Es war zuletzt lange nicht klar, was deutsche Fußballerinnen eigentlich in Australien mehr fürchten: die Gegner oder das Getier? Auf der letzten Pressekonferenz der Vorbereitung streute die Linksverteidigerin Felicitas Rauch, die schon zweimal auf dem fünften Kontinent war, einen amüsanten Reisetipp ein: „Wir haben ein paar Mädels mit Spinnen- und Schlangenphobie. Da müssen wir ganz stark sein, und vielleicht ist manchmal Konfrontation der beste Weg.“ Womöglich hat aber auch die eine oder andere nur zu viel Dschungelcamp geguckt. Nun gibt es kein Zurück mehr, wenn sich der deutsche Tross vom Frankfurter Flughafen zur WM nach Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) aufmacht.
Erst um 22.20 Uhr startet am Dienstag der Flug vom Frankfurter Flughafen nach Dubai. Nach einem Zwischenstopp hocken Kapitänin Alexandra Popp und Co weitere 13:30 Stunden im Flieger nach Sydney. Dann geht es im Bus noch fast 100 Kilometer Richtung Norden ins Golfresort Mercure Kooindah Waters in Wyong. Vielleicht hilft die neue Umgebung, um die Zuversicht für die mittlerweile ziemlich mutig anmutende Mission zum dritten Stern zurückzugewinnen. Das Quartier liegt in (un)guter DFB-Tradition mal wieder ziemlich weitab vom richtigen Leben: in einer kleinen Ortschaft im Bundestaat New South Wales hinter dem Tuggerah Lake, aber nicht direkt an der Küste. Für die meiste Ablenkung könnte der Sohn von Melanie Leupolz sorgen, für den auch eine Babysitterin mitfliegt.
Voss-Tecklenburg plant geheimen Test gegen Junioren
Bedenken eines möglichen Lagerkollers entkräftet die Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg mit dem Argument, ihr Team werde in den Nächten vor den Gruppenspielen gegen Marokko (24. Juli), Kolumbien (30. Juli) und Südkorea (3. August) jeweils in einem Transferhotel in Melbourne, Sydney und Brisbane untergebracht sein und damit das Großstadtflair spüren. Zweimal hat sich die 55-Jährige den Rückzugsort angesehen und Für und Wider abgewogen. Die Gegner gehen andere Wege: Marokko hat sich im Großraum Melbourne, Kolumbien fast im Zentrum von Sydney und Südkorea rund 50 Kilometer südwestlich der Metropole einquartiert. Deutschland setzt auf Ruhe – und nutzt für die Inlandsflüge den näher gelegenen Airport in Newcastle.
Es würden vielleicht auch mal unerwartete Dinge passieren, erklärt Voss-Tecklenburg: „Wir dürfen keine Energie bei Themen vergeuden, die wir sowieso nicht beeinflussen können. Wenn wir mal eine Stunde auf dem Rollfeld stehen und nicht wegkommen, machen wir halt Videoanalyse im Flieger.“ Sie glaube, „dass wir das richtige Setting in unserem Basecamp haben“. Den Jetlag aus den Beinen zu schütteln wird erste Aufgabe sein, dazu müssen sich alle an eine andere Klimazone anpassen, die Nächte im australischen Winter können empfindlich kühl sein. Entsprechend dosiert dürfen die Akteure anfangs nur belastet werden. Das Trainingsgelände (Central Coast Regional Sporting & Recreation Complex) liegt nur sieben Kilometer südlich vom Teamhotel. Auf einem der neun Rasenplätze soll noch ein geheimer Formtest gegen männliche Junioren abgehalten werden.
Die Automatismen in der Offensive endlich zu festigen und die Lust auf Defensive wieder zu wecken, wird ein Wettlauf gegen die Zeit. Die Indizien sind erdrückend, dass der FC Bayern mit der verspäteten Abstellung seiner Spielerinnen der Nationalelf einen Bärendienst erwiesen hat. Doch erst einmal wird auch von DFB-Seite lieber Zweckoptimismus verbreitet. „Die Mannschaft hat sich zusammengefunden: Ich schaue zuversichtlich Richtung Down Under“, sagt Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter Nationalmannschaften.
Wie bei Männer-WM: Der letzte Gruppengegner ist Südkorea
Die Bundestrainerin will wie bei der EM in England die Probleme auf den letzten Drücker lösen. „Wir werden die Zeit in Australien nutzen, um uns bestmöglich auf unsere Aufgabe einzuschwören.“ Die vor den Olympischen Spielen 2000 in Sydney aus dem Nationalteam geflogene Voss-Tecklenburg freut sich auf eine WM „in tollen Städten mit tollen Stadien“. Wenn ihre Spielerinnen erst einmal australischen Boden unter den Füßen haben, werde auch deren Vorfreude steigen. Richtig down würde die Stimmung bei einem frühen Scheitern sein, was in einem Achtelfinale gegen Brasilien oder Frankreich passieren könnte.


