Gastbeitrag

Ob Ukraine oder Israel: Warum wir Deutschen immer glauben, moralisch überlegen zu sein

Wenn wir als Deutsche auf die Weltlage blicken, urteilen wir nicht neutral: Wir verdrängen, rechtfertigen und selektieren – und glauben trotzdem, alles richtig zu machen. Ein Kommentar.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, r) spricht mit Johann Wadephul (CDU), Außenminister, in der Generaldebatte in der Haushaltswoche im Bundestag.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, r) spricht mit Johann Wadephul (CDU), Außenminister, in der Generaldebatte in der Haushaltswoche im Bundestag.Michael Kappeler/dpa

Der Film über meine badische Heimatstadt, der mir am meisten unter die Haut ging, war ein kurzer, unkommentierter Schwarzweißfilm, gedreht von den Nazis 1940. Er zeigt die Deportation unserer Juden (heute würde man wohl „jüdische Mitbürger“ sagen) in ein Lager in Frankreich. Alles läuft sehr ruhig und organisiert ab, ohne Gewalt, ohne Exzesse, ohne Proteste. Man sieht eine lange Schlange von dunkel gekleideten Menschen, Koffer tragend, durch die Innenstadt zum Bahnhof marschieren, wie bei einer Prozession. Uniformierte stehen herum, aber sie tun ihnen nichts. Man muss dabei bedenken: Die Betroffenen hatten keinen Grund daran zu zweifeln, dass sie in ein Arbeitslager geschickt würden. Die Wannseekonferenz fand erst zwei Jahre später statt, Todeslager gab es noch nicht.

Berliner Zeitung

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