Geht es nach Franziska Giffey, soll die Hauptstadt von einer großen Koalition regiert werden. Seit Dienstagabend ist bekannt, dass die SPD-Landeschefin und ihr Sondierungsteam ein Bündnis mit der CDU anstreben. Das würde, wenn auch die Partei will, Koalitionsverhandlungen bedeuten, und sofern diese erfolgreich sind, hätte Berlin bald einen neuen Regierenden Bürgermeister. CDU-Chef Kai Wegner würde als Giffeys Nachfolger ins Rote Rathaus einziehen.
Tatsächlich spricht aus Sicht der SPD manches für ein Bündnis mit den Christdemokraten – zumal die offenbar bereit sind. Allerdings gibt es auch gewichtige Gegenargumente, die mitunter über die Grenzen der Stadt hinaus wirken. Für die Bundespartei und Kanzler Olaf Scholz ist eine CDU-geführte Landesregierung nämlich alles andere als eine verlockende Alternative zur Koalition mit Grünen und Linke.
Schwarz-Rot: Was spricht für ein Bündnis mit der CDU?
Es mag paradox klingen, doch die SPD kann neben der CDU womöglich mehr eigene Projekte umsetzen als in einem Links-Bündnis. Das liegt zum einen an den Christdemokraten, die nach ihrem Sieg bei der Abgeordnetenhauswahl für allerlei Zugeständnissen offen sein dürften, um mit Kai Wegner endlich wieder einen Regierungschef stellen zu können. Sie werden sich biegen, bis die SPD so weit ist, die Vergangenheit, also Rot-Grün-Rot, hinter sich zu lassen.
Überhaupt ist die CDU nicht unbedingt dafür bekannt, dogmatisch an Glaubenssätzen festzuhalten. Was etwa den Umgang mit straffälligen Jugendlichen betrifft, hatte Wegner im Interview mit der Berliner Zeitung bereits angedeutet, dass ihm Präventionsarbeit wichtiger sei als Law and Order. Das klang schon ganz anders als das Wahlkampfgetöse der CDU, es klang eher wie Franziska Giffey. Darüber hinaus gibt es ohnehin viele Schnittmengen zwischen den beiden Parteien, sei es in der Verkehrs- oder in der Wohnungspolitik.
Zum anderen hängt die Sache mit der Umsetzung an den Grünen und der Linkspartei. Eine nach der Wahl geschwächte SPD dürfte es noch schwerer haben als zuletzt, die linke Koalition nicht nur inhaltlich sozialdemokratisch zu prägen, sondern sie auch erkennbar nach außen so zu verkaufen. Sie wäre lediglich eine Prima inter Pares, die Erste unter Gleichen. Denn: Die SPD lag nur 53 Stimmen vor den Grünen.
Sowohl Grüne als auch Linke würden nach ihren schwachen Wahlergebnissen alles dafür tun, die Sozialdemokraten auf Augenhöhe zu halten und die eigenen Profile zu schärfen. Heißt: Es dürfte noch mehr Gerangel geben als bislang. Und auf die SPD käme schlimmstenfalls erneut eine Abgeordnetenhauswahl zu, bei der sie zwar für alle Missstände in der Hauptstadt verantwortlich gemacht, aber nicht als die – im positiven Sinne – prägende Kraft wahrgenommen würde.
Das gilt natürlich auch für ein Bündnis mit der CDU. Immerhin wäre die SPD hier sogar nur Juniorpartnerin. Allerdings sind zwei Parteien immer noch weniger als drei, und: Teilen sich die Genossen das Regierungskabinett mit den Christdemokraten, bekommen sie mehr Senatsposten als in einer rot-grün-roten Koalition. Ob sie auch genügend fähige Kandidaten für diese Posten haben, ist eine andere Frage.
Womit man bei Franziska Giffey wäre. Sollte sich die SPD zu einem Bündnis mit der CDU durchringen, könnte die Parteichefin, sofern sie will, Senatorin werden. Sie wäre landespolitisch nicht abgeschrieben, bekäme vielleicht sogar eine Sonderrolle im Kabinett. Und somit würde es durchaus Sinn ergeben, dass aus Giffeys Umfeld die Präferenz für Schwarz-Rot an die Medien durchgestochen wurde, während CDU und Grüne am Dienstag noch sondierten.
Es könnte aber auch ganz anders kommen, und Giffey plant bereits den Absprung – in die Bundespolitik oder, wer weiß, vielleicht auch ganz woanders hin. In einer rot-grün-roten Koalition wäre sie abermals als Regierende Bürgermeisterin gesetzt. Will sie das überhaupt noch?
