HNO-Arzt gibt Tipps gegen Großstadtlärm

Sind Ohrenstöpsel gefährlich fürs Gehör?

Großstädter sind stark von Lärmbelästigung betroffen. Helfen Ohrenstöpsel dagegen? Der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. Uso Walter gibt Tipps.

Stöpsel rein und Ruhe. Lärmgeplagte macht das sehr glücklich. Als HNO-Arzt sieht man das etwas differenzierter.
Stöpsel rein und Ruhe. Lärmgeplagte macht das sehr glücklich. Als HNO-Arzt sieht man das etwas differenzierter.imago

Berlin-Wir leben in einer lauten Stadt: Berlin ist immer auf Sendung. Autos, Öffis, Barbesucher, Küchenpartys, Gehweg-Pöbeleien – überall und ständig sind Geräusche um uns, stören den einen mehr, die andere weniger.

Aber es können auch lachende Kinder auf dem Spielplatz hinterm Haus sein, die Nerven, weil man gerade ganz konzentriert etwas Wichtiges wegarbeiten muss oder vielleicht von der Nachtschicht kommt und wirklich Ruhe braucht.

Fakt ist: Lärm ist subjektiv. Jeder hat eine andere Toleranzschwelle, jede ein anderes Ruhebedürfnis. „Und jeder von uns bewertet Lärm anders“, sagt der Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. Uso Walter.

Der Fluglärm von Tegel war beispielhaft dafür. Zehntausende Menschen kämpften für die Schließung des Flughafens, weil die donnernden Düsenjets so laut waren. Für andere Berliner ging der Krach in der allgemeinen Berliner Melange aus quietschenden Trams und brummenden Lkw einfach unter.

Warum stresst der Großstadtlärm?

„Bei den meisten Lärmreizen verstärkt die emotionale Bewertung das eigentliche Problem“, sagt der HNO-Arzt und Buchautor.* „Wenn also der Straßenlärm nervt, kann ich versuchen, das zu ignorieren. Denn ändern lässt sich daran nichts. Oder aber ich fühle mich derart persönlich gestört, dass ich mich aufrege. Und das hat zur Folge, dass der Lärm absolut in den Fokus rückt und ich mich noch mehr darauf konzentriere.“

Großstädter sind stärker von lärmbedingtem Stress betroffen. Die städtischen Geräusche sind verhältnismäßig neu für die Menschheit. „Wir empfinden sie unterschwellig als Bedrohung und nehmen sie daher auch stärker wahr als sie tatsächlich sind“, weiß Dr. Uso Walter. „Auf dem Land hingegen sind uns die Geräusche seit Jahrhunderten vertraut und wirken nicht bedrohlich. Sie stören uns weniger als die Zivilisationsgeräusche.“

Vor allem nachts kann Lärm zu Stress führen, wie der Mediziner erklärt: „Unser Ohr schläft nie. Es nimmt immer Informationen auf, was evolutionär bedingt ist. So ist sichergestellt, dass wir Gefahren wahrnehmen, obwohl wir schlafen: Alle Informationen, die wir über das Ohr kriegen, werden im Zwischenhirn unbewusst bewertet, auch nachts. Deutet etwas auf Gefahr hin, wird das Stresssystem aktiviert und wir werden wach, unser Schlaf ist unterbrochen.“ Darum greifen viele von uns zu Ohrstöpseln.

Das machen Ohrstöpsel mit dem Gehör

Der HNO-Arzt rät davon ab: „Ein Ohrstöpsel kann das Ohrenschmalz festdrücken und in der Folge kann es zu sehr schmerzhaften Entzündungen kommen.“

Grund: Im Innenohr herrschen bei 37 Grad satte 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. „Ein Ohrstöpsel wirkt wie ein Deckel, der den Brustkasten zu macht und somit optimale Bedingungen für das Gedeihen von Bakterien schafft“, so der Mediziner weiter.

Das jedoch ist nur das eine Problem. Das andere ist vielleicht noch gravierender: „Wenn man sein Ohr verschließt, weil man nichts mehr hören möchte, kommen im Gehirn keine Geräusch-Informationen mehr an. Darum schaltet das System sozusagen in den Alarmmodus um und verstärkt die Außengeräusche. Purer Stress für den Organismus! Und das kann zu einer erhöhten Geräuschempfindlichkeit auch am Tage führen.“

Die Folge: Wir nehmen im Zweifel trotzdem die nächtlichen Außengeräusche wahr und empfinden sie auch tagsüber als heftiger.

„Insofern muss man ganz klar sagen: Ohrstöpsel eskalieren das Problem nur“, resümiert Dr. Uso Walter und empfiehlt: „Reduzieren Sie die äußeren Lärmquellen so gut es geht. Schließen Sie die Fenster oder kleben Sie gegebenenfalls neue Dichtungen ein. Auch das Verschließen der Schlafzimmertür kann eine geeignete Maßnahme sein, falls Lärm aus dem Treppenhaus in die Wohnung dringt.“

Was kann ich tun, um mich vor Lärm zu schützen?

Alternativ: „Schaffen Sie eine andere, für Sie angenehme Geräuschkulisse“, empfiehlt der Experte. Das kann sogenannter White Noise sein, also weißes Rauschen. Das sind hochfrequente, sehr gleichförmige Laute, die Lärm überdecken – ein Haartrockner etwa, oder das Rauschen, wenn man einen Radiosender sucht. Im Internet gibt es entsprechende Aufnahmen.  „Es eignen sich aber auch Abspielgeräte, die das Wellenrauschen wiedergeben oder das Quaken von Fröschen am See. Diese Geräusche empfinden die meisten Menschen als angenehm“, so der HNO-Arzt.

Man kann das Ganze aber auch therapeutisch angehen, mit einem Hörtraining nämlich, bei dem man lernt, die Reize nicht mehr so wahrzunehmen. „Dabei geht es um die innere Bewertung der Geräusche“, sagt Dr. Uso Walter. „Man lernt, die damit verbundenen Emotionen, die negative Bewertung, umzudefinieren. So lässt sich die Stressreaktion minimieren.“

Bestes Beispiel: Wenn der Nachbar den Rasen mäht, nervt es. Läuft man aber selbst mit dem Rasenmäher los, empfindet man das Geräusch nicht als anstrengend, obwohl es genau der gleiche Krach und einem physisch sogar näher ist.

„Das kann man mit den psychologischen Mitteln einer klassischen Verhaltenstherapie erreichen, und zwar mit einer sogenannten Akzeptanztherapie. Dabei lernt man, die Geräusche, die zwar stören, aber man nicht ändern kann, hinzunehmen“, erklärt der Experte. „So lernen Sie, eine weniger starke Stressreaktion zu entwickeln.“

Und wenn es doch unbedingt Ohrstöpsel sein müssen?

Wer länger Ohrstöpsel verwenden möchte oder es aus beruflichen Gründen muss – Musiker etwa –, sollte sie sich beim Hörgerätakustiker an seinen Gehörgang anpassen lassen. Denn: „Die einfachen Ohrstöpsel, die es überall zu kaufen gibt, können Druckstellen hinterlassen“, weiß Dr. Uso Walter. „Unschädlich sind keine von denen, aber am wenigsten problematisch sind Ohrstöpsel aus mittelweichem Silikon.“

Vorsicht bei Wachs: Es wird im Gehörgang weich, und dann kann es passieren, dass Rückstände im Ohr zurückbleiben. „Alle zwei bis drei Wochen habe ich einen Patienten in der Praxis, dem ich Ohrstöpselreste entfernen muss“, so der HNO-Arzt.

*Dr. Uso Walter/Dr. Lucia Schmidt: Zu viel um die Ohren. Wie Stress das Hören verändert, Ecowin Verlag, 240 Seiten, 22 Euro.