Bevor seine Mission beginnt, beißt David Kiefer noch mal in seinen Wrap. Der 47-Jährige wohnt am Görlitzer Park, er will seinen Kiez beschützen. Neben ihm stehen am Montagabend in einem Kreis zwölf weitere Anwohner und Interessierte. Die Gruppe hat sich zum Spaziergang durch den berühmt-berüchtigten Park in Berlin-Kreuzberg verabredet. Sie wehren sich dagegen, dass der Kiez als No-go-Area behandelt wird. Und sie wollen sich selbst ein Bild machen.
Der Görlitzer Park ist eigentlich keine hässliche Grünanlage. Wären da nicht die Menschen. Solche Menschen, an denen viele Berliner Anstoß nehmen: Drogensüchtige, Dealer, Kriminelle. Aus Sicht der Initiative „Wrangelkiez United“, die Kiefer mitgegründet hat, sind jedoch auch Polizisten Störenfriede in diesem Park.
Kiefer räumt die Probleme im Viertel, über die in den vergangenen Wochen ausgiebig berichtet worden ist, zu Beginn des Spaziergangs ein. Nur um sie gleich wieder zu relativieren: Schon seit langem werde mit Repressionen gearbeitet. „Es bringt nix“, sagt der Sozialarbeiter. Philipp, ebenfalls an diesem Abend dabei, wird noch deutlicher: Die auf „Repressionen“ basierenden Maßnahmen seien „krachend gescheitert“.
Eine der jüngst geforderten „Repressionen“, gegen die sich Wrangelkiez United ausspricht, ist die von Innensenatorin Iris Spranger. Die SPD-Politikerin plädierte kürzlich für eine Umzäunung des Parks, der dann nachts geschlossen werden könne. Die Eingänge sollten mit Videokameras überwacht werden. Eine Videoüberwachung des gesamten Parks, wie CDU-Politiker es gefordert hatten, sei aber nicht realistisch, sagte Spranger. Sie will den Görlitzer Park zu einem „Musterpark“ machen.
„Verelendung“ von Drogenkonsumenten im Wrangelkiez
Die Gruppe, die sich an der Falkensteinstraße, Ecke Wrangelstraße versammelt hat, ist sich einig: Sie will Sprangers Maßnahmen nicht. Stattdessen sollten „soziale Lösungen“ her. Eine junge Frau, die sich als Astrid vorstellt, ist zudem „total genervt vom Sicherheitsdiskurs“. Und eine andere in Jeansjacke sagt: „Ich finde den Zaun gruselig.“

Die Gruppe bleibt vor einem Späti stehen. Wraps und viel reden machen durstig. Als die Gruppe weiterziehen will, stoppt ein wenig abseits ein Mann mit Fahrrad. Er beißt in einen Knoppers-Riegel und hört zu, wie David von der „Verelendung“ der Drogenkonsumenten im Kiez spricht. Auch eine junge Frau hört zu. Sie unterbricht die Gruppe mit einem lauten Klatschen und einem „Mama hey“-Ruf. Sie trinkt aus einer kleinen durchsichtigen Glasflasche. Dann mischt sie sich in das Gespräch ein.
Ihr bester Freund sei verhaftet worden wegen der Vergewaltigung im Görlitzer Park. Dabei sei er nur in eine Kontrolle geraten. Die junge Frau spricht unzusammenhängend, wirr. Sie war tief drin in der Drogenszene, sagt sie, mittlerweile habe sie sich allerdings von ihr abgewendet. Doch Crack hinterlässt Spuren.
„Egal, was Sie hier besprechen ... Sie müssen mit den Junkies reden“, sagt sie. Die Gruppe will der jungen Frau mit Turban und abgebrochenen blauen Fingernägeln Respekt zollen. „Bleib so straight wie heute“, sagt Nina Hofeditz, auch sie hat sich dem Spaziergang angeschlossen. Kiefer wird später, wenn die junge Frau wieder verschwunden ist, sagen, dass tatsächlich vieles bei der Vergewaltigung noch unklar sei.
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Drogenhandel im Görli: Cannabis, Kokain, Ecstasy – und Crack
Zuvor unterbrach schon eine andere Frau den Spaziergang. Sie berichtete, ihr Rucksack sei ihr im Görlitzer Park vom Rücken gerissen worden. Schlüssel, Geldbörse, alles sei dadrin gewesen. Nun will sie die Täter im Park bestechen, ihnen 100 Euro für den Autoschlüssel geben. Sie sagt, sie habe im ersten Moment direkt wegziehen wollen.
Die Spaziergänger scheinen unbeeindruckt. Eine Mitläuferin weist die Bestohlene darauf hin, dass in der Wrangelkiez-Gruppe – wohl in den sozialen Netzwerken – auch Fundsachen gemeldet werden. Dann ist ja alles gut, oder?
Im Görlitzer Park und den Seitenstraßen grassiert seit weit mehr als zehn Jahren der Drogenhandel, Dutzende Dealer stehen sichtbar den gesamten Tag über an den Eingängen und den großen Wegen, sie bieten Cannabis, aber auch Kokain und Ecstasy an. Doch das ist es nicht allein. Im Juni wurde eine Frau von mehreren Männern vergewaltigt. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) richtet am kommenden Freitag einen Sicherheitsgipfel aus.
Die Frau mit dem Turban hatte die Gruppe ermahnt: „Das, was hier passiert, beeinflusst Kinder.“ Susanne S. aus der Sorauerstraße widerspricht: Mit Drogen komme man auch in Schulen in Kontakt und nicht, weil man zufällig am Görli wohnt und mitbekommt, wie jemand Crack raucht. Susanne S. wohnt seit 23 Jahren im Kiez. Für sie ist der Park ein „erweitertes Zuhause“.
Wrangelkiez United fordert : Mehr Anlaufstellen, Schlafplätze und Konsumräume
Die Wrangelkiez-United-Gruppe steht mittlerweile zwischen zwei Häusern am anderen Ende des Parks in Richtung Görlitzer Bahnhof. Hier sitzen außerdem ein paar Gestalten, die teils nur schemenhaft erkennbar sind, sie trinken aus Tetrapaks. Die Beleuchtung ist mies. Ideale Bedingungen, um sich eine Crackpfeife anzuzünden.
Tatsächlich sei dieser Ort beliebt bei Crackkonsumenten, sagt Sozialarbeiter Kiefer. Eine bessere Beleuchtung? Darüber könne man nachdenken. Er selbst fühlt sich sicher im Park und geht hier auch oft nachts entlang. Aber er sei auch privilegiert als weißer Mann. Zudem habe er als Sozialarbeiter Erfahrung im Umgang mit den Leuten, also den Dealern und Konsumenten.

Wrangelkiez United fordert, dass mehr Anlaufstellen, Schlafplätze und Konsumräume für Drogenkonsumenten zugänglich gemacht werden. Die „Menschen ohne Arbeitserlaubnis“ bräuchten außerdem legale Beschäftigungsmöglichkeiten. Das Gegenteil von „Law and Order“ also.
„Irgendwie muss es schon für die Menschen eine Sinngebung geben“, überlegt Björn J. laut. Man merkt ihm schnell an, dass er von einer restriktiven Drogenpolitik nicht viel hält. Er spricht von „sogenannter Kriminalität“ und ist für die „Legalisierung von Drogen“ – von allen Drogen.
Ein vom Bundeskabinett auf den Weg gebrachter Gesetzentwurf sieht bislang nur vor, Cannabis im Betäubungsmittelgesetz von der Liste der verbotenen Substanzen zu streichen. Für Volljährige soll der Besitz von 25 Gramm erlaubt werden. Zu den Gründen zählen zum einen die Gewährleistung von „sauberen“ Drogen und zum anderen die Hoffnung auf den Rückgang von Delikten, die mit Drogenkonsum einhergehen.
David Kiefer berichtet nun von Aussagen einiger Anwohner und Menschen aus dem Park, wonach die Vergewaltigung innerhalb der Crackszene geschehen sein könnte. „Leute, die Crack nehmen, sind schwer einschätzbar“, sagt er.








