Als Hansi Flick im Spätsommer 2021 die Fußball-Nationalmannschaft übernommen hat, gab er sich jovial. Im Regen von Stuttgart-Degerloch suchte der frisch im Gegenwert von sechs Millionen Euro Jahresgage engagierte Bundestrainer die Nähe zu den Medien. Die, ließ Flick durchblicken, würden ein bisschen mehr mitgenommen als zuvor, um besser zu verstehen, was er mit seinem DFB-Team vorhabe; aufregenden Angriffsfußball und neue Begeisterung fürs DFB-Team zum Beispiel.
Übungseinheiten würden fortan mitunter nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, versprach der neue Chefcoach. Fenster auf, frische Luft hinein. Es hörte sich an, als zöge ein neuer Geist ein im Eliteteam des deutschen Fußballs, das unter Vorgänger Joachim Löw nach dem Höhepunkt bei der WM 2014 über die weiteren Jahre hinweg sanft entschlummert war.
Nichts von dem, was Hansi Flick angekündigt hat, ist eingetreten
Inzwischen muss man leider sagen: Nichts von dem, was Flick seinerzeit angekündigt hatte, ist eingetreten. Die paar Spiele am Anfang, die gegen Gegner aus der zweiten und dritten Reihe gewonnen und von einer brav bei Fuß laufenden medialen Öffentlichkeit viel zu enthemmt gefeiert wurden, sind abgeschlossene Vergangenheit. Plusquamperfekt. Aus und vorbei.
Seitdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Hochamt des Bundestrainers eine Nummer zu groß ist für denjenigen, der es derzeit mit wachsender Verzweiflung versucht auszufüllen. Im Grunde wissen sie das im DFB alle miteinander, nur traut sich niemand, es auch denken zu dürfen. Geschweige denn, die Wahrheit zu formulieren.
Die Vorbereitung auf das Spiel am Samstagabend (20.45 Uhr, RTL) in Wolfsburg gegen WM-Schreck Japan wird überwölbt von einer furchtbar trostlose Stimmung verbreitenden WM-Doku aus Katar, die ab Freitag auf Amazon Prime läuft. Die Presse durfte die Miniserie schon im Voraus begutachten. Die Schlagzeilen zeugen von der Schlagseite, in die sie sich alle miteinander manövriert haben.
Es wird bei Ansicht der Bewegtbilder in dankenswert entwaffnender Ehrlichkeit offenkundig, dass nach dem Vorrundenaus im Dezember unbedingt ein Trainerwechsel hätte stattfinden müssen. Stattdessen installierte der Verband zwei halbgare Taskforces und versendete bald danach hübsche Ansichten von der Sitzung der Gurus im Präsidiumszimmer im Südflügel des neuen DFB-Campus. Oder Westen. Ach, die Richtung ist schon ganz egal, weil eh niemand recht weiß, wohin es weitergehen wird.
In diesen wunderbar sonnigen Spätsommertagen von Wolfsburg ward Rudi Völler als auch für die Öffentlichkeitsarbeit zuständiger Sportdirektor noch nicht aufgespürt. Man kann von Oliver Bierhoff halten, was man will. Aber versteckt hat sich der in Vertretung von Flick nach der WM eilig geschasste Ex-DFB-Manager in einer derart prekären Situation nie.
Völler ist ein guter Kerl, gar kein Zweifel, gemeinsam mit Flick hat er dem RND im Vorfeld der aktuellen Maßnahme auch ein vielfach kluges Interview gegeben. Aber das reicht in derart vorentscheidenden Tagen, auf den Tag genau 20 Jahre nach Völlers legendärer Wutrede auf Island so natürlich nicht. Aktuell liest man vom Sportdirektor nur Erklärungen auf der DFB-Homepage zur völlig überflüssigen USA-Reise der Nationalmannschaft im Oktober, die zu dieser Unzeit niemand in der Bundesliga goutiert. Ähnlich wie die WM-Doku ein klassischer Fall von schlecht getimt.
Auch Flick übt sich mit seiner Mannschaft in einer Form der Abschottung, die die entwaffnende Offenheit der vierteiligen WM-Serie diametral konterkariert. Dümmer hätte es tatsächlich nicht laufen können mit dessen Veröffentlichung ausgerechnet vorm erhofften Reset gegen Japan, was zeigt, dass man im DFB nie und nimmer das Worst-Case-Szenario in Katar auch nur zu denken gewagt hätte.



