Test wurde vom IOC scharf angefochten, das stattdessen die beiden Boxerinnen mit der Begründung zuließ, dass es dieselben Überprüfungskriterien verwendete, die bereits seit den Olympischen Spielen 2016 in Rio gelten. Außerdem lässt wenig in Khelifs sportliche Karriere darauf schließen, dass sie aufgrund ihrer angeblichen „Männlichkeit“ einen tatsächlichen Vorteil hat. Die Boxerin wurde bereits mehrmals von als weiblich geltenden Kolleginnen geschlagen. Bei den Weltmeisterschaften 2018 belegte sie den 17. und bei den Box-Weltmeisterschaften der Frauen 2019 den 19. Platz. Bei den Olympischen Spielen 2020 schaffte es Khelif bis ins Viertelfinale, bevor sie gegen die Irin Kellie Harrington verlor. 2022 verlor sie im Finale der Box-WM der Frauen gegen Amy Broadhurst und wurde Zweite. Goldmedaillen gewann sie bei den Afrikameisterschaften 2022, den Mittelmeerspielen und den Arabischen Spielen 2023. 

Mittlerweile hat sich auch Khelif in einem Interview zur Angelegenheit geäußert und ein Ende des „Mobbings“ gegen Sportler gefordert. Das „kann Menschen zerstören; es kann die Gedanken, den Geist und die Seele von Menschen töten. Und es kann Menschen entzweien“, sagte die Algerierin in einem Interview, „so Gott will, wird diese Krise in einer Goldmedaille gipfeln, und das wäre die beste Antwort“, fügte sie hinzu. Dieses Ziel könnte sie am Freitagabend erreichen, wenn sie gegen die Chinesin Yang Liu um Gold im Weltergewicht kämpfen wird. Mit dem Finale wird die „Geschlechterdebatte“ vermutlich weitergehen, oder sogar in eine neue Runde kommen. 

Nichts spricht gegen eine Debatte darüber, ob die Kriterien für die Zulassung von intersexuellen Sportlern und Sportlerinnen in die jeweiligen Geschlechtskategorien berechtigt sind oder überdacht werden sollten. Der Wirbel um Imane Khelif zeigt allerdings, dass es noch ein langer Weg ist, bis eine solche Diskussion sachlich geführt werden kann.