Union-Trainer begeistert die Massen

Der Trainer von Union Berlin: Urs, der Menschen-Fischer!

Seit fünf Jahren ist Urs Fischer beim 1. FC Union Berlin als Trainer im Amt – im Profifußball eine Ewigkeit. Wer ist der Mann, der Zigtausende Fans begeistert?

Urs Fischer hat den 1. FC Union Berlin aus der 2. Bundesliga in die Europa League geführt. Dieses Jahr ist sogar die Champions League drin.
Urs Fischer hat den 1. FC Union Berlin aus der 2. Bundesliga in die Europa League geführt. Dieses Jahr ist sogar die Champions League drin.Benjamin Pritzkuleit

Die in Fußball-Deutschland wohl aufregendste Länderspielpause seit langer Zeit ist an Urs Fischer fast spurlos vorübergegangen. Als der FC Bayern jüngst seinen Trainer Julian Nagelsmann entließ und hierzulande für mächtig Aufsehen sorgte, war Fischer zu Hause in Zürich. Weit weg vom Fußball, mit den Gedanken ganz bei der Familie. Von der Personalie in München war er „überrascht“, mehr könne er gar nicht dazu sagen. Und auch die Länderspiele hat er nur am Rande verfolgt.

Fischer hat, bevor es in der vergangenen Woche mit der Vorbereitung auf das Samstagsspiel gegen den VfB Stuttgart (15.30 Uhr, Stadion An der Alten Försterei) schon wieder mit dem Arbeitsalltag weiterging, einmal tief durchgeatmet: „Ich tue mich nicht schwer, wenn ich im Kreis meiner Familie bin, nicht an Fußball zu denken. Das kann ich gut, da kann ich loslassen.“

Neun Spiele stehen in der Bundesliga für den Trainer des 1. FC Union Berlin und seine Mannschaft bis Saisonende noch an. Dazu das Viertelfinale im DFB-Pokal am Dienstag bei Eintracht Frankfurt. Für die Köpenicker könnte es mal wieder eine Rekordsaison werden. 41 Punkte holten sie im ersten Jahr in der höchsten deutschen Spielklasse, danach waren es 50, dann 57. Aktuell steht die Mannschaft bei 48. Im Osten der Hauptstadt fallen regelmäßig Bestmarken – und das vor allem wegen eines Mannes.


Urs Fischer

Urs Fischer würde nicht unterschreiben, dass er der Verantwortliche für die Erfolge des 1. FC Union ist. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung betont er mehrmals, dass es keine One-Man-Show sei, die aktuell in Köpenick über die Bühne geht. „Wir arbeiten hier seit fünf Jahren nahezu mit dem gleichen Trainerteam. Das sagt so viel aus. Hier ist der Erfolg niemandem zu Kopf gestiegen. Stattdessen versuchen wir, permanent im Detail zu arbeiten, dass wir noch besser, noch effizienter werden“, sagt der 57-Jährige, angesprochen auf die Gründe für das Fußballmärchen, das einfach kein Ende zu nehmen scheint.

Trainer und Team? „Es geht darum, beidseitig Respekt zu schaffen“

Und doch ist es Fischer, den die Fans ganz besonders lieben. Nach fünf Jahren im Amt ist klar, dass sie ihn hier im Verein nie wieder vergessen werden. In seiner ersten Saison, 2018/19, führte er den Klub erstmals in die Bundesliga. Dort findet man Union Berlin auch heute noch. Und zwar nicht im Kampf gegen den Abstieg, sondern im Rennen um die europäischen Plätze. Der Schweizer hat es geschafft, die Herzen der Menschen zu erobern, obwohl er kein Entertainer ist. Er peitscht das Publikum nicht nach vorne, fällt nicht mit übertriebenen Gesten oder markigen Sprüchen auf. Im Gegenteil: Urs Fischer singt leise, aber er trifft jeden Ton. Öffentlich, und im Umgang mit seinen Spielern.

