Das Riesenrad ist abgebaut, ringsum wuchert Grünzeug, versperrt Wege und Blickachsen, man sieht moosbewachsene Dächer, eingeschlagene Glasscheiben, Rost, überall wilde Graffitis und Kritzeleien. Wer eine Schwäche für Lost Places hat, war bestimmt schon mal illegal im Spreepark im Plänterwald.
Für weniger Abenteuerlustige gibt es knapp einstündige geführte Touren, bei denen immer wieder betont wird, dass der ehemalige Abenteuerpark kein Lost Place mehr sei. Und dass es natürlich nicht erlaubt sei, auf eigene Faust – vielleicht sogar nachts – übers Gelände zu streifen. Lebensgefährlich sei das. Und selbstverständlich ist es eine Straftat, in fremde Grundstücke einzubrechen.
Den strafrechtlich relevanten Nervenkitzel kann man sich getrost sparen, denn die Führungen werden regelmäßig an den Wochenenden angeboten, mehrfach pro Tag, samstags sogar in Englisch. Die Teilnahme kostet fünf Euro pro Person, für Kinder drei Euro. Die Tickets können nur online gebucht werden.
Vor Ort (Eingang Kiehnwerderallee 1–3) gibt es kein Kassenhäuschen, lediglich einen Infopavillon und Toiletten. Bringen Sie sich etwas zu essen und ausreichend Getränke mit, denn leere Flaschen können Sie nirgends auffüllen; das Wasser der WC-Waschbecken ist kein Trinkwasser.
Noch bis Ende Oktober gibt es Führungen, danach herrscht Winterpause im Spreepark. Ob und wann es im kommenden Jahr wieder Touren gibt, kann das für den Park zuständige landeseigene Unternehmen Grün Berlin auf Anfrage nicht sagen.
Was ist der Spreepark?
Der Vergnügungspark liegt im Plänterwald in Treptow, also in Ost-Berlin. 1969 wurde er eröffnet und hieß „Kulturpark Plänterwald“ – noch heute kennen die meisten Berliner den Park nur unter dem Namen Plänterwald. Erst nach der Wende wurde der ehemals volkseigene Betrieb in „Spreepark“ umbenannt.
„Früher kamen 1,7 Millionen Besucher hierher, aber 1994 waren es nur noch 400.000 Menschen“, erzählt die junge Frau, die als Tourguide die Führung leitet. Knapp die Hälfte der Gäste war noch nie hier, der Rest kennt den Park von früher. Dass Berlins einziger Vergnügungspark pleiteging, hatte vor allem mit dem Auto zu tun, erklärt die Tourleiterin.

Das Parken in der Nähe war schon immer schwierig. Es gibt zu wenig Parkplätze, und mitten in einem Park kann man auch nicht einfach so eine riesige Fläche betonieren. Also mussten und müssen Besucher mit den Öffis anreisen: Vom S-Bahnhof Plänterwald läuft man etwa 20 Minuten, vom S-Bahnhof Treptower Park, von wo aus man sehr schön an der Spree entlangschlendern kann, braucht man eine gute halbe Stunde.
Zu DDR-Zeiten, als ohnehin kaum jemand ein Auto hatte und das Reisen anderswohin eingeschränkt war, war das kein Problem. Der Plänterwald war ein Magnet. Doch nach dem Mauerfall konnte man sich Autos ohne Wartezeit kaufen, konnte fahren, wohin man wollte – beispielsweise in den Heide-Park (Niedersachsen), ins Phantasialand (NRW) oder in den Europapark (Baden-Württemberg).
Auf einmal war der Plänterwald uninteressant – für die Berlinerinnen und Berliner wie auch für alle anderen, die vielleicht aus dem Speckgürtel kamen. Der einzige Vergnügungspark der DDR mit Wildwasser-, Geister- und Achterbahn, mit Kino und Kinderfahrgeschäften, Kettenkarussell, Autoscootern, riesigen Dinos, Geisterhaus, Überschlaggondeln und vielem mehr war nicht mehr rentabel.
Zuletzt war der Park von einer westdeutschen Schaustellerfamilie übernommen und geführt worden. Nach der Insolvenz versuchte sie mit einigen Fahrgeschäften, die sie unrechtmäßig mitgenommen hatte, in Peru Fuß zu fassen. Das Vorhaben scheiterte und endete schlagzeilenträchtig mit einem aufgedeckten Drogenschmuggel im ehemaligen Spreepark-Fahrgeschäft Fliegender Teppich.
Bis heute, 20 Jahre nach dem Vorfall, sitzt der Sohn der Familie dafür im Gefängnis. Die mit dem Plänterwald verwobene Familiengeschichte der Wittes wurde in dem ebenso spannenden wie berührenden Dokumentarfilm „Achterbahn“ (2009, ca. 90 Minuten) aufgearbeitet.
Das Riesenrad wird sich wieder drehen
All das erzählt die Tourleiterin, während sie vor dem abgebauten Riesenrad steht, das nun schon seit zwei Jahren in Einzelteilen hinter Bauzäunen am Wegesrand liegt. Es ist der erzählerische Höhepunkt der Führung: Das Riesenrad, das Ewigkeiten ganz gespenstisch nur vom Wind gedreht wurde, das Symbol für den brachliegenden Park, wartet auf seine Restauration. Schon 2025, in zwei Jahren, soll es sich wieder drehen. Am historischen Ort, wo einstmals eine Art künstlicher See war und jetzt nur Betonfüße und Unkraut zu sehen sind.
Der niederländische Hersteller des 1989 aufgebauten Riesenrades, das seinerzeit das größte Europas und somit der ganze Stolz der DDR war, soll die Metallkonstruktion aufarbeiten. Die Kabinen stehen ordentlich aufgereiht daneben, sind aber nicht mehr nutzbar, zumindest nicht, um durch die Luft zu schweben. Der Kunststoff ist zu stark verwittert. Stattdessen soll es künftig runde Gondeln geben, so wie am Riesenrad der Plänterwald-Geburtsstunde.

