Berlin - Teamtraining von Berlin Thunder im Spandauer Gold’s Gym: Der Footballer Nicolai Schumann hat die langen Haare zum Bun gebunden. Er schnappt sich den Ball. Dann spaziert er auf Socken hinüber zum Boxring, auf dem Björn Werner sitzt. Der frühere NFL-Profi aus Berlin ist der neue Miteigentümer und Sportdirektor der Mannschaft, die vor der zweiten Saison in der neuen European League of Football (ELF) steht. Schumann und Werner stecken die Köpfe zusammen, lachen. Sie haben für die neue Saison, die im Mai beginnen soll, einiges vor.
Herr Schumann, beinahe hätten wir Sie in diesem Winter im Bob gesehen – und nicht hier beim Football-Training …
Ich wohne ja in Potsdam. Bei mir im Studio trainiert Bob-Olympiasieger Kevin Kuske gelegentlich mit seiner Trainingsgruppe. Er hat mich eingeladen. Ich bin von der Statur ungefähr gleich groß. Als Corona losging und die Football-Saison ausfiel, hab ich’s mal versucht: Ich bin zu Sprint- und Sprungtrainings gegangen, hab Krafteinheiten mitgemacht. So bin ich in die Trainingsgruppe reingerutscht. In den USA und Kanada wechseln viele ehemalige College-Footballspieler zum Bob. Durch die Explosivkraft sind wir dafür prädestiniert.
Schlittenschieben gehört auch zum Football-Training, oder?
Ja, wir haben hier Indoor-Schlitten, die sind unten glatt. So trainierst du Abdruck- und Sprintfähigkeit. In Potsdam haben wir eine Sommer-Anschubstrecke, das ist Luxus. Outdoor mit Schienen und Trainingsschlitten. Da kannst du unter Wettkampfbedingungen den Start mit Zweier- und Viererschlitten trainieren, inklusive Einstieg. Unter dem Schlitten ist ein Haken. Dann wirst du von einem Gummiseil abgefangen. Es schießt dich zurück, ähnlich wie bei einem Flugzeugträger. Das war bis Januar 2021 mein Exkurs.

Sind Sie auch auf der Bahn gefahren?
Ich bin in Altenberg bei der Selektion mit Nico Semmler gefahren, der jetzt Junioren-Europameister geworden ist.
Hatten Sie den Gedanken, es zu Olympia in Peking zu schaffen?
Ich konnte nicht einschätzen, ob es ein realistisches Ziel ist. Ich wusste um die athletischen Fähigkeiten des Nationalkaders, aber auch, dass ich sehr ambitioniert bin, wenn ich mir was in den Kopf setze. Ich habe Größe und Gewicht mitgebracht und musste viel Technik lernen und meine Explosivkraft auf Vordermann bringen, weil ich ein bisschen älter bin als die Jungs Anfang 20. Ich bin dann aber wieder ausgeschieden, weil es nicht gereicht hätte, denn parallel habe ich an meiner Bachelorarbeit geschrieben und mich auf Jobs beworben. Ich hatte keine Zeit für drei Trainingseinheiten am Tag. Die hätte ich gebraucht.
Und wie war es beim ersten Rennen in Altenberg?
Die Bahn ist so, als wenn du dein erstes Football-Spiel gleich in einer hohen Liga spielen musst, weil sie sehr ruppig ist. Ich habe es bei meiner ersten Fahrt geschafft, gleich mit der Hacke gegen den Bremshebel zu stoßen. Ich bin zwar gut in den Schlitten gekommen, aber dadurch, dass der Fuß hochgesprungen ist, habe ich meinen Piloten mit den Eis-Spikes komplett in den Rücken getreten. Die Narbe hat er immer noch. Es sah aus, als hätte ihm ein Bär mit ausgefahrenen Krallen übers Schulterblatt gefahren. Er hat gesagt: „Kann passieren, aber beim zweiten Mal unterstelle ich dir Absicht.“
Und?
Es ist mir nicht noch einmal passiert, aber ich weiß, dass ich die ersten Male ein bisschen verhalten geschoben habe. Ich hatte die Horrorvorstellung abzurutschen, zu langsam zu sein, ins Leere zu springen. Dann fährt der Schlitten ohne dich. Der Pilot kann nicht bremsen. Das sind so mentale Dinge, die du loswerden musst. Ansonsten funktionierst du nicht.
Sie sind vielseitig: Im Football spielen Sie nicht nur als Tight End oder Wide Receiver, sondern auch als Kicker.
Ich habe halt mein halbes Leben Fußball gespielt. Bei den Berlin Bullets habe ich in der vierten Liga auch gekickt. Ich habe immer alle Seiten vom Ball gesehen: Offense, Defense, Special Teams. In der Bundesliga habe ich 2013 Defensive End gespielt.
Ihre Herzensposition?
Die spiele ich aktuell bei Thunder als Receiver und Tight End. Mir macht es Spaß, Bälle zu fangen und der Typ zu sein, den man nicht tackeln möchte. Wenn man jemanden hat, der aussieht wie ein Defensive End, aber läuft wie ein bisschen zu dicker Receiver, bist du potenziell für viele eine Gefahr.
Eine Gefahr wurde Berlin Thunder erst am Ende der abgelaufenen Saison. War der Franchise-Beginn mit den Investorenwechseln zu chaotisch?
Letztes Jahr war es wirklich chaotisch, da wir Hals über Kopf am Ende des Frühlings diese Franchise aufgestellt haben. Erst lag der Fokus darauf, das Team zusammenzubekommen. Dann, dem Team eine möglichst stressfreie Trainingssituation zu schaffen, was nicht einfach war, weil wir meist in Kleinmachnow trainiert haben. Dann hatten wir einen Stadionwechsel nach dem zweiten Heimspiel vom Hertha-Amateurstadion zum Jahnstadion.
Am Ende standen drei Siege sieben Niederlagen gegenüber. Warum wird kommende Saison alles besser?
Ich denke, dass wir jetzt, mit den richtigen Leuten, die bei uns im Office sitzen, mit Björns Erfahrung, den neuen Coaches und unserem Management daran arbeiten, eine viel stabilere Situation zu schaffen. Das Recruiting läuft ganz anders. Wir fangen schon viel früher an zu trainieren. Wir hängen den Jungs in den Ohren, dass sie sich fit halten müssen und nicht nur zweimal hier das Off-Season-Team-Training bestreiten. Sie müssen drei-, viermal die Woche zusätzlich selbst was tun, um auf ein Level zu kommen, um in dieser Liga, die ja eine professionelle Bühne bieten soll, professionell rüberzukommen. Wenn du hier spielst wie Luis Trenker, kannst du dich über kurz oder lang nicht halten.
Warum haben Sie sich für eine zweite Saison bei Thunder entschieden?
Trotz dieses Tohuwabohus hat mich das Produkt ELF überzeugt. Den Zweiflern haben wir es eigentlich gezeigt, aufgrund des Erfolges, den die Liga zu verzeichnen hatte. „More to come“ ist jetzt die Devise.
Wovon wird es mehr geben?
Du kannst jetzt ja auf Erfahrungswerte zurückgreifen. Jetzt hast du Zahlen, was letztes Jahr lief, was man besser machen kann. Du hast von Gameday zu Gameday mitbekommen, dass die TV-Übertragung besser wurde. Am Anfang gab es Probleme mit der Homepage. Die Liga hat sich entwickelt. Durch das halbe Jahr Off-Season mit viel mehr Management und Menschen wird die Liga insgesamt besser. Davon profitieren jetzt die vier neuen Teams wie etwa Rhein Fire. Ich bin echt gespannt.
Was bewirkt der Einstieg von Björn Werner als Miteigentümer und Sportdirektor bei Thunder?
Als Berliner Junge in der NFL zu spielen, als First-Round-Pick von einem riesengroßen Football-College nach dem dritten Jahr schon gepickt zu werden, ist etwas, was du nicht nur in Deutschland feierst. Die ganze Welt sieht das. Es gibt viele Deutsche, die am College spielen. Es gibt Deutsche, die es in die NFL schaffen. Aber dieser First-Round-Pick, das ist etwas, was immer auf deinen Schultern liegt. Und Björn hat sich natürlich mit ProSieben Maxx und Ran NLF und seiner Karriere ein Riesenimage aufgebaut. Er selbst ist eine Marke.
Schaut er oft beim Training zu?
Regelmäßig. Er setzt sich seit vielen Jahren für die Jugendförderung in Deutschland ein, vermittelt Leute in die USA, weil es ihm so wichtig ist, dass dieses Talent, das in Deutschland schlummert, auch gefördert wird. Insofern ist die Liga ja wie gemacht für ihn. Auch in der ersten Saison war er immer bei Thunder dabei. Man kann nicht sagen, er hat sich nicht geschert und ist auf die aufwärtsfahrende Rolltreppe aufgesprungen, nee. Er war auf der Tribüne, hat dazu beigetragen, dass man in Berlin oft sein Gesicht gesehen hat. Ich freue mich, dass er jetzt Thunder anführt. Er ist ein Klassekerl, einer der wenigen Menschen, die genauso viel oder sogar noch mehr reden als ich. Die Professionalität, die er kennt, versucht er hier zu etablieren.