Bei der Frage, wie er sich Respekt bei seiner Mannschaft verschafft, hakt er entschieden ein. „Es geht darum, beidseitig Respekt zu schaffen. Nicht nur die Spieler müssen Respekt vor dem Trainer haben, sondern auch umgekehrt. Das ist ein Geben und Nehmen.“ Aber warum haben sich seine Ansprachen in all den Jahren nicht abgenutzt? Wie verschafft er sich weiterhin Gehör? Wie entfacht er diese Begeisterung?

„Als Trainer muss man dazulernen und sich immer wieder neu anpassen, weil die Zeit nicht stehen bleibt. Auch der Fußball selbst passt sich immer wieder neu an. Ich glaube im Gegenzug aber auch, dass man authentisch bleiben muss. Entscheidend ist doch, dass man in den Spiegel schauen und von sich behaupten kann, sich treu geblieben zu sein“, erklärt Fischer. Und weiter: „Ich glaube nicht, dass man mit denselben Leuten über viele Jahre hinweg identisch sprechen kann. Die Authentizität sollte aber gleichbleiben. Und dafür braucht es Empathie. Nicht nur im Erzählen, sondern auch im Zuhören.“

Fischer hat immer ein offenes Ohr, versucht, seine Spieler zu verstehen, sich mit ihren Sorgen und Ängsten zu beschäftigen. Wie soll jemand auf dem Platz gute Leistungen bringen, wenn er aufgrund anderer Einflüsse gar nicht ganz bei der Sache sein kann? „Wichtig ist, dass die Jungs wissen, dass sie mit allem auch zu mir ins Trainerbüro kommen können. Familiäre Dinge genießen eine Priorität, die stehen an erster Stelle“, betont er. In diesen Momenten ist er nicht Trainer, sondern einfach nur Mensch. „Es gibt im Leben Wichtigeres als Fußball. Ich habe als Profi damals selbst erlebt, dass man nicht mit allem zum Trainer gegangen ist“, sagt Fischer.

„Die erste Entlassung zieht dir den Boden unter den Füßen weg“

Urs Fischer ist seit 20 Jahren im Trainergeschäft. Mit 37 beendete er seine Spielerkarriere beim FC Zürich, trainierte danach die U14 und die U16 des Vereins. Ambitionen, einmal Profitrainer zu werden, hatte er da noch nicht. Die Saison mit der U14 machte ihm richtig Spaß, „die waren alle hungrig und immer motiviert“, erinnert sich Fischer. Das Jahr bei den zwei Jahre älteren Teenagern lehrte ihm Gegenteiliges.

„Die Saison mit der U16 war sehr strapazierend für mich. Es waren pubertierende Jungs, das ist ja grundsätzlich gar nicht verkehrt, aber ich hatte als Trainer große Mühe, weil die alles im Kopf hatten, nur nicht Fußball. Ich habe danach gesagt, dass ich das kein zweites Jahr machen kann. Diese Ruhe hatte ich nicht“, erzählt Fischer. „Diese Erfahrungen haben mir aber sehr geholfen, um meinen Rucksack zu füllen. Und den brauchst du, um bei den Senioren Trainer sein zu können.“

Dort lernte er die Schattenseiten des Geschäfts kennen. Nicht gefeiert oder gar geliebt werden, sondern am Ende geschasst: „Die erste Entlassung zieht dir den Boden unter den Füßen weg. Dann gehst du nach Hause und sagst, dass du deinen Job los bist.“ Wichtig sei das für seine Entwicklung als Trainer und auch als Mensch aber dennoch gewesen. Das Lernen, mit Rückschlägen umzugehen.

Union-Trainer Urs Fischer (r.) im Gespräch mit Nils Malzahn, Lead-Redakteur Sport der Berliner Zeitung.
Union-Trainer Urs Fischer (r.) im Gespräch mit Nils Malzahn, Lead-Redakteur Sport der Berliner Zeitung.Benjamin Pritzkuleit

Über Zürich und den FC Thun führte ihn sein Weg 2015 zum FC Basel. Ein Verein, der in der Schweiz seinerzeit das war, was der FC Bayern bis heute in Deutschland ist: Ligaprimus, Branchenführer. Ein Verein, dessen Selbstverständnis darin besteht, immer ganz oben zu sein. Was für einen Trainer quasi gleichbedeutend mit einem Sprung ins Haifischbecken ist – Julian Nagelsmann hat es gerade selbst erlebt –, war für Urs Fischer mit einer ganz besonderen Schwierigkeit versehen. Über 300 Spiele hatte er für den FC Zürich gemacht, spielte dort in der Jugend, bei den Profis, war Trainer.

