Berlin-Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat sich am Montag nach einem Besuch in der Region Bad Neuenahr-Ahrweiler betroffen über das Ausmaß der Katastrophe gezeigt. „Ich habe so ein Ausmaß noch nie erlebt“, sagte er. Die Forderungen nach seinem Rücktritt wies der gleichzeitig als „ganz billiges Wahlkampfgetöse“ zurück.
Doch wenige Tage nach der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, bei der nach jetzigen Erkenntnissen mehr als 160 Menschen starben, ist die Debatte um den Klimaschutz in Deutschland voll entbrannt.
Es geht dabei vor allem darüber, ob rechtzeitig und vollständig vor den Überschwemmungen gewarnt wurde. Die britische Hochwasser-Expertin Hannah Cloke warf Deutschland ein monumentales Systemversagen vor. Das Europäische Hochwasser-Warnsystem Efas habe bereits vier Tag vor den Überschwemmungen Warnungen an die betroffenen Regierungen herausgegeben, danach sei aber zu wenig passiert. Der Meteorologe Jörg Kachelmann kritisierte die öffentlich-rechtlichen Medien. So habe der Bayerische Rundfunk am Samstagabend sein normales Programm gesendet, obwohl sich die Lage in Bayern – nur wenige Tage nach der Katastrophe im Westen – zuspitzte.
Für den ehemaligen Präsidenten des Technischen Hilfswerkes und früheren Landesbranddirektor der Berliner Feuerwehr, Albrecht Broemme, liegt das auch an der falschen Sicherheit, in der sich immer noch viele in den Katastrophengebieten wähnen. „Aber dieses Ausmaß der Schäden hätte ich allerdings selbst auch nicht vermutet.“ Er habe mit einem Kollegen aus Ahrweiler gesprochen. Dieser lebe seit Jahrzehnten oberhalb der Ahr. Sein Haus sei bei jedem Hochwasser verschont geblieben – diesmal jedoch nicht. „Wir müssen in den Kopf bekommen, dass auch Gebiete, wo früher nie etwas war, in Mitleidenschaft gezogen werden“, sagte Broemme der Berliner Zeitung am Montag. Natürlich könne man das System der Frühwarnung weiter verbessern. „Doch das kostet Geld.“ Die Warn-Apps auf dem Smartphones seien gut für jene, die ein Gerät besitzen. Viele ältere Menschen hätten aber kein Smartphones und müssten über Sirenen erreicht werden.
Warn-App „Nina“ soll bundesweit ausgebaut werden
Die Bundesregierung will die Warn-App „Nina“ nun zu einer Bundes-Warn-App ausgebauen. Für den Ausbau und die Modernisierung von Sirenen stehen derzeit etwa 90 Millionen Euro zur Verfügung. Zu wenig, bemängelt bereits der Deutsche Katastrophenschutz.
Allerdings ist es mit der Technik allein nicht getan. Nach Aussagen von Michael Dietze, Geomorphologe am Helmholtz-Zentrum Potsdam, könne man Wettervorhersagen in hydrologische Modelle speisen, um Vorhersagen zum Auftreten und zur Wahrscheinlichkeit von Hochwasserereignissen zu machen. Es sei allerdings problematisch, sie genau zu prognostizieren: „Diese Ereignisse laufen sehr schnell ab und sind in ihrer Intensität schwer einzuschätzen.“ Mithilfe von Satellitenbildern und vor allem Seismometern versuchten Forschende seit einigen Jahren, diese Flutwellen in Echtzeit zu verfolgen und deren Intensität zu berechnen. Der Wissenschaftler: „Die Forschung steht dazu noch am Anfang, hat aber immenses Potenzial, um möglichst rasch die Bevölkerung vor solchen Fluten zu warnen, nicht nur hier in Deutschland, sondern in vielen gefährdeten Gebieten weltweit.“
Linkspartei fordert den Rücktritt von Horst Seehofer
Der SPD-Politiker Karl Lauterbach kritisierte am Montag, dass Deutschland beim Katastrophenschutz genauso schlecht vorbereitet sei wie beim Pandemie-Schutz. Den Rücktritt von Seehofer forderten SPD wie Grüne nicht. Anders die FDP. Der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Michael Theurer, sprach von einem Systemversagen, für das Innenminister Seehofer die Verantwortung trage. „Die rechtzeitigen Warnungen der Meteorologen sind weder von den Behörden noch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinreichend an die Bürgerinnen und Bürger kommuniziert worden“, sagte der Fraktionsvize. Auch die Linke forderte den Rücktritt des Innenministers.


