Rückblickend sieht man: Es hat keinen heißen Herbst gegeben und auch keine Volksaufstände, wie Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) einst prophezeite. Durchaus aber ausdauernden Protest gegen die Regierungspolitik. Vor allem im Osten Deutschlands und dort besonders in kleineren und mittleren Städten. Es sind die Montagsdemos, zu denen sich seit Jahren Menschen zusammenfinden.
Mittlerweile haben sich viele in der Politik, den Medien und der Wissenschaft mit diesem Phänomen beschäftigt. Aber dunkle Flecken gibt es noch immer.
Die linksliberale Denkfabrik Progressives Zentrum und die Bertelsmann-Stiftung haben jetzt in einer qualitativen Studie mit dem Titel „Mir reicht’s Bürger“ zusammengetragen, was Teilnehmer selbst als Motive angeben. Befragt wurden rund 200 Menschen – ausschließlich Mitlaufende, keine Veranstalter – von November 2022 bis Januar 2023 an insgesamt sechs Montagen. Am Mittwoch stellten die Studienmacher ihre Ergebnisse in Berlin vor.
Manches davon kennt man schon. Dass sich Teilnehmer beispielsweise in eine rechte Ecke gedrängt fühlen, von der sie sich aber abgrenzen. Und dass es in Städten wie Chemnitz und Gera kaum Gegenproteste gibt. Anderes überrascht dann aber doch.
Zum Beispiel die Beweggründe, auf die Straße zu gehen. Kaum einer der Befragten nennt die steigenden Energiekosten oder die Inflation als wichtigsten Grund. Stattdessen gibt es vor allem Kritik am deutschen Umgang mit dem Ukraine-Krieg, Unzufriedenheit mit der Corona-Politik und eine allgemeine Kritik an der Regierung. Ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber den politischen Akteurinnen und Akteuren, Antiamerikanismus und Nationalismus summieren die Studienmacher.
Viele würden die USA als Kriegstreiber sehen, so Paulina Fröhlich vom Zentrum. „Ein Hund, der bedrängt wird, beißt eben auch irgendwann“, wird in der Studie von einem Teilnehmer überliefert. Dahinter verberge sich aber nicht unbedingt Russlandliebe, sondern Kriegsangst.
Ein anderes Zitat im Zusammenhang zur Regierungspolitik lautet: „Momentan läuft etwas extrem schief. Ich bin ehemaliger DDR-Bürger. Ich habe dafür ein Gespür.“ Die eigene Biografie und die Verunsicherung durch Transformationserfahrungen nach der Wende, Abstiegsängste und das Gefühl, nicht gehört zu werden, treiben der Studie zufolge Menschen auf die Straße und führen auch zu einer Identifikation mit Russland.
Erstaunlich ist das Politikverständnis. Das Scheitern der Impfpflicht werde durch die Proteste als Erfolg der Straße gesehen, so Fröhlich. Es werde direkte Demokratie gewollt. Allerdings verstünden viele darunter, dass es eine Art Volkswille gebe, den Regierende dann nur noch exekutieren.
Aufklärung und Werben für liberale Demokratie
Paulina Fröhlich schlägt vor, der Mobilisierungskraft vor allem Aufklärung und Werben für ein liberales Demokratieverständnis entgegenzusetzen. Vor allem weil Zusammenhänge überhaupt nicht wahrgenommen würden. SPD und FDP kämen in den Äußerungen nicht vor. Entlastende Maßnahmen wie der Doppel-Wumms des Kanzlers würden nicht erwähnt. Enorme Kritik an den Grünen falle keineswegs mit dem Ablehnen ihrer Ziele zusammen. Die Studie zeige, dass die Anti-System-Haltung nicht inhaltlich motiviert sei, sagen ihre Macher.







