Berührungsängste kennt Catalina Pérez nicht. Wenn die Nationaltorhüterin Kolumbiens nach einem WM-Spiel Vater, Mutter und Bruder sehen möchte, dann zwängt sie sich schon mal mit ihren Sportklamotten in den voll besetzten Fahrstuhl eines australischen Stadions. In die VIP-Räume bei der Frauen-WM geht sie mit Fußballschuhen. Hauptsache, die liebe Familie knuddeln. Es gibt einige Erinnerungsfotos, auf denen alle bei einer solchen Zusammenkunft so glücklich aussehen wie die Hipster am Bondi Beach, die an einem der schönsten Strände der Welt den Moment genießen.
Kolumbien ist der größte Außenseiter im Viertelfinale
Auch die 28-Jährige reitet auf einer schönen Welle durchs Turnier, aber in einen solchen Brecher wie am Olympic Park von Sydney hat sich die lebensbejahende Torfrau auch noch nicht gewagt: Das Viertelfinale zwischen Kolumbien und England (Sonnabend, 9 Uhr MESZ, ZDF) vor 75.000 Menschen im Australia Stadium und Millionen am Fernseher wird auch für sie der Karrierehöhepunkt. Ihre Mission: „Wir wollen unsere Nation im besten Licht präsentieren.“ Die Südamerikanerinnen sind der größte Außenseiter unter den letzten acht.
Pérez verkörpert viel von dem, was diese homogene Einheit stark macht. Eifer, Hingabe, Leidenschaft und Temperament. Auch wenn der Ball in der gegnerischen Hälfte ist, bewegt sie sich ständig. „Ruhig stehen kann ich nicht.“ Vor dem Spiel versuche sie immer eine Verbindung mit Gott aufzunehmen, erzählte die streng gläubige Torfrau einmal. Viel von ihrem Können hat sie der Ausbildung im amerikanischen Soccer zu verdanken. Zwar wurde sie in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá geboren, aber ihre Eltern siedelten in die USA über, als sie vier Jahre alt war. Wie viele Mädchen entwickelte sie früh ein Faible für den Fußball, das sich mit Highschool und University bestens verbinden ließ.
Ein Erweckungserlebnis sollte zwischendrin die U20-WM in Deutschland 2010 sein, als Pérez mit 15 Jahren bei Kolumbien auf der Bank saß und eine Alexandra Popp bewunderte, die damals mit dem deutschen Nachwuchs die Benchmark bildete. Doch die Kräfteverhältnisse haben sich ins Gegenteil verkehrt. Nicht Deutschland, sondern Kolumbien fordert jetzt den Europameister heraus. Abermals werden Abertausende in Australien lebende Landsleute die „Cafeteras“ anfeuern. „Wir fühlen uns so, als wären wir zu Hause“, beteuerte Pérez nach dem Zittersieg gegen Jamaika (1:0) im ZDF. Dass sie nach dem Interview artig Danke sagte, hatte eine besondere Bewandtnis.
Ihr Vertrag bei Betis Sevilla ist ausgelaufen, bald wird sie bei Werder Bremen spielen. Erst kürzlich machte der Frauen-Bundesligist die Verpflichtung publik, als noch nicht zu ahnen war, welche Erfolgsstory die Torhüterin mitprägen würde. Klar, dass Werder-Trainer Thomas Horsch am Fernseher dieser Tage genau hinschaut. Er hatte erst kürzlich noch einen Videocall mit dem Zugang, den er als „starke Persönlichkeit“ lobt. „Uns war es wichtig, eine Torhüterin mit einer aggressiven Ausstrahlung zu verpflichten, die gleichzeitig ein richtiger Ruhepol sein soll. Diese Position durchdringt die ganze Mannschaft“, erklärt der 54-Jährige, der früher selbst als Torwart auf Amateurebene gespielt hat. Ihm gefällt die „positive, mutige Körpersprache“: Pérez pusht ihre Mitspielerinnen unentwegt.
Nur ist nicht garantiert, dass eine der neuen Nationalheldinnen Kolumbiens wirklich in Bremen einen Stammplatz ergattert. Denn wegen der Abgänge von Anneke Borbe (VfL Wolfsburg) und Lena Pauels (Benfica Lissabon) hatte Werder bereits die Schweizer Nationaltorhüterin Livia Peng verpflichtet. Die bei der WM nicht eingesetzte 21-Jährige soll bald in der „Nati“ das Erbe der ewigen Gaëlle Thalmann antreten. Dass die Schweizerin ebenso auf Spielpraxis hofft, versteht sich von selbst. Horsch bezeichnet das Rennen um die Nummer eins als völlig offen: „Wir haben beide Torhüterinnen seit längerem beobachtet und sind von ihnen überzeugt.“




