Europa

Türken in Deutschland: „Auch die Jungen haben Erdogan gewählt“

Die Unterstützung für den türkischen Präsidenten in Deutschland ist das Ergebnis einer anderen Familien-Kultur. Eine wichtige Rolle spielt auch die Ditib.

Wahlberechtigte Türken gehen in das Türkische Generalkonsulat zur Abstimmung für die Türkei-Wahlen.
Wahlberechtigte Türken gehen in das Türkische Generalkonsulat zur Abstimmung für die Türkei-Wahlen.Sabine Gudath

Bei den türkischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen haben sich in Deutschland Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan und seine regierende AKP deutlich durchgesetzt. Erdogan kam auf 65 Prozent der Stimmen und konnte dabei auf alle Altersgruppen zählen: „Es wäre ein Fehler zu glauben, nur die Älteren sind für die AKP. Auch die Jungen haben Erdogan gewählt, wir sehen das etwa bei den Erstwählern und jenen, die neu nach Deutschland gekommen sind“, sagte Inci Öykü Yener-Roderburg der Berliner Zeitung.

Die Politikwissenschaftlerin forscht am Institut für Turkistik an der Universität Duisburg-Essen und beschäftigt sich in einem Forschungsprojekt mit dem Wahlverhalten der Türken im Ausland. Sie sieht die Gründe in der türkischen Familienstruktur: „Die jungen Leute haben ein sehr enges Verhältnis zu ihren Eltern. Sie kümmern sich um ihre Eltern, oft pflegen sie die kranke Mutter oder den Vater. Sie haben ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit und daher wählen viele junge Wähler so wie ihre Eltern.“

Yener-Roderburg sagt, Erdogan und die AKP könnten sich in Deutschland auf die starke Organisation durch den türkischen Religionsverband Ditib verlassen: „Die Ditib ist das größte inoffizielle Instrument der türkischen Regierung.“ Die Ditib und die Moschee-Gemeinden spielen im Leben der Türken in Deutschland eine große Rolle: „Die Ditib ist für viele Menschen ihr soziales Umfeld, das ist weit mehr als nur die religiösen Veranstaltungen. Viele Menschen würden ihr ganzes soziales Leben verlieren, wenn es die Ditib nicht mehr gäbe.“

So ist es nicht verwunderlich, dass die Organisation auch erheblichen politischen Einfluss hat. Das Netzwerk rund um die 1000 Moscheen mit ihren vom türkischen Staat bezahlten Imamen sei die Basis der Wahlerfolge der AKP und der Parteien der Regierungskoalition: „Die Ditib hat die Mitglieder der Moscheegemeinden in Bussen zu den Wahllokalen gebracht. Vom Van bis zum Doppeldecker-Bus war da alles vertreten. Die Busse wurden schließlich von Wahlhelfern kontrolliert und den einzelnen Moscheen zugeordnet. Bei dieser Wahl war der Einsatz von den Ditib besonders ausgeprägt.“ Auch wenn es keine direkten Vorgaben gäbe, wer zu wählen sei, herrschte doch „psychologischer Druck“.

Der hohe Organisationsgrad der AKP wirkte sich auch auf das Wahlergebnis aus, da das türkische Wahlrecht keine Briefwahl oder digitale Wahlmöglichkeiten kennt. Dennoch warnt Yener-Roderburg davor, nun alle Türken in Deutschland als Erdogan-Anhänger einzustufen: „Die Wahlbeteiligung lag bei 50 Prozent. Etwas mehr als die Hälfte haben Erdogan gewählt. Das heißt, etwa ein Viertel der in Deutschland lebenden Türken haben Erdogan aktiv unterstützt.“

Für die Oppositionsparteien ist es schwer, sich gegen die Regierungspartei AKP durchzusetzen. So gibt es in jedem Wahllokal vier AKP-Beobachter, die wichtigste Oppositionspartei dagegen, die CHP, kann meist nur einen Beobachter stellen. Yener-Roderburg: „Wenn dieser einmal das Wahllokal verlässt oder eine Pause macht, dann kommt es meistens zu Unregelmäßigkeiten.“ Von Wahlmanipulationen im großen Stil will die Politikwissenschaftlerin nicht sprechen. Sie geht davon aus, dass die Wahlen im Großen und Ganzen auch in Deutschland ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Doch auch einzelne Zwischenfälle seien „ärgerlich“.

İnci Öykü Yener-Roderburg
İnci Öykü Yener-RoderburgPrivat

Ebenfalls problematisch sei die einseitige Information durch die türkischen Medien, die sich mittlerweile alle unter mehr oder weniger direkter staatlicher Kontrolle befänden: „Früher haben die Zeitungen ihre Schlagzeilen wenigstens noch paraphrasiert, heute machen sie sich diese Mühe gar nicht mehr und schreiben alle dasselbe.“ So dominieren die AKP-freundlichen TV-Sender, die über Satellit zu empfangen sind, die Meinungsbildung. Eine Information aus deutschen Medien findet so gut wie nicht statt, es fehle vielen schlicht die Zeit.

Yener-Roderburg glaubt nicht, dass der große Zuspruch für Erdogan an mangelnder Integration liege. Es sei vielmehr so, dass Deutschland es versäumt habe, das Vakuum zu füllen, in dem sich die Einwanderer befanden. So habe die starke Einbindung in die Ditib-Strukturen auch bei jungen türkischen Staatsbürgern dazu geführt, dass diese sich als „die anderen“ fühlen. Inci Öykü Yener-Roderburg: „Die Frage kommt immer wieder in meinen Vorlesungen auf. Man kann sich darauf verlassen, dass meine Studenten sagen: Sie fühlen sich auch in der zweiten und dritten Generation als Türken.“