Die Blätter an den Bäumen verfärben sich. Mit Temperaturen um die 20 Grad fühlt sich das allerdings immer noch wie Sommer an. Eigentlich wollen wir ja auch gar nicht, dass es Herbst wird. Denn das, was uns erwartet in Herbst und Winter, fühlt sich nicht gut an.
Und das betrifft nicht nur das Wetter. In diesem Jahr würden wir auch darüber hinaus gern am Sommer festhalten, die nähere Zukunft wirkt doch allzu düster.
Da sind das Grauen des Ukraine-Kriegs und die Ungewissheit, was aus Russland militärisch sonst noch drohen mag. Und da sind die hohen Preise, die die Menschen bei jedem Gang in den Supermarkt spüren. Beides trübt die Stimmung schon mal ganz grundsätzlich. Darüber hinaus wird die Bevölkerung aber auch in einem permanenten Alarmmodus gehalten.
In dieser Woche bereitete uns die EU-Kommission etwa auf Blackouts vor. Angesichts des Ukraine-Krieges und der Energiekrise hält die Kommission Stromausfälle für möglich. Es könne also Katastrophenhilfe innerhalb der EU nötig werden, hieß es. Vielleicht müssten Stromgeneratoren wie bei Naturkatastrophen von einem Land ins nächste geliefert werden.
Ein solches Raunen über katastrophale Zustände, die noch nicht eingetreten sind, kennen wir in Deutschland. Über Monate haben wir Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bereits bei der Gasbeschaffung zugesehen. Gas ist knapp – immer noch. Erst floss zu wenig Gas durch die Pipelines aus Russland, dann gar keins mehr. Immerhin sind die Speicher jetzt voll. Die Warnungen jedoch haben wir weiter im Ohr. Und die Ratschläge auch. Weniger heizen, kalt duschen, Waschlappen benutzen. Viele Leute richten sich danach. Andere haben längst aufgehört, sich den Warnungen auszusetzen. Sie ignorieren einfach die Nachrichtenlage.
Schaut man sich die Daten an, die von Umfrageinstituten erhoben werden, sieht man, dass Aufmerksamkeit kein beliebig erweiterbares Feld ist. Die Forschungsgruppe Wahlen fragt in regelmäßigen Abständen, was zurzeit das wichtigste Problem ist. Fast die Hälfte der Befragten bezeichnet im September hohe Preise, Löhne und Kosten als das größte Problem im Land. Auf Platz zwei und drei landen Klima und die Ukraine, aber beide Kurven fallen. Vollkommen abgeschlagen ist alles andere: Corona, Politikverdruss, Renten, Integration und auch das soziale Gefälle. Das war schon mal ganz anders.
Preise weiter hoch
Die Preise werden wohl weiter hoch bleiben. Sie könnten sogar noch steigen. Das geht ebenfalls aus einer Umfrage hervor. Nach einer Recherche im Lebensmittelhandel wollen Unternehmen durchgängig die Preise weiter erhöhen. Auch Gas und Strom werden sich laut der Einschätzung von Ökonomen weiter verteuern, ebenso wie die Preise in der Gastronomie. Wie sich das auswirken wird, kann man sich ungefähr vorstellen. Schon jetzt ist es so, dass unerwartete größere Ausgaben bei fast einem Drittel der Menschen in Deutschland die eigenen Finanzmittel übersteigen. Spielräume gibt es bei vielen schlicht nicht, sie können nur entscheiden, worauf sie verzichten.
Preise sind konkret – jeden Tag im Supermarkt. Anders als die Ankündigungen der Regierung. 200 Milliarden Euro will diese in einen wirtschaftlichen Abwehrschirm pumpen, um die Folgen des russischen Angriffskrieges hierzulande abzumildern. Das ist viel Geld. Es soll vor allem für niedrigere Strom- und Gaspreise ausgegeben werden sowie Unternehmen stützen, die jetzt in Schwierigkeiten geraten. Wie das genau aussehen wird, ist aber noch gar nicht klar.
Die Menschen im Land beobachten nun also die verschiedenen Akteure in der Politik, den Bund und die Länder, beim Aushandeln der Details. Ob sich diese Politik auf dem Seziertisch grundsätzlich auszahlen wird, bleibt abzuwarten. Wir kennen das ja schon aus der Pandemie, als in endlosen regelmäßigen Konferenzen der Regierung mit den Ministerpräsidenten um Schutzmasken und Lockdowns gerungen wurde.
Der Eindruck von Transparenz ist erst mal begrüßenswert. Anders als die Hinterzimmerpolitik vergangener Jahrzehnte passt das auch in die Zeit. Kommunikativ erfolgreich kann die Teilhabe der Bevölkerung an solchen Operationen am offenen Herzen aber nur sein, wenn am Ende auch etwas dabei herauskommt. Ein Vertagen der Probleme wegen Unstimmigkeiten wirkt geradezu wie Gift auf die gereizte Stimmung im Land, wo jeden Montag mehr Menschen auf die Straße gehen und gegen hohe Preise und Kosten demonstrieren. Allerdings ist Kommunikation mit der Bevölkerung eine chronisch unterschätzte Baustelle vieler Regierungen. Und so wirkt das, was wir gerade erleben, wie ein Rückfall in paternalistischere Zeiten.



