Kolumne

Weltretter oder Klimaradikale – nicht die Aktivist:innen sind das Problem

Statt über Umweltschutz und Wirtschaftseliten regen wir uns über die Kleber auf, ärgert sich unsere Kolumnistin. Eindeutig die falsche Priorität.

Polizisten lösen mit schwerem Gerät die festbetonierte Hand eines Aktivisten der Gruppe Letzte Generation von der Straße in Friedrichshain.
Polizisten lösen mit schwerem Gerät die festbetonierte Hand eines Aktivisten der Gruppe Letzte Generation von der Straße in Friedrichshain.Florian Gaertner/imago

Klimaaktivist:innen – Weltretter oder Klimaradikale? Das fragte vor kurzem das NDR-Medienmagazin „ZAPP“ über die Aktivist:innen der Letzten Generation. Die blockieren Straßen, beschmieren Gemälde und bedienen mittlerweile fast jedes Negativklischee: „Kindische Nervensägen“, schrieb vor Monaten die Augsburger Allgemeine (AA), der „gefährliche Wahn der ‚Letzten Generation‘“, titelte dagegen Die Welt.

Dank Razzien und Gerichtsverfahren wird die Bewegung aktuell sogar als „kriminelle Vereinigung“ gehandelt. Ein gefundenes Fressen für Medien. Sie berichten im Minutentakt und ziehen ihre eigenen Schlüsse. „Wer die Klimaaktivisten von die ‚Letzte Generation‘ jetzt noch unterstützt, unterstützt die Falschen“, lautet ein Fazit der AA.

Klimaaktivist:innen haben es nicht leicht in Medien und Politik – von „dumm, jung und naiv“ ging es für sie, laut „ZAPP“, schnurstracks über „brandgefährlich“ und „würdelos“ hin zu „ähnlich wie die Taliban“. Politiker:innen sind „besorgt“, Autofahrer:innen „genervt“ und alle haben Angst vor ihrer „Radikalisierung“ – denn der Bewegung sei „einiges zuzutrauen“, warnt Die Welt.

Das Problem, so scheint es, sind weder die Klimakrise noch deren Ursachen. Nein, das Problem sind kriminelle Klima-Kleber:innen! Medien, wie die Springer-Presse, stempeln sie als emotional und planlos ab oder stellen sie mit dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung auf eine Stufe mit den Hells Angels oder der Mafia, also Schwerstkriminellen. Die blockieren keine Straßen für eine lebenswerte Zukunft, sondern handeln mit Drogen, Waffen und Menschen. Ein kleiner, aber feiner Unterschied und eine Zeile wert, könnte man meinen. Scheinbar nicht für Die Welt.

Kritik an der Letzten Generation kommt auch aus der Politik. Der FDP-Politiker Manuel Höferlin, zum Beispiel, hält deren Klebe-Aktionen für „Erpressung“ und „keine Ausdrucksform legitimen Protests“. Sogar die Grünen stimmen zu. Die Aktionen seien „elitär und selbstgerecht“, meint Irene Mihalic. Das ist bitter – wenn Grün geschichtsvergessen zu Gelb wird, hat das Klima verloren. Am Ende tragen die Klimaaktivist:innen die Schuld – denn sie wissen nicht, wie man „richtig“ protestiert. Das ist das Einmaleins politischer Verantwortungsabschiebung.

Trotzdem ist Kritik berechtigt. Der Klimaforscher Mojib Latif, beispielsweise, hält die Klebe-Aktionen der Letzten Generation für kontraproduktiv. „Weil auf der einen Seite in der Öffentlichkeit kaum noch über das Thema Klima gesprochen wird“, meint Latif in einem ARD-Interview, „sondern vor allem über die Formen des Protestes“. Außerdem gerate die ganze Klimabewegung in ein schlechtes Licht. Latif hat recht, aber liegt der Kern des Übels wirklich nur bei den Aktivist:innen? Immerhin wird Öffentlichkeit doch durch Medien geschaffen, und die hecheln jeder Protestaktion hinterher. Sie berichten über Kleber statt Klima und machen Angst vor Radikalisierung statt konzernnaher Klimapolitik. Warum also nicht besser über produktive Berichterstattung reden?

Ob Weltretter oder Klimaradikale – nicht die Aktivist:innen sind das Problem, sondern unsere Wirtschaftsordnung. Die anzugehen scheint ein Unding. Deshalb machen sich Medien und Politik lieber über „Klima-Chaoten“ statt Wirtschaftseliten her. Diese Strategie ist tatsächlich „elitär und selbstgerecht“ und nervt kindisch.

Anmerkung der Redaktion: Auf Wunsch der Autorin haben wir die geschlechtergerechte Schreibweise übernommen.