1. FC Union Berlin

Marvin Friedrich ist unglücklich in Gladbach. Kommt er zurück zu Union?

Beim 1. FC Union ist Marvin Friedrich für immer ein Aufstiegsheld, in Mönchengladbach sitzt er auf der Bank. Die Zeichen stehen auf Trennung. 

Hat sich bei den Fohlen vergaloppiert: Marvin Friedrich (mit der Nummer 5), hier nach dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt am letzten Wochenende. 
Hat sich bei den Fohlen vergaloppiert: Marvin Friedrich (mit der Nummer 5), hier nach dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt am letzten Wochenende. imago

Nahezu unzertrennlich waren sie. Auch wenn ihre Wege nur ein halbes Jahr parallel verliefen. Wenn Marvin Friedrich spielte, spielte auch Rani Khedira. Oder umgekehrt.

Allein eine Ampelkarte für den Abwehrspieler grätschte einmal dazwischen und eine Corona-Infektion – ansonsten bildeten Friedrich und Khedira im Herbst des Jahres 2021 in der Defensive des 1. FC Union Berlin eine Verbindung aus Pech und Schwefel. Sie waren so etwas wie sportliche Zwillinge geworden.

Beide waren sie aus Augsburg nach Köpenick gekommen. Der eine zuerst auf Leihbasis noch in der zweiten Bundesliga und erst später fest verpflichtet, der andere nach Auslaufen seines Vertrages ohne jeden Umweg. Obwohl sie in der Stadt der Fugger ein Jahr gemeinsam verbrachten, standen sie nie in einer Mannschaft. Zwar war Friedrich, der der Schalker Knappen-Schmiede entstammt, als Europameister mit der U19 gekommen, nachdem er 2014 in einem Team mit Joshua Kimmich und Julian Brandt in Ungarn den Titel gewonnen hatte, auch war er als „großes Nachwuchstalent des deutschen Fußballs“ empfangen worden; zu einem Einsatz in der Bundesliga aber hatte es nicht gereicht. In der Alten Försterei jedoch verstanden sich beide auf Anhieb. Ein gutes Gespann bildeten sie. Der eine, Friedrich, als festes Inventar, der andere, Khedira, als Neuling in einem Team, das erst seine dritte Saison in der Bundesliga begann.

Marvin Friedrich: Bei den Fans für immer Aufstiegsheld

Auch sonst waren die Rollen klar verteilt. Friedrich galt als unverzichtbar. Bei den Fans ist er, als Torschütze im Relegationshinspiel, dem 2:2 in Stuttgart, sowieso für immer und ewig ein Aufstiegsheld. Außerdem hatte sich der 1,93 Meter lange Abwehrmann den Status als Vizekapitän hinter Christopher Trimmel erarbeitet. Als nach dem Aufstieg sein Verbleib in der Alten Försterei für einige Tage wacklig geworden war, weil die Augsburger eine Kaufoption gezogen hatten, holten ihn die Eisernen für eine Ablöse von 2,5 Millionen Euro umgehend zurück – schon hing der rot-weiße Himmel voller Geigen.

Während Friedrich seine Zeit bei den bayerischen Schwaben liebend gern zu den Akten legte („Ich fühlte, dass ich in Augsburg seit dem ersten Tag nicht gewollt war“), öffneten sich ihm in Köpenick alle Türen, und die Anhänger empfingen ihn mit offenen Armen. Dass die Eisernen „ein besonderer Verein mit einer besonderen Atmosphäre im Stadion“ seien, hatte der neue Alte bereits bei seinem ersten Kommen versichert. Zum Wiedersehen nach dem Aufstieg und der festen Verpflichtung zog er verbal alle Register, indem er wissen ließ: „Ich bin einfach nur glücklich, wieder bei Union zu sein. Es ist ein unfassbarer Klub. Die letzte Saison war für uns alle überragend, jetzt wollte ich unbedingt Teil der ersten Bundesligamannschaft des 1. FC Union, Teil dieser Geschichte und Teil der Unionfamilie sein.“

Was kam, war: Stammplatz, Triumph im Derby gegen Hertha BSC, vorzeitiger Klassenerhalt; danach mit fünf Saisontoren einer der torgefährlichsten Abwehrspieler der Bundesliga, Qualifikation für Europa und eine Performance ohne Ende! Viel mehr geht nicht in dieser kurzen Zeit mit einem Verein, der keine anderthalb Jahrzehnte vorher viertklassig gekickt hatte.  

Seit Wiederbeginn im Januar saß Friedrich bei zehn Spielen auf der Bank

Irgendwie aber geht es im Fußball oft zu wie im wahren Leben. Mögen die Gefühle anfangs noch so innig sein und die Schwüre so heiß, kühlt das Ganze irgendwann auch wieder ab. Friedrichs neue Liebe lag nicht mehr tief im Osten, der sich vom Westen nicht kaufen lässt, sondern am anderen Ende der Republik: Westlicher als in Mönchengladbach, dem Club von Netzer, Heynckes, Wimmer und Vogts, hat noch nie ein Bundesligaspiel stattgefunden. Die ungebrochene Strahlkraft der Fohlen und die Aussicht auf einen weiteren Karriereschritt haben gezogen.

