Kolumne 1. FC Union

Im Herbst noch belächelt, aber: Der 1. FC Union Berlin ist sich immer treu geblieben

Der Sieg gegen Freiburg im ersten „Endspiel“ um Europas Königsklasse sollte den 1. FC Union Berlin vor den letzten beiden Saisonspielen noch wachsamer machen.

Beim 1. FC Union Berlin wird immer wieder auf die Werte des Vereins hingewiesen.
Beim 1. FC Union Berlin wird immer wieder auf die Werte des Vereins hingewiesen.Matthias Koch/imago

So langsam klappt auch jenen der Unterkiefer herunter, die noch immer nicht daran zu glauben gewagt haben. Mehr und mehr gehen einem die Worte aus für das, was in Köpenick passiert. Es ist ein Rausch, für den der 1. FC Union Berlin sorgt. Nicht erst nach der über weite Strecken brillanten Vorstellung beim 4:2 über den SC Freiburg, trotzdem aber gerade in diesem ersten Endspiel um die Qualifikation für die Champions League. Es fehlt nicht mehr viel und es bleibt nur noch eines: das blanke Staunen.

Ein letztes Quäntchen fehlt noch, der letzte Schritt, der den Traum tatsächlich wahr werden lässt. Drei Punkte sind es noch aus zwei Spielen, besser, um auf der ganz sicheren Seite zu bleiben, vier. Das ist machbar, trotzdem aber verdammt viel. Das ist, um den Ball flach und die Sensibilität hochzuhalten, mehr, als die Eisernen im Saisonverlauf erreicht haben. Sie stehen bei einem Punkteschnitt pro Spiel von 1,84.

Der 1. FC Union Berlin hat das gemacht, womit er seit Jahrzehnten gut gefahren ist

Zweimal 90 Minuten noch, so dicht ist das ersehnte Ziel. Dabei haben die Rot-Weißen das gemacht, womit sie in den vergangenen Jahrzehnten glänzend gefahren sind: Sie sind sich selbst treu geblieben. Nicht absteigen wollten sie und wurden dafür, als sie im Herbst Tabellenführer waren, belächelt. Gestichelt wurde auch. Notorische Tiefstapler seien sie; Mauer-Meister, naja, typisch Berlin-Ost eben; Den-Moment-nicht-genießen-Könner ... Alles Humbug. Als die 40 Punkte im Sack waren, reihten sie sich ein in die Schlange für das Ticket nach Europa. Weil sie es noch immer nicht wagten, sich nach einem Fahrschein für das Fahren erster Klasse zu erkundigen, wurden sie wieder und wieder als Spaßbremsen abgetan. Nur: Vom Spucken großer Töne allein hat noch niemand sein Ziel erreicht.

Den Mund werden sie auch jetzt nicht voll nehmen. Die Fälle, aus denen Reinfälle wurden, schrecken zu sehr. Brasilien brauchte 1950, um erstmals Weltmeister zu werden, vor heimischer Kulisse und nahezu 200.000 Zuschauern im letzten Spiel „nur“ ein Unentschieden gegen Uruguay. Nach dem 1:2 soll es noch im Stadion Maracana zu Suiziden gekommen sein. Leverkusen benötigte am 20. Mai 2000 für seinen ersten Meistertitel im letzten Spiel in Unterhaching auch nur einen Punkt. Das 0:2 von Bayer aber machte nur die Bayern froh. Sechs Jahre zuvor, die Drei-Punkte-Regel war noch nicht eingeführt, lag der 1. FC Nürnberg im Kampf gegen den Abstieg drei Spieltage vorm Saisonende vier Zähler vor dem SC Freiburg. Zwei Niederlagen der aus Franken und drei Siege der aus dem Breisgau später waren die Clubberer unten und der Club a Depp.

Leicester City: Aus Liga drei zum Meistertitel und jetzt vor dem Abstieg

Natürlich sollte man den Augenblick genießen. Nur sollte man nicht den Gedanken ans Morgen verlieren. Das passiert trotz aller Warnungen nämlich ziemlich oft. In diesem Zusammenhang kommt es womöglich ganz gelegen, dass die Eisernen trotz der vielleicht einmaligen Chance auf den Titel nicht Meister geworden sind. Dauerhaft oben haben sich die Sensationsteams eher nicht gehalten. Das jüngste Drama: Leicester City, in England bis 2008 drittklassig, 2014 in die Premier League zurückgekehrt, Titelträger von 2016 (der in der Alten Försterei ausgebildete Robert Huth war dabei) und noch vor Wochen das Paradebeispiel dafür, welcher Weg auch dem 1. FC Union Berlin offenstehen könnte, ist ziemlich am Ende mit seinem Erstliga-Dasein. Nach dem 0:3 am Montag gegen Liverpool sind „The Foxes“ Vorletzter mit mauen Aussichten darauf, in den beiden letzten Partien die Kurve zu kriegen.

Zwei Spiele sind es auch für den 1. FC Union Berlin noch, im Gegensatz zu Leicester am oberen Ende der Tabelle. Jetzt heißt es, nur keine Schnappatmung zu bekommen. Wichtig ist es, Leichtigkeit ins Team zu bringen und jeden Spieler, in dem mindestens 100.000 Volt stecken, mit einem Blitzableiter zu erden. Das kann einer in Köpenick ziemlich meisterlich. Kleiner Tipp: Sein Name fängt mit Fis an und hört mit cher auf.