Ramadan

Ramadan nach dem Erdbeben: Freude und Leid im Herzen

Für Muslime hat der Höhepunkt des religiösen Jahres begonnen. Menschen mit türkischen und syrischen Wurzeln stehen aber noch unter dem Eindruck der Katastrophe.

Ein Kind in einem Auffanglanger in der Provinz Idlib in Syrien
Ein Kind in einem Auffanglanger in der Provinz Idlib in SyrienAbdulaziz KETAZ/AFP

Der Syrer Mohamad Nour Al Dghim kehrte erst kurz vor dem Beginn des Ramadan aus dem Katastrophengebiet zurück. Drei Wochen war er in der Türkei und versuchte, mit einer deutsch-syrischen Hilfsorganisation immer wieder vergeblich den Grenzübergang Bab-al-Hawa zwischen der Türkei und Syrien zu überqueren.

Nach einem ermüdenden Kampf mit Papieren und ihrem Regelwerk verpflichteten Grenzbeamten auf der türkischen Seite gelang es ihm dann doch, in die vom Erdbeben am 6. Februar verwüstete Rebellenprovinz Idlib im Nordwesten Syriens einzureisen.

Der Syrer blieb eine Woche im Katastrophengebiet

Nour Al Dghim blieb eine Woche zwischen Ruinen und Schuttbergen in Syrien. Er leitete als Feldmanager eine mobile Klinik, in der deutsche und deutsch-syrische Ärzte die Opfer des Erdbebens behandelten. Immerhin schloss der Syrer zum ersten Mal seit seiner Flucht nach Deutschland 2015 seine Familie in die Arme. Seine Angehörigen hatten das Erdbeben überlebt. „Ich war sechs Tage lang mit meiner Familie zusammen, das hat meine Seele geheilt“, sagt der Syrer.

Er hat wie viele Muslime in Deutschland in der vergangenen Woche mit dem Beginn des Ramadans am 22. März mit dem Fasten angefangen. Nour Al Dghim verzichtet tagsüber auf Speisen und Getränke. Nach Sonnenuntergang wartet auf ihn und seine Frau das Iftar genannte Fastenbrechen. Traditionell wird zunächst ein Schluck Wasser getrunken und eine Dattel gegessen. Dann kommen Familien und Freunde zur eigentlich Mahlzeit zusammen.

Auch der Ramadan in Deutschland ist schön

Der Syrer hat sich an den Ramadan in Deutschland gewöhnt. Nach seiner Flucht vor dem Krieg in Syrien seien seine Gedanken an Ramadan um die verlorene Heimat gekreist. „Inzwischen freue ich mich darauf, mit Frau und Kind zu feiern, und denke daran, wie wir den Ramadan im Jahr davor begangen haben“, sagt er.

In diesem Jahr wird es ihm wieder schwerfallen, nicht an Syrien zu denken. Die Eindrücke vom Leben in Idlib in Zeltstädten und der flächendeckenden Zerstörung sind noch zu frisch. Auch viele Verwandte hätten Hab und Gut verloren und lebten nun unter Zeltplanen, erzählt Nour Al Dghim. „Das wird ein bitterer Ramadan in Idlib“, sagt der Syrer.

Ihn habe erschüttert, dass besonders viele Kinder nicht mehr zur Schule gingen, sondern arbeiten müssten. Ihre Familien hätten alles verloren. „Normalerweise bekommen Kinder im Ramadan Geschenke in der Schule. Jetzt sind viele Schulen zerstört“, sagt er.

Viele Syrer in Deutschland wollen helfen

Jeder Telefonanruf mit Verwandten erinnere die Syrer in Deutschland, wie gut es ihnen gehe. „Wir haben warme Wohnungen, Essen und vor allem Sicherheit“, sagt er. Die Sorge um Angehörige und Entsetzen über unfassbare Zerstörung in ihrem vom Krieg seit über einem Jahrzehnt gebeutelten Land trübten die Vorfreude auf die eigentlich besinnliche Fastenzeit. Viele Syrer in Deutschland versuchten der Ohnmacht mit Engagement zu begegnen. Bei syrischen Iftaressen würden Spenden gesammelt für die Erdbebenopfer.