Ein gutes Jahr später und auch vor dem Aufeinandertreffen am Sonntagabend gegen seine einstigen Teamkollegen erweist sich der Wechsel an den Niederrhein jedoch mehr und mehr als Irrweg. Zu Beginn lief es gut, sehr gut sogar. Ähnlich wie in Köpenick. Friedrich war dabei und sogar mittendrin. Auch der Trainerwechsel im Sommer vorigen Jahres von Adi Hütter zu Daniel Farke schien ihm wenig auszumachen: Ohne ihn, in 14 von 15 möglichen Spielen im Herbst mit von der Partie, schien es in der Fohlen-Elf nicht zu gehen.

Doch dann kam die Winterpause und mit ihr eine nahezu unerklärliche Eiszeit. Nichts ist mehr wie zuvor. Seit Wiederbeginn im Januar saß Friedrich bei zehn Spielen auf der Bank. Schon das ist für seine Ansprüche ein Desaster. Doch es kommt noch schlimmer. Bei drei Einwechslungen, zuletzt auch beim 2:0 gegen Wolfsburg und beim 1:1 bei Eintracht Frankfurt, stehen bei ihm drei Minuten Einsatzzeit. Insgesamt! Das ist lächerlich und grenzt fast an Boshaftigkeit. Einmal, im Spiel gegen Bremen, wärmte er sich bei einer 2:1-Führung für die Schlussphase auf. Weil aber Werder just das 2:2 erzielte, kam von Farke: Kommando zurück!

Aus der Liebe zur Borussia, die mit einer Ablöse von 5,5 Millionen Euro untermauert und mit einem Vertrag bis 2026 zementiert worden war, ist längst Frust geworden. Mehr als einmal hat Friedrich an Flucht gedacht und seinen Ärger zuletzt sogar öffentlich kundgetan. Die Rede war davon, dass er „absolut unzufrieden mit der aktuellen Situation“ sei und „null Komma null Vertrauen“ spüre. Auch davon, dass er „Union nicht für jeden Verein verlassen“ hätte, es aber nun „auch um meine Perspektive und um meine Zukunft“ gehe.

Dann könnte aus Frust wieder Liebe werden

Das Tischtuch ist so oder so zerschnitten. Farke und Friedrich werden keine Freunde mehr, selbst wenn der Trainer versucht, das Zerwürfnis herunterzuspielen, seinem Schützling einen „top Charakter“ bescheinigt und es „ganz normal“ findet, „dass er nicht alle Spiele gemacht“ habe. Zugleich holt Farke ein spürbares Kaliber an Kritik hervor, wenn er davon spricht, dass Friedrich „keinen Status“ besitze: Zudem ist Farkes Defensiv-Rechnung für den Verteidiger ein Tiefschlag: „In den Spielen ohne ihn haben wir deutlich weniger Gegentore bekommen.“ Erst im Nachsatz relativiert der Trainer, wenn auch nur leicht: „Das ist nicht seine Schuld, aber es ist ein Fakt.“

Und Khedira? Der ist obenauf. Das hat auch mit der sensationellen Spielzeit zu tun, die die Eisernen sechs Runden vor Saisonende weit nach oben getragen hat und erneut um die Plätze für Europa mitmischen lässt. Der Bruder des 2014er-Weltmeisters Sami hat dieser Tage seinen auslaufenden Vertrag  verlängert – verlautet wird in der Alten Försterei wie immer nichts in derlei Fällen, aber die Rede ist von zwei Jahren. Khedira ist aus dem Team nicht mehr wegzudenken. Außerdem ist er, wie Friedrich damals, hinter Trimmel stellvertretender Kapitän. Oft schon hat er anstelle des Österreichers, weil der aufgrund seiner 36 Jahre nicht mehr ständig in der Startelf steht, die Spielführerbinde getragen. Pudelwohl fühlt Khedira sich, ganz anders als Marvin Friedrich. Viel besser hätte es für ihn nicht laufen können, seitdem die Wege sich trennten und die Zwillinge sich auseinandergelebt haben.

Im Fußball, das wissen sowohl Khedira als auch Friedrich, sind gerade in der modernen Zeit jähe Wendungen nicht ausgeschlossen. Womöglich spielen sie diesmal noch gegeneinander, selbst wenn es bei Friedrich, wie immer in letzter Zeit, nur für Sekunden ist. Es kann ja sein, dass – einmal Unioner, immer Unioner – das Herz des aktuellen Mönchengladbachers immer noch ein wenig rot-weiß schlägt. Oliver Ruhnert, Leiter der Lizenzspielerabteilung in der Alten Försterei, ist für seine manchmal irre anmutenden, bei näherem Betrachten meist genialen Personal-Rochaden bekannt. Einmal schon hat er den Rückholdeal mit Friedrich eingefädelt. Dann könnte aus Frust wieder Liebe werden .