Ich halte nicht viel von Beauftragten. Beauftragten aller Art. Für mich handelt es sich um Amtsträger, bei denen man nicht so richtig weiß, wofür sie da sind und was sie eigentlich den ganzen Tag machen. Eine Alibi-Funktion, deren bloße Existenz einem weismachen soll, da ist jemand, der sich kümmert, der die Probleme schon irgendwie lösen wird.
Einer dieser Amtsträger ist der Ostbeauftragte der Bundesregierung. Es gab einige seit den 90er-Jahren, aber ich kenne kaum ihre Namen, abgesehen von Christian Hirte, der von der Bundeskanzlerin aus dem Amt geworfen wurde, und Marco Wanderwitz, der seine Landsleute als „diktatursozialisiert“ beschimpft hat.
Ich verstehe jeden, der das Amt als Zumutung empfindet, als Diskriminierung der Ostdeutschen. Und lehne diese Haltung dennoch ab. Denn auch ein schwacher Ostbeauftragter ist besser als kein Ostbeauftragter. So hat wenigstens einer in der Bundesregierung die Region im Blick, die in den letzten 32 Jahren einen radikalen Zusammenbruch aller Strukturen erlebt hat, der sich bis heute auf das Leben der Menschen auswirkt. Und auf ihr Denken.
Ein Ostbeauftragter ist besser als gar keiner
Hier ein paar Zahlen: Von den 40 steuerschwächsten Kommunen liegen 36 im Osten der Bundesrepublik, darunter die zehn ärmsten. Ostdeutsche verdienen im Jahr rund 12.173 Euro weniger als ihre westdeutschen Landsleute. Ihre Renten sind monatlich rund 200 Euro niedriger, und das, obwohl Ost-Frauen – im Gegensatz zu denen im Westen – meist voll berufstätig waren. Ostdeutsche erben so gut wie nichts und besitzen kaum Eigentum.
Spitzenpositionen in Politik und Wirtschaft sind – von Ausnahmen abgesehen – mit Westdeutschen besetzt. In der Bundesregierung sind vier von 111 Abteilungsleitern gebürtige Ostdeutsche und einer von 33 Staatssekretären. Der neue Ostbeauftragte Carsten Schneider aus Thüringen wollte eigentlich Minister in der neuen Regierung werden. Alle ostdeutschen SPD-Landesverbände standen hinter ihm. Eine Westdeutsche ist ihm zuvorgekommen.
Der Frust im Osten ist groß. Nur 43 Prozent der Ostdeutschen finden, dass man in Deutschland seine Meinung frei äußern könne, ohne Ärger zu bekommen. Nur 39 Prozent sind mit der Demokratie zufrieden und nur 26 Prozent mit der Arbeit der Bundesregierung.

„Gestörte und Rechtsradikale“
Zahlen, die zeigen, dass es ein Fehler war, nur darauf zu hoffen, dass die Ostler endlich begreifen, wie gut es ihnen im Westen geht, und Pegida- und Anti-Corona-Demonstranten als „Gestörte und Rechtsradikale“ zu bezeichnen, wie es der ehemalige Ostbeauftragte Wanderwitz tat. Ja, viele im Osten sind irgendwie „gestört“, und einige sind rechtsradikal, aber Beschimpfen bringt nichts. Das weiß ich, weil ich Kinder habe, aber auch, weil mir aus meiner Schulzeit in der DDR noch Karl Marx‘ berühmter Satz: „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein bestimmt, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt“ in Erinnerung geblieben ist.
Ein Satz, dessen Bedeutung im wiedervereinigten Deutschland nicht beachtet wurde. Sonst hätte man nicht all die Betriebe abgewickelt, nicht die Institute geschlossen, nicht die Strukturen des gesellschaftlichen und sozialen Lebens zerstört und nicht auf jeden erfolgreichen Ostdeutschen, der auch im Westen eine potenzielle Führungskraft gewesen wäre, einen Stasi-Jäger angesetzt.
Das alles ist passiert. Man kann es nicht mehr ändern. Aber man kann fragen, warum es passiert ist, woher die Gutsherrenattitüde vieler Westdeutscher kommt, ihr Überlegenheitsgefühl, ihr Desinteresse, das „noch nie so groß war wie heute“, wie der Ostbeauftragte Carsten Schneider kürzlich im Spiegel festgestellt hat.
Schneider, 46, wuchs in einem Neubaugebiet in Erfurt auf, seine Mutter war Milchwirtschaftsingenieurin, sein Stiefvater Gießer, seine Kindheit und Jugend in der DDR waren für ihn „die schönste und leichteste Zeit“ seines Lebens. Nach der Wende verloren seine Eltern ihre Arbeit, zogen in den Westen. Schneider glaubt, dass Leute wie sie, die sich von heute auf morgen in einer anderen Welt zurechtfinden mussten, für unsichere Zeiten wie diese gut geeignet sind.
Das glaube ich auch. Und ich habe mich gefreut, das zu lesen. Im Spiegel. So klingt kein Amtsträger, dachte ich, so klingt einer, der seine Aufgabe ernstnimmt, der versteht, dass die Probleme im Osten liegen, aber viele der Ursachen im Westen. Schneider hat angekündigt, den Anteil Ostdeutscher in Führungspositionen zu erhöhen, „in allen Bereichen“, er will dafür einen Plan vorlegen.
Auch darüber freue ich mich. Auf die Headhunter des Ostbeauftragten, die sich im Erzgebirge und im Thüringer Wald auf die Suche nach Spitzenkräften machen. Vielleicht sind sie ja schon unterwegs, wie nach der Wende die Zeugen Jehovas oder die Topf- und Heizdeckenverkäufer.