Dass die beiden Vereine sich nicht besonders mögen, wäre eine maßlose Untertreibung, und so verwunderte es nicht, dass einige Fans des FC Basel ihren Unmut deutlich zum Ausdruck brachten. „FISCHER, NIE EINER VON UNS!!!“, stand auf einem Banner, das die Anhänger draußen an den Stadiontoren anbrachten, während Fischer im Inneren des St-Jakobs-Parks offiziell vorgestellt wurde. Diese Beziehung, zumindest wirkt es aus heutiger Sicht so, war vielleicht von Beginn an zum Scheitern verurteilt.

Die sportliche Wahrheit war allerdings eine ganz andere. Fischer führte den FC Basel zweimal souverän zur Schweizer Meisterschaft, Punkte- und Tor-Rekord inklusive. Im zweiten Jahr feierte er mit dem Pokalgewinn gar das Double, scheiterte in der Europa League erst am späteren Sieger des Wettbewerbs, dem FC Sevilla, der im Finale den FC Liverpool mit einem gewissen Jürgen Klopp als Trainer in die Schranken verwies.

Der Erfolg gab ihm eigentlich recht und trotzdem kam die Vereinsführung auf die Idee, den Cheftrainer vor die Tür zu setzen. „Wir wollen wieder mehr Identifikation schaffen und auch eine attraktive Spielkultur fördern“, sagte Sportchef Marco Streller. Die Schweizer Presse blies zum Teil in ein ähnliches Horn: „Fischer ist in Basel nie so richtig warm geworden“, titelte die Aargauer Zeitung und führte aus: „Es ist ihm zu wünschen, dass er sich beim nächsten Job ein dickeres Fell zulegt.“

Heute sitzt Urs Fischer in einer der Logen im Stadion An der Alten Försterei und blickt zurück. Er war damals wirklich dünnhäutig, scheute keinen Konflikt mit der Presse. Die Zeit in Basel war von Erfolg gekrönt, aber Liebe war es nicht. „Je erfolgreicher man mit einem Verein arbeitet, desto schwieriger wird es auf Dauer“, erklärt Fischer. Die Ansprüche wachsen, es reicht nicht mehr, nur zu gewinnen, schön anzusehen soll es doch bitte auch sein.

Ein kurzes Innehalten. Moment mal, ist das beim 1. FC Union Berlin nicht ähnlich? Der Verein spielt seit Jahren über seinen Verhältnissen, übertrifft sämtliche Erwartungen, und doch behaupten böse Zungen, dass das ja alles nicht attraktiv sei. Viele Tore nach Standardsituationen, lange Bälle nach vorne, kämpfen, grätschen, rennen. Wo bleibt denn da die Spielkultur?

Die Wahrheit ist, dass die Fans in Berlin-Köpenick sehr dankbar sind. Sie haben ihre eisernen Prinzipien, pfeifen die Mannschaft nicht aus, machen nie einen Einzelnen verantwortlich für eine Niederlage, feiern das Team noch weit nach Abpfiff eines jeden Spiels. Keiner geht hier früher nach Hause. Urs Fischer war das bewusst, als er sich 2018 mit der Anfrage beschäftigte, mit der ihn sein Management konfrontierte. Union Berlin hätte Interesse, zwar nur 2. Liga, aber in der Schweiz war er ja schon an der Spitze angekommen. Im Alter von 52 Jahren ging Urs Fischer zum ersten Mal ins Ausland.

„Es muss nicht immer höher, schneller, weiter sein“

Nach der Ära mit Uwe Neuhaus (2007 bis 2014) hatten sich beim 1. FC Union Berlin in vier Jahren vier verschiedene Trainer die Klinke in die Hand gegeben. Norbert Düwel, Sascha Lewandowski, Jens Keller und André Hofschneider waren am Werk. „Ich habe mich schlau gemacht über Union, aber wie viele Trainer dort in wie vielen Jahren gearbeitet haben, hat mich weniger interessiert“, erzählt Fischer. „Die Gespräche haben mir von Beginn an ein gutes Gefühl gegeben und ich denke, jeder sollte erst einmal überzeugt von sich selbst sein, auch wenn das ein Lernprozess ist. Am Anfang kannst du nicht wissen, was dich schlussendlich erwartet. Aus heutiger Sicht kann man sagen, dass mein Gefühl damals nicht so falsch war“, schmunzelt Fischer.

Zürich, daran gibt es nichts zu rütteln, ist seine Heimat. Berlin hat aber auch längst einen ganz großen Platz in seinem Herzen eingenommen. Seine Frau, die beiden Töchter, Eltern und Schwiegereltern sind regelmäßig zu Besuch. Eine wirklich ernsthafte Überlegung, dass zumindest seine Frau mit ihm umzieht, gab es aber nicht. „Auch als ich in Thun und Basel gearbeitet habe, hatte ich dort jeweils eine Wohnung und meine Frau ist in Zürich geblieben“, erzählt Fischer. „Sie hat dort ihr soziales Umfeld. All die Jahre hat sie mir den Rücken freigehalten, deswegen hätte ich sie dort niemals herausreißen wollen. Und wir sind ja immer noch verheiratet.“ Kurze Pause. „Glücklich verheiratet“, lacht Fischer.

Das Leben als Fußballer und auch als Fußballtrainer ist immer auch ein Leben als Reisender. Über Nacht kann man seinen Job verlieren, dann bricht man seine Zelte ab, verabschiedet sich noch kurz und ist im nächsten Moment weg. Urs Fischer wird das beim 1. FC Union Berlin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders ergehen. Fünf Jahre nach seinem Amtsantritt wird niemand leugnen, dass er sich den Zeitpunkt seines Abschieds selbst aussuchen kann.

Man soll gehen, wenn es am schönsten ist, lautet eine oft zitierte Lebensweisheit. Viele würden sie unterschreiben, nur wenige schaffen es in der Realität, sie tatsächlich umzusetzen. „Es ist sicher nicht die schlechteste Entscheidung, dann auch wirklich aufzuhören“, sagt Fischer nach kurzer Bedenkzeit auf die Frage, was er von diesem Ausspruch ganz persönlich hält. Die ganze Wahrheit sei das aber auch nicht. „Entscheidend ist meiner Ansicht nach immer das persönliche Gefühl, ob etwas beendet ist. Und das Gefühl habe ich hier noch nicht. Wir können uns hier immer noch weiterentwickeln.“

Die Champions League also? Vielleicht schon in diesem Jahr? Und in der nächsten Saison dann der ernsthafte Angriff im Titelrennen mit dem FC Bayern oder Borussia Dortmund? Nein, Urs Fischer meint etwas anderes.

„Eine Entwicklung kann auch daraus bestehen, vielleicht zwei Schritte zurückzugehen, danach aber auch wieder einen nach vorne zu machen“, sagt der Erfolgstrainer. Und überhaupt: „Es ist auch eine Qualität, mit etwas zufrieden zu sein, was man gerade hat. Es muss nicht immer höher, schneller, weiter sein.“

An diesem Punkt kommt beim Zuhörer noch einmal die Erinnerung an Fischers Zeit beim FC Basel auf. Dort, wo es am Ende nicht mehr reichte, bloß zu gewinnen. Nach der Trennung von Urs Fischer im Sommer 2017 ist der Verein nie wieder Meister geworden, ist Welten entfernt von der Champions League. Aktuell liegt die Mannschaft in der Super League 23 Zähler hinter Spitzenreiter Young Boys Bern. 

Und Urs Fischer? Bastelt in Köpenick weiter an einer fast beispiellosen Erfolgsgeschichte. Und er vereint die Fans. Nicht zehn, zwanzig oder hundert, sondern Zigtausende. Urs, der Menschen-Fischer!