In zwei Jahren soll der 2001 geschlossene Spreepark ganz offiziell als Natur-, Kunst- und Kulturpark wiedereröffnet werden. Klar ist schon jetzt: Er wird eingezäunt bleiben. Es wird Eintritt kosten, die Fahrt im Riesenrad muss extra bezahlt werden. Wilde Achterbahnen wird es nicht geben. Und viele Bereiche werden nie wieder zugänglich sein, so wie das Areal der Wildwasserbahn.
Urwüchsiges Biotop: Die Wildwasserbahn ist renaturiert
Ein paar Meter vom Lagerungsort des Riesenrades, der wiederum um einiges entfernt vom ehemaligen Standort ist, befindet sich der Bereich, in dem einstmals die Wildwasserbahn fuhr. Ein Dickicht. Weit hinten, oben, sieht man den Felsen, von wo aus die Boote in die Tiefe stürzten. Und an ein, zwei Stellen kann man auch noch die Streckenführung erkennen.
Ansonsten: Alles grün, selbst das Wasser. Vollkommen bedeckt mit Entengrütze. Die alten Bäume berankt mit Efeu, überall Gestrüpp. An einer Stelle blitzt das Blau eines Waggons hindurch – es ist ein Wagen der Parkeisenbahn, deren verrostete schmale Schienen immer wieder während der Führung zu entdecken sind. Das alles soll so bleiben, wie es ist, sagt der Tourguide.
Das Gelände sei derart von der Natur zurückerobert worden, dass man dieses Biotop erstens nicht zerstören wolle – wie zum Beweis schwirrt eine schillernde Libelle vorbei – und es zweitens sei es sowieso viel zu gefährlich, dort hineinzugehen.
Das Tassenkarussell dreht sich noch
Für die Dauer der ganzen Führung bewegt man sich auf asphaltierten Wegen. Eicheln knirschen unter den Schuhen, manchmal verlassen Besucher den Pfad, um etwas abseits Fotos zu machen. Die erste richtig gute Foto-Gelegenheit der Tour ist das sogenannte Tassenkarussell.

Es ist eines der ganz wenigen Fahrgeschäfte, die noch erhalten sind. Die Tassen drehen sich sogar noch, vermutlich wird es hier später mal erlaubt sein zu picknicken, sagt die Tourleiterin und ergänzt, dass die Attraktion nur deshalb so gut in Schuss sei, weil sie – wie auch die Achterbahn weiter hinten im Park – im Laufe der Jahre immer wieder für Dreharbeiten genutzt wurde, für Musikclips ebenso wie für Spielfilme. „Und dafür wurden die dann immer wieder hergerichtet“, sagt die junge Frau.
Tatsächlich hat man sich vorher schon im Stillen gefragt, wie es möglich ist, dass das Zeltdach über dem Karussell so gut aussieht. Kein Loch, obwohl alles andere der Witterung ebenso wie dem Vandalismus zum Opfer gefallen ist? Viel war ja nach der Schließung ohnehin nicht übrig, weil die Wittes etliches mit nach Peru genommen hatten. Andere Fahrgeschäfte wurden verkauft. Und das, was blieb, zerfiel und wurde beschädigt.
Das blau-gelbe Tassenkarussell gab es zu DDR-Zeiten nicht. Die Wittes hatten es aus Frankreich beschafft. Dort war Anfang der 1990er ein Themenpark bei Paris geschlossen und alle Fahrgeschäfte verkauft worden. Für die Wittes, die den Plänterwald modernisierten, der ideale Deal. Im laufenden Betrieb tauschten sie aus, erneuerten, veränderten, ergänzten.
Weil es so schnell gehen musste, trägt das Tassenkarussell noch immer den Schriftzug „quik cup“, die damalige Werbung von Nesquik in Frankreich. Daher auch das Hasen-Logo auf der Kanne in der Mitte des Fahrgeschäfts – fürs Umlackieren war keine Zeit. Betreten kann man das frühere Fahrgeschäft natürlich nicht, aber man kommt bis an die Brüstung, kann alles in Ruhe aus der Nähe betrachten.
Das Englische Dorf wird wieder aufgebaut
Unweit von hier war früher der Haupteingang. Um heute aufs Gelände zu kommen, muss man noch ein Stück weiterlaufen. Die Tour beginnt und endet am Englischen Dorf. Das sieht einerseits sehr pittoresk, zugleich aber auch reichlich ramponiert aus. Fachwerk mit Fensterchen. Die Wittes hatten den Plan, aus dem Plänterwald-Spreepark so eine Art Europapark à la Berlin zu machen, erzählt die Tourleiterin.
Die Idee war, vier Themenbereiche im Park einzurichten, die sich an den vier Berliner Besatzungszonen orientierten. Entstanden sind also das Englische Dorf sowie ein amerikanischer Bereich – die Westernstadt, von der heute nichts mehr zu sehen ist.

2014 brannte es im Englischen Dorf. Und auch erst zu diesem Zeitpunkt war geklärt, wem das Gelände des Spreeparks eigentlich gehört und was mit den Schulden ist. Seither, also 13 Jahre nach seiner endgültigen Schließung, gehört der Park dem Land Berlin, wird von Grün Berlin bewirtschaftet und hergerichtet.
Auf dem Weg vom Eingang am Englischen Dorf zum Tassenkarussell kommt man am Becken vorbei, wo das Riesenrad stand, sowie an einer Haltestation der Parkbahn. Man sieht die Gleise, die Holzkonstruktion des kleinen Gebäudes. Ab 2027 soll die Parkbahn wieder fahren. Wenn man sich den Zustand der Gleise und auch der Bahnhöfe ansieht, darf man gespannt sein. Das wird viel Arbeit.
Ebenso wie am Englischen Dorf, das wieder hergerichtet werden soll. Und auch das nicht mehr existente Freilicht-Kuppelkino soll zurückkommen und im Glanz der 1980er erstrahlen; genau wie beim Riesenrad wird man hier zusätzlich Eintritt zahlen müssen.
Gezeigt wird ein paar Meter weiter auch eine mit blauem Metallgerüst bebaute Fläche. Und noch während man sich wundert, wieso das so neu aussieht, erklärt die Tourleiterin es auch schon: Es ist ein Veranstaltungsgelände, das man mieten kann und das auch bereits gemietet wird. An dieser Stelle stand früher ein sehr gutes, überaus beliebtes internationales Spezialitätenrestaurant mit bulgarischer, tschechischer, polnischer und ungarischer Küche.
Die stillstehende Achterbahn: Spreeblitz
Nachdem man am ruhenden Riesenrad und an der Wildwasserbahn vorbeigelaufen ist, gelangt man zum Spreeblitz. Die von den Wittes installierte Achterbahn ist ebenfalls ein Frankreich-Import. Ikonisch wurden Fotos vom Eingang zum Tunnel der Achterbahn: eine bunt bemalte Drachenfratze mit riesigen Augen und aufgerissenem, zähnebewehrtem Schlund.

Die Metallkonstruktion ist vollkommen verrostet, oben steht noch der komplette Zug mit seinen neun Waggons, die Fensterscheiben vom Abfertigungshäuschen sind zerschlagen, die Treppen unzugänglich. Man kann die Fahrtstrecke in Teilen sehen, sieht den Zugang, wo sich früher Menschen in die Warteschlange einreihten.
Auch hier wurde gedreht, große Teile des Actionthrillers „Wer ist Hanna“ (2011, 111 Minuten, mit Cate Blanchett) entstanden rund um die Bahn und in anderen Parkteilen, beispielsweise auf der Dinosaurierwiese, die mittlerweile nur noch eine Wiese ist. Was von den Dinos übrig war, wurde eingelagert – in eine alte DDR-Werkshalle, die am Rande des Parks steht und vom Eierhäuschen gut zu sehen ist.

Dort lagern auch Schwanenboote. Sie sind gut durch kleine Gucklöcher zu sehen, die in die Wand der Werkshalle gebohrt und mit Markierungen versehen wurden. Es ist ein Spähen sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft.
Alles, was man hier sieht, wurde gerettet und soll wahrscheinlich irgendwann in den Park integriert werden. Die Schwanenbahn soll auch wieder in Betrieb genommen werden, sie ist das letzte Highlight der Führung. Aktuell sieht man nur eine grüne Wasserfläche – wieder Entengrütze ohne Ende – und die Vorrichtungen, an denen die Schwäne seinerzeit durchs Wasser gezogen wurden, sowie den Bahnhof, wo man einstieg.

Künftig werden es wohl eher Tretboote sein, mit denen man hier herumgondeln kann. Aber das ist noch unklar. Vorher muss geklärt werden, wie es mit der Steifborstigen Armleuchteralge weitergeht. Die wurde nämlich im Schwanenteich gefunden und steht auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.







