Grundrechte

Leidenschaftliches Plädoyer einer Anwältin: Freispruch für Corona-Kritiker

Ein Gericht hat einen Mann freigesprochen, der sich gegen Attacken auf Impfskeptiker wehrte. Er verdiene Dank, keine Verurteilung – so seine Anwältin.

Jessica Hamed und MicLiberal.
Jessica Hamed und MicLiberal.Privat

Im Sommer 2022 sammelte ein Mann, der sich auf Twitter MicLiberal nennt, Attacken von Politikern, Künstlern, Journalisten und Ärzten gegen Ungeimpfte: „Lasst uns Impfverweigerer mit dem Blasrohr jagen, Waidmanns Heil!“, „Wer sich nicht impfen lässt, ist ein Idiot“, „Deine Party ist Omas Tod“ war da zu lesen. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage, weil mit den Zitaten angeblich eine „Feindesliste“ erstellt worden sein soll. Damit soll die Sicherheit der Verfasser gefährdet worden sein. Vor dem Amtsgericht Köln wurde der Fall, der schon eine turbulente Vorgeschichte hat, am Mittwoch verhandelt. Der Mann wurde freigesprochen. Seine Anwältin Jessica Hamed sagte der Berliner Zeitung: „Heute ist nicht nur ein guter Tag für meinen Mandanten, sondern auch für die Meinungsfreiheit. Das Gericht hat den Freispruch im wesentlichen mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit begründet und folgte im Ergebnis unserer rechtlichen Würdigung.“

In ihrem Eröffnungsstatement und im Schlussplädoyer begründete Hamed ihre Position – der sich das Gericht anschloss.

Wir dokumentieren im folgenden die entscheidenden Passagen:

Mein Mandant ist ein glühender Verteidiger der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, er setzt sich für sie uneingeschränkt ein. Mein Mandant hat mit seinem Tweet eine Debatte ausgelöst, die die Gesellschaft dringend gebraucht hat.

Es ist nicht nur legitim, sondern sogar ethisch geboten, derartige grenzüberschreitenden Äußerungen von Menschen, die eine herausgehobene gesellschaftliche Stellung einnehmen (z. B. als Politikerin oder Arzt), scharf zu widersprechen. Denn diese Äußerungen waren diskriminierend und bedrohten den sozialen Frieden.

Es soll rechtens sein, sich öffentlich mit den – auch von meinem Mandanten zitierten – Worten: „Wenn die hirntoten Risikopiloten durch die Aerosole zischen, wird es ganz viele noch erwischen!“ (Udo Lindenberg) zu äußern, aber Kritik daran soll nicht erlaubt sein? Auch der Altbundespräsident Gauck darf sagen: „Impfgegner sind Bekloppte“, aber mein Mandant darf nicht sagen, dass durch diese Äußerungen andere Menschen beleidigt, diffamiert und ausgegrenzt wurden? Das grenzt an Täter-Opfer-Umkehr und würde den Gesetzeszweck ins Gegenteil verkehren.

Die Corona-Zeit war eine gesellschaftlich herausfordernde, polarisierende Zeit. Von diesen Spaltungen darf sich die Justiz aber nicht vereinnahmen lassen. Sie muss dem Anschein, manche Menschen intensiver im Blick zu behalten als andere, entschieden entgegentreten.

Regelmäßig erfolgt das spätestens, wenn man bei Gericht zusammenkommt und nüchtern die Sach- und Rechtslage diskutiert. Ich bin zuversichtlich, dass das auch heute gelingt.

Es handelt bei der Äußerung meines Mandanten um eine evident zulässige Meinungsäußerung zu der breit kritisierten Ausgrenzung von nicht gegen SARS-CoV-2 geimpften Menschen.

Mein Mandant hat lediglich Zitate von (fast ausschließlich) Personen des öffentlichen Lebens wiedergegeben, die diese zuvor öffentlich – und nicht etwa im privatem Rahmen – geäußert hatten.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass in einer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung nicht nur erlaubt ist, sich kritisch mit öffentlichen Äußerungen auseinanderzusetzen, sondern geradezu geboten, da die Öffentlichkeit der Ort der Meinungsbildung ist. Demokratisches und zivilgesellschaftliches Engagement erschöpft sich nämlich nicht in dem Gang zur Wahlurne, sondern entfaltet sich gerade durch öffentliche Meinungsäußerungen im Meinungsaustausch.

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Der Meinungsäußerung sind dabei von Verfassungs wegen nur sehr enge Grenzen gesetzt, auch scharfe, anklagende Äußerungen sind erlaubt, soweit nicht die Grenze, die die Äußerungsdelikte markieren, überschritten wird.

Wer sich öffentlich äußert und dazu gehören auch Aussagen, die auf einer öffentlich zugänglichen Homepage gemacht werden und sich an eine unbestimmte Anzahl an Menschen richten, wie etwa auch auf einer Praxishomepage, muss damit rechnen, dass seine Aussagen kommentiert, bewertet, sozial verurteilt usw. werden. Es gibt nämlich keinen Anspruch darauf, widerspruchs- und kritiklos seine Ansichten der Öffentlichkeit mitzuteilen zu dürfen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Strafbarkeit an gleich drei Punkten scheitert: Weder ist das Verhalten meines Mandanten bei verständiger Auslegung der Vorschrift geeignet, die betroffenen Personen einer der besonders genannten Gefahren auszusetzen, noch ist es dazu bestimmt und es fehlt darüber hinaus auch an einer vorsätzlichen Begehungsweise.

Hier geht es zwar konkret um meinen Mandanten, aber gleichzeitig wird heute auch darüber entschieden, ob Menschen durch Strafandrohungen immer weiter ins Private gedrängt werden. Es liegt auf der Hand: Würde mein Mandant heute verurteilt, ginge von dieser Verurteilung eine verheerende Signalwirkung aus.

Und das, in einem Klima, das in Punkto gefühlte Meinungsfