Die Bedenken sind Martina Voss-Tecklenburg inzwischen längst anzusehen. Sorgenfalten zeigten sich auf dem Gesicht der Bundestrainerin, als die 55-Jährige auf dem „Homeground“ in Herzogenaurach ihren Kader für die WM in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) kommentierte. Die vermasselte WM-Generalprobe gegen den unkonventionellen Außenseiter Sambia (2:3) hätte ihr als Ballast für den Abflug nach Sydney am Dienstag eigentlich schon gereicht, als am Wochenende gleich noch eine weitere Hiobsbotschaft eintraf.
Ausgerechnet Carolin Simon fällt verletzungsbedingt aus
Carolin Simon hatte sich in der grotesken Schlussphase dieses Testspiels einen Riss des vorderen Kreuzbandes zugezogen. Der Ausfall der 30-Jährigen vom FC Bayern trifft die deutsche Nationalelf auf einer neuralgischen Position. Mit Felicitas Rauch (VfL Wolfsburg) steht nur noch eine richtige Linksverteidigerin zur Verfügung. Die erst zur USA-Reise im Herbst vergangenen Jahres ins DFB-Team zurückgekehrte Simon war nebenbei die beste Vorlagengeberin der Liga.
„Dass das im letzten Spiel passiert, trifft uns alle hart. Caro wäre im Kader gewesen, sie hatte sich die vergangenen 14 Tage ganz, ganz stark präsentiert. Nicht nur auf dem Platz“, sagte Voss-Tecklenburg. Nach der WM 2019 in Frankreich hatte sie die damals sehr flatterhafte Nationalspielerin aussortiert, Simon fiel in ein mentales Loch, holte sich Hilfe durch einen Psychologen und wirkte in der Vorbereitung in jeder Hinsicht stabil. Und das können nur ganz wenige von sich behaupten.
Gestrichen wurden aus dem WM-Aufgebot erwartungsgemäß nach der bereits abgereisten Paulina Krumbiegel nun noch Sarai Linder (beide TSG Hoffenheim), Tabea Sellner (VfL Wolfsburg) und Ersatztorhüterin Ena Mahmutovic (MSV Duisburg). Die als zentrale Anker unverzichtbaren Lena Oberdorf (muskuläre Läsion) und Marina Hegering (Fußprellung) haben zwar nur leichte Verletzungen erlitten, dennoch reist Janina Minge (SC Freiburg) als 24. und zusätzliche Spielerin mit.
Bei vielen ist die Selbstüberzeugung dahin. Und sich nur an den schönen Sommer mit der EM in England zu erinnern, wird für die mutige Mission zum dritten Stern – den dritten WM-Titel nach 2003 und 2007 – nicht reichen. Von einer Titelform scheint diese Reisegruppe indes gut zwei Wochen vor der Eröffnung fast so weit weg wie Australien von Deutschland. Jetzt auch die Frauen?, wird sich so mancher der 3,17 Millionen Fernsehzuschauer der ARD-Übertragung aus Fürth gefragt haben.
Die Peinlichkeiten der Nationalteams fügen sich in diesen verstörenden Wochen des deutschen Fußballs imaginär aneinander. Die Parallelen an einem lauen Sommerabend waren offensichtlich: Wenn die deutschen Fußballerinnen den Weckruf gegen den Weltranglisten-77. nicht hören, wird auch dieses Turnier für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) ein Reinfall. Immerhin ist der Vertrauensvorschuss für die deutschen Fußballerinnen riesig: Da gab es im gut besuchten Sportpark Ronhof bei der Ehrenrunde unverändert Beifall, am Absperrgitter drängten sich die Fans. Bei solch wohlwollender Grundstimmung neigten einige bei ihren Erklärungen zur Schönfärberei. Der Ball sei ja „gut gelaufen“, meinte Mittelfeldspielerin Sara Däbritz. Doch wenn gegen einen WM-Neuling vorne Durchschlagskraft und hinten Wehrhaftigkeit fehlen, bringt das wenig.
Fast jeder Ballverlust beschwor bei einem insgesamt ideenarmen Auftritt genau wie gegen Vietnam eine brenzlige Situation herauf. „Wir müssen schneller ins Gegenpressing kommen, wir sind nicht kompakt genug“, mahnte Kapitänin Alexandra Popp. Hierzulande würden bei Fußballfans „ja ganz schnell die Alarmglocken angehen“, fügte die 32-Jährige sarkastisch an, sie mache sich „keine Sorgen“, was ein wenig verwunderte. Denn irgendwann ist der Bonus auch bei den DFB-Frauen aufgebraucht. Es muss der letzte Weckruf sein, wie die mit einem beeindruckenden Speed gesegnete Barbra Banda erneut konterte, nachdem Popp (90.+1) und Lea Schüller (90.+10) nach einer Umstellung auf eine durchaus interessante 3-5-2-Formation noch das 2:2 geköpft hatten.
Die deutschen Fußballerinnen haben mit sich selbst zu tun
Die Kapitänin der „Copper Queens“ überlief ihre Gegenspielerin Kathrin Hendrich selbst in der zwölften (!) Minute der Nachspielzeit noch mühelos: Die 23-Jährige gilt insofern als Ausnahmeerscheinung, da sie wegen erhöhter Testosteronwerte im vergangenen Jahr nicht zum Afrika-Cup zugelassen worden ist. Doch die Fifa verfolgt den Fall nicht weiter, und der zweifache Weltmeister Deutschland hat mit sich selbst gut genug zu tun. Voss-Tecklenburg hob die Stimme, als sie mit Blick auf die Gruppenspiele gegen Marokko (24. Juli), Kolumbien (30. Juli) und Südkorea (3. August) sagte: „Gegen Kolumbien kommt die gleiche Physis, das gleiche Tempo auf uns zu.“


