Kolumne

U-Boot „Titan“ und das Flüchtlingsschiff – welche Meldungen wirklich wichtig sind

Man könnte meinen, wir haben echte Probleme auf der Welt, schreibt unsere Kolumnistin. Und wundert sich, was sie zu lesen bekommt.

Trümmer des Tauchboots „Titan“  werden geborgen.
Trümmer des Tauchboots „Titan“ werden geborgen.The Canadian Press/AP

Wenn ich Nachrichten lese, frage ich mich oft, in welcher Welt wir leben. Wie vor zwei Wochen. Da ging das U-Boot „Titan“, auf der Suche nach dem „Titanic“-Wrack, im Atlantik unter. Reiche Menschen sterben einen sinnlosen Tod, und die Weltöffentlichkeit bekommt Eilmeldungen im Minutentakt. Oder letzte Woche. Da startete der erste kommerzielle Weltraumflug „Galactic 01“ ins All. Ab August gibt es diese Flüge für „private Astronauten“ jeden Monat. Von Klimakrise und Emissionausstößen scheinen die noch nichts gehört zu haben; uns aber wird das Wettrennen um Weltraumreisen für Reiche als Fortschritt für die Menschheit verkauft.

Und vor einigen Tagen forderte Twitter-Boss Elon Musk den Facebook-Chef Mark Zuckerberg zum Käfigkampf heraus. Mixed Martial Arts unter Milliardären, natürlich nur als Spaß unter „echten Männern“. „Tagesschau“, Tagesspiegel und FAZ berichteten, und ich schüttle den Kopf. Man könnte meinen, wir haben echte Probleme auf der Welt. Folgt man aber den Nachrichten, gibt es wohl nichts Wichtigeres als die sinnfreie, egogetriebene Selbstbespaßung von Milliardären. Deren Leben sind so galaktisch weit von unseren entfernt, dass ein Flug ins All nicht weit genug scheint.

Für Medien sind solche Geschichten ein gefundenes Fressen. Sie haben alles, was Nachrichten brauchen, um geklickt zu werden: reiche Menschen, ein Event – ob U-Boot, Raumfahrt oder Käfigkampf – und den Spannungsfaktor. Auch deshalb verfolgen Journalist:innen weltweit Raketenflüge mit angehaltenem Atem. Gäbe es diese Flüge jeden Tag, wäre das mit dem angehaltenen Atem auch vorbei. Das ist Medienlogik.

Beispiel „Titan“: An Bord waren fünf zahlungskräftige Kunden, die für das achttägige Abenteuer je eine Viertelmillion Euro zahlten. Mit den U-Boot-Problemen kamen internationale Rettungskräfte, und aus der ganzen Welt flogen Medien wie die Heuschrecken ein. Tagelang hielten sie die Öffentlichkeit in Atem, „samt des obszönen Countdowns des verbleibenden Sauerstoffvorrats“, wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) kommentierte. Da war das Boot schon längst zerstört. Diese Tatsache „befremdete“, meint die SZ, denn so wurde das Leben der Besatzung für mehr Klicks ausgeschlachtet.

Das ist auch deshalb befremdlich, da kurz vor der „Titan“-Tragödie eine andere Tragödie stattfand – ohne internationale Rettungskräfte und Medien: Vor der griechischen Küste sank ein Boot mit bis zu 750 Menschen. Es dauerte fünf Stunden, bis die Rettungsschiffe eintrafen. Hunderte Menschen starben, darunter viele Kinder. Frontext, die Grenzschutzagentur der EU, soll 14 Stunden lang von der Seenot gewusst haben und griff nicht ein. Auch die griechische Küstenwache war vor Ort und griff nicht ein. Der „Tagesschau“ war das eine Meldung wert. Andere Medien waren wohl zu beschäftigt, immerhin gab es ja „Titan“.

Während das Leben der „Titan“-Besatzung also künstlich verlängert wurde, gingen die Leben Hunderter flüchtender Menschen einfach unter. Sie waren arm – auch daran misst sich der Nachrichtenwert von Menschenleben. Tote Flüchtlinge im Mittelmeer gibt es eh zu oft, das ruiniert den Event-Charakter. Auch das ist Medienlogik.

Vielleicht sollten Musk und Zuckerberg ihren Käfigkampf ja im griechischen Flüchtlingslager veranstalten – so als Spaß unter echten Männern. Sicher wäre das manchen Medien mehr als eine Meldung wert.