Alles begann am Abend des 7. Oktober 2022. Im ZDF leitete der TV-Entertainer Jan Böhmermann seine Sendung „ZDF Magazin Royale“ mit den Worten ein: „Heute geht es um das größte Geschenk, das Deutschland jemals Wladimir Putin gemacht hat.“ Gemeint war nicht etwa das Pipeline-Projekt Nord Stream oder Gerhard Schröder, sondern Arne Schönbohm, der ehemalige Präsident des Bundesinstituts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Das Hashtag zur Sendung lautete „Cyberclown“ und ließ erahnen, dass es Böhmermann vor allem darum ging, die Person Schönbohm umfassend zu demontieren.
Schönbohm wurde in der Sendung eine zu große Nähe zu russischen Kreisen und Firmen vorgeworfen, die seine Stellung als oberster Cyberwächter infrage stelle. Obwohl sich keine der Vorwürfe substanziell erhärten ließ, verfehlte der Beitrag nicht seine Wirkung. Im politischen Berlin wurde die Rolle des BSI-Präsidenten Arne Schönbohm heiß diskutiert, immerhin leitete er bereits seit Februar 2016 das Bundesinstitut. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ließ Schönbohm nur elf Tage nach Ausstrahlung der Sendung am 18. Oktober 2022 von seinen Aufgaben entbinden.

Die bemerkenswerte Begründung: „Das notwendige Vertrauen der Öffentlichkeit in die Neutralität und Unparteilichkeit der Amtsführung als Präsident der wichtigsten deutschen Cybersicherheitsbehörde“ sei nachhaltig beschädigt, hieß es aus dem Ministerium. Der Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit mache eine „weitere Amtsführung unmöglich“ – und zwar unabhängig davon, ob die Vorwürfe zutreffen oder nicht.
Schönbohm selbst wollte die gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen. Der geschasste BSI-Präsident forderte ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst, um sich vom Verdacht dienstlicher Verstöße zu entlasten. Dies stieß jedoch beim Bundesinnenministerium auf Ablehnung. Später räumte das Faeser-Ministerium ein, dass sich der Vorwurf etwaiger dienstlicher Verstöße gegen Schönbohm nicht erhärten ließ. Das Kind war allerdings zu diesem Zeitpunkt längst in den Brunnen gefallen, Schönbohm seines Amtes enthoben und öffentlich als „Cyberclown“ (so Böhmermann) unmöglich gemacht.
Dass die Schönbohm-Affäre nun öffentlich neu aufgerollt wird und sich immer mehr zur Affäre Faeser entwickelt, ist vor allem der Verdienst von Schönbohm selbst: Im August 2023 reichte er Klage gegen das Bundesinnenministerium ein. Darin fordert er 5000 Euro Schadenersatz unter anderem wegen Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht und Mobbings. Darüber hinaus nimmt Schönbohm das ZDF in einer Abmahnung wegen einer schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechts auf Schadensersatz in Höhe von 100.000 Euro in Anspruch.
Ob die öffentlichkeitswirksamen Klagen tatsächlich erfolgreich sein werden, ist alles andere als ausgemacht. Eins haben sie jedoch schon erreicht: Sie setzen Faeser unter erheblichen Rechtfertigungsdruck. Anders als der TV-Comedian Böhmermann kann sie sich bei fachlichen Verfehlungen nicht damit rechtfertigen, Satire zu betreiben. Auch wenn die Begründung zu Schönbohms Rauswurf vor dem Hintergrund der katastrophalen Beliebtheitswerte der Ministerin inzwischen selbst satirisch anmutet: Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa für die Bild am Sonntag fordert inzwischen die Mehrheit der Deutschen Faesers Rücktritt. Wenn der Vertrauensverlust der Öffentlichkeit die Amtsführung des BSI-Chefs unmöglich macht – warum gilt dasselbe nicht auch für die Ministerin selbst?
Aufnahme von Migranten aus Italien: Der Schlingerkurs der Innenministerin
Für Faeser kommt die Debatte um die BSI-Affäre zur Unzeit, schließlich kandidiert sie derzeit als SPD-Spitzenkandidatin im hessischen Wahlkampf. Faeser hatte im Vorfeld ihrer Kandidatur deutlich gemacht, dass sie im Falle einer Wahlniederlage in Hessen an ihrem Amt als Innenministerin festhalten will. Der Schlingerkurs der Innenministerin in der Frage, ob Deutschland Migranten von der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa aufnehmen sollte, lässt erahnen, dass die Doppelrolle Wahlkämpferin und Innenministerin keineswegs so leicht zu bewerkstelligen ist, wie von Faeser behauptet. Für die Bürger im Bund entsteht durch die Faeser-Kandidatur in Hessen eine unbefriedigende Situation. Nimmt man Faesers Ansinnen ernst, Ministerpräsidentin werden zu wollen, drängt sich die Frage auf: Wie verbindlich können die Leitlinien ihrer Politik in der Migrationsfrage überhaupt sein? Wird Deutschland erst wieder ab der hessischen Landtagswahl am 8. Oktober wieder über eine handlungsfähige Innenministerin verfügen?