Die Plagiatsaffäre als Bundesministerin, das Wahlchaos und die Silvesterkrawalle in Berlin: Die 44-Jährige hat eine aufreibende Zeit hinter sich, sie ist jung genug für etwas Neues. Kommt es zu Schwarz-Rot, kann sie ohne Turbulenzen abtreten. Die Spannungen mit ihrem linken SPD-Landesverband würde die Realpolitikerin Giffey wohl ohnehin nicht vermissen.
Schwarz-Rot: Was spricht gegen ein Bündnis mit der CDU?
Es ist schon auffällig, wie sich die Spitze der Bundes-SPD nach der Wahl für eine Regierung unter Giffey ausgesprochen hat, also für Rot-Grün-Rot. Und das trotz der herben Niederlage und des großen Abstands zur erstplatzierten CDU. Erstaunlich, immerhin hatte die SPD noch vor anderthalb Jahren CDU-Chef Armin Laschet dafür gescholten, nach seiner Schlappe bei der Bundestagswahl mit einer Regierungsbildung geliebäugelt zu haben.
Der Grund für die Haltung der Parteispitze: Schon heute haben die Christdemokraten eine Blockademehrheit im Bundesrat. Dass sie willens sind, diese auch zu nutzen und hin und wieder über die Länderkammer quasi mitzuregieren, beweist das Beispiel Bürgergeld, eines der zentralen Projekte der Genossen. Die CDU lenkte erst dann ein, als es im Dezember zurechtgestutzt worden war.
Nun kann man fragen, was eine weitere CDU-geführte Regierung für die SPD verschlimmern würde, wenn der Bundesrat doch schon mehrheitlich schwarz gefärbt ist. Hier kommt die Landtagswahl in Hessen ins Spiel: Sollten die Sozialdemokraten in Berlin ohne die CDU weiterregieren, könnte sich das Blatt durch einen Sieg am 8. Oktober in Hessen wieder zu ihren Gunsten wenden. Dann etwa, wenn es für eine Ampelkoalition in Wiesbaden reicht.
Zur Erinnerung: In der Länderkammer gilt die Enthaltung einer Landesregierung als Nein – und das würden die Berliner Christdemokraten sicherlich ausnutzen. Da Hessen die einzige Landtagswahl ist, bei der in den kommenden Monaten ein Wechsel im Sinne der SPD zumindest denkbar erscheint, wäre der Verlust des Roten Rathauses überaus schmerzhaft für die Genossen und Kanzler Olaf Scholz. Dann könnte die CDU weiterhin zustimmungsbedürftige Prestigeprojekte der Bundesregierung nach ihrem Willen nachverhandeln.
So viel zur Bundespolitik, doch auch in der Hauptstadt spricht aus Sicht der SPD vieles gegen ein Bündnis mit der CDU. Es ist bekannt, dass der Landesverband grundsätzlich eher links steht. Und es gibt Parteitagsbeschlüsse, die den Ausbau der A100 in Berlin ablehnen oder die Enteignung großer Immobilienkonzerne befürworten. Das sind nur zwei Beispiele, bei denen große Teile der Partei anders ticken als Giffey und deren Verbündete.
Dass Giffey nun darauf drängt, mit der CDU in Koalitionsverhandlungen zu gehen, hat für Unruhe gesorgt. Die Jusos rebellieren bereits. Die Vorstellung, diesmal nicht nur unter einer eher konservativen Parteifreundin zu regieren, sondern lediglich unter Konservativen mitregieren zu dürfen, ist linken Sozialdemokraten ein Graus. Da würde vielen wohl auch der Gang in die Opposition näherliegen, für eine grundlegende Neuaufstellung. Mit dem Gedanken spielten bereits mehrere Genossen, auch in der Fraktion.
Stand heute ist es noch schwer vorstellbar, dass die Berliner SPD, etwa auf ihrem Landesparteitag am 22. April, einer Regierungsbildung mit den Christdemokraten zustimmt. Und das nicht zuletzt, weil die langen Jahre unter einer Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auch an den Genossen in den Ländern nicht spurlos vorbeigegangen sind. Dass die CDU biegsam ist, half ihr in der Vergangenheit nämlich nicht nur bei Regierungsbildungen. Es half ihr auch dabei, sozialdemokratische Politik zu absorbieren und als eigene Erfolge zu verpacken.
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