Die Debatte über eine Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich nimmt Fahrt auf. Auch in der Berliner Verwaltung sei sie denkbar, sagte jetzt die neue Arbeitssenatorin von Berlin, Cansel Kiziltepe (SPD). In der neuen Landesregierung erhält sie sogar von CDU-Seite Rückendeckung.
Der neue Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sprach am Dienstag von einem „interessanten Vorschlag“ der SPD-Kollegin und verwies auf den Koalitionsvertrag. Darin heißt es wörtlich: „Das Land Berlin soll als attraktiver und moderner Arbeitgeber seinen Beschäftigten ein angenehmes Arbeitsumfeld und gute Arbeitsbedingungen bieten (...).“ Er unterstütze ausdrücklich, sagte Wegner, dass die Landesverwaltung der attraktivste Arbeitgeber der Stadt werden solle. „Und dabei haben wir eindeutig noch Luft nach oben.“
Ob neue Arbeitszeitregelungen zum Ziel beitragen könnten, wollte Wegner am Dienstag nicht bewerten. Doch er verwarf die Idee auch nicht. Im Gegenteil: „Die Frage, die wir beantworten müssen, ist doch: Wie schaffen wir gute Arbeitsbedingungen?“ Vorschläge dazu seien willkommen, sagte er.
Dabei sei es unerheblich, ob ein solcher Vorschlag zuvor im Senat abgesprochen wurde – oder eben nicht, wie im konkreten Fall von Kiziltepe. „Ich habe nichts dagegen, wenn Senatorinnen und Senatoren eine Meinung haben – die wird der Regierende Bürgermeister sicher auch das eine oder andere Mal haben.“ So wurde ein erster möglicher Konflikt in der noch ganz neuen Koalition gelöst, ehe er richtig aufgetreten war.
SPD-Arbeitssenatorin will Jobs in der Behörde attraktiver machen
Dass Kiziltepe, vor ihrem Wechsel in die Landespolitik Bundestagsabgeordnete und Staatsekretärin, der Idee einer Vier-Tage-Woche positiv gegenübersteht, hat mehrere Gründe. Zum einen werden in der Verwaltung bald viele Fachkräfte fehlen – in den kommenden acht Jahren werden mehr als 44.000 Mitarbeiter der Berliner Verwaltung in Rente gehen. Es gilt als sicher, dass nicht genug Personal nachrücken wird.
Daraus schließt die Senatorin: „Wenn wir als Land Berlin ein attraktiver Arbeitgeber sein wollen, müssen wir jungen Menschen gute Angebote machen, wenn wir sie für Jobs in der Verwaltung begeistern wollen. Die Vier-Tage-Woche ist es wert, in einem Modellprojekt erprobt zu werden“, sagte sie dem Tagesspiegel.
Kiziltepe liegt damit auf Linie der Bundes-SPD-Chefin Saskia Esken, die das Thema um kürzere Wochenarbeitszeiten mit vollem Lohnausgleich gerade erst hatte aufleben lassen. Auch für Esken geht es darum, Jobs attraktiver zu machen angesichts des zunehmenden Mangels an Fachkräften. Zwar ging die Nachfrage nach Arbeitskräften laut Bundesagentur für Arbeit erneut leicht zurück. Im Februar 2023 waren aber noch immer 778.000 offene Stellen gemeldet.
Berlin ist Arbeitgeber von 130.000 Beschäftigten
Doch ist eine Vier-Tage-Woche in Berlins Verwaltung überhaupt denkbar? Das Land Berlin ist mit rund 130.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber der Region. Seit Jahren ächzt das Personal unter den wachsenden Anforderungen einer wachsenden Stadt. Hinzu kommen neue Herausforderungen durch die Digitalisierung, die Forderung nach mehr Bürgernähe und das Ziel einer zügigeren Vergabe von Terminen. Oft fehlt es an Personal. Viele Beamte arbeiten zudem in Teilzeit – vor allem Frauen, die auf diese Weise Beruf und Familie unter einen Hut bringen.
Auf der Website des Landes Berlin sind aktuell zahlreiche Stellen ausgeschrieben – vom Erzieher bis zum Energiebeauftragten. Bewerber werden mit Kusshand genommen, heißt es aus der Verwaltung.
Personalmangel ist allerdings nicht nur ein Problem Berlins. Deutschlandweit wird der öffentliche Dienst in den nächsten acht bis zehn Jahren 1,3 Millionen Beschäftigte verlieren. Gleichzeitig gibt es 30 Prozent weniger potenzielle Bewerber. Daher finden sich bereits Vorreiter der Vier-Tage-Woche in der Verwaltung.
In der Stadt Wedel (Kreis Pinneberg) beispielsweise soll sie eingeführt werden. Die volle wöchentliche Arbeitszeit wird sich auf vier Tage verteilen, wo es dienstlich möglich und gewollt ist, so die dortige Verwaltung. Auch Bad Doberan in Mecklenburg-Vorpommern mit seinen etwa 12.000 Einwohnern führt die Vier-Tage-Woche im Rathaus ein.
Doch auch in gewerblichen Branchen kämpfen Befürworter für eine kürzere Arbeitswoche. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann forderte sie am 1. Mai erneut für Arbeitnehmer in der Industrie. Und auch die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Yasmin Fahimi, begrüßte den Vorschlag, auch wenn das keine allgemeine Lösung sei, wie sie betonte. Es müsse „in jeder Branche und es muss vor allem über Tarifverträge geklärt und abgesichert sein“, sagte sie im Deutschlandfunk.
In der SPD gibt es allerdings nicht nur Befürworter. Skeptisch steht dem Vorschlag beispielsweise Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gegenüber; jedenfalls wenn die Vier-Tage-Woche flächendeckend eingeführt werden sollte. Im ZDF sagte er: „Ich kann mir das nicht vorstellen für alle Branchen.“
Auch viele Arbeitgeber reagieren eher ablehnend. Manche wollen sogar noch mehr Arbeitszeit, wie Siegfried Russwurm, Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie, der vergangenes Jahr dafür plädierte, die Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden zu erhöhen, um so den Fachkräftemangel zu bekämpfen.
Andere Staaten sind dagegen schon weiter. Seit 2022 gilt in Belgien beispielsweise ein Rechtsanspruch auf eine Vier-Tage-Woche, allerdings müssen die 40 Stunden in der Woche dann in vier Tagen geleistet werden. In Island durften 2500 Arbeitskräfte über vier Jahre hinweg solch ein Modell austesten. Dabei wurde die 40-Stunden-Woche auf 36 oder 35 Stunden reduziert – bei gleichem Lohn. Am Ende des Versuchs erhielt ein Großteil der Arbeiter in Island das Recht auf kürzere Arbeitszeiten.