Mit dem Zuckerfest Eid-al-Fitr endet der Ramadan. Es beginnt in diesem Jahr am Abend des 21. April.  Wie der Name verrät, werden bei Verwandten- und Bekanntenbesuchen auch viele Süßspeisen serviert. „Ich bin mir sicher, in diesem Jahr werden beim Zuckerfest viele Syrer Tränen in den Augen haben“, sagt Nour Al Dghim.

Das Konservatorium ist wieder eine Musikschule

Die Räume des Konservatoriums für türkische Musik an der Bergmannstraße waren in den Tagen nach der Erdbebenkatastrophe bis an die Decke gefüllt mit Spendengütern. Berliner mit Rucksäcken oder Taschen drängten sich vor der Einfahrt. Sie brachten warme Kleidung, Decken oder haltbare Lebensmittel vorbei, die sie in ihren Schränken und Vorratskammern gefunden hatten. Laster füllten sich mit den Hilfsgütern. Die türkische Luftlinie Turkish Airlines brachte sie mit ihren Maschinen in die Türkei.

Das Konservatorium hat sich von der Spendenannahmestelle zur Musikschule zurückverwandelt. Doch das Erdbeben bleibt präsent. Das Konservatorium organisiert bereits für die Monate April und Mai Benefizkonzerte. Schulleiterin Halime Karademirli klingt, als sei ihr gerade nicht nach Besinnlichkeit. „Es ist so traurig. Immer noch werden Menschen vermisst“, sagt sie.

Schulleiterin will Erdbebengebiet besuchen

Karademirli fliegt am 1. April mit zwei Kolleginnen noch mitten im Ramadan in das Katastrophengebiet. Sie will sich Hilfsprojekte für Waisenkinder anschauen. Sie sollen gezielt mit den Einnahmen der Benefizkonzerte unterstützt werden.

Auch Yakup Ayar, Vorstandsvorsitzender der Neuköllner Sehtilik-Moscheegemeinde ist noch überwältigt von seinen Eindrücken im Katastrophengebiet. Er besuchte unter anderem seine Schwester im schwer zerstörten Antakya. „Das nimmt einen mental mit“, sagt er.

Gläubige sammeln beim Fastenbrechen Spenden

Auch in der Sehtilik-Moschee am Columbiadamm werden Spenden beim gemeinsamen Fastenbrechen gesammelt. Die Gläubigen werden an das Zakat erinnert, eine religiöse Pflichtabgabe für Vermögende zur Unterstützung von Menschen in Not. Junge Gemeindemitglieder verkauften Gebäck in der Moschee und spendeten die Einnahmen für die Erdbebenhilfe.

Das Erdbeben spiele immer noch in Predigten eine große Rolle, berichtet der Vorstandsvorsitzende. Eine Podiumsdiskussion in der Moscheegemeinde hat sich mit Naturkatastrophen aus religiöser Sicht beschäftigt.

Die Gedanken sind bei den Überlebenden der Katastrophe

Die Gedanken vieler Gläubigen seien bei den Menschen in der Erdbebenregion. Dort versammelten sich die Menschen zum Beten und Fastenbrechen in Zelten, da Häuser und Moscheen zerstört seien, erzählt der Vorstandsvorsitzende der Neuköllner Moscheegemeinde.

Religion könne in einer Krise Trost spenden, sagt Ayar. Der Ramadan sei für gläubige Muslime eine Zeit des Nachdenkens und der Gemeinschaft, erklärt er. „Es hat auch etwas Gutes, dass der Ramadan so kurz nach dem Erdbeben begonnen hat“, sagt Ayar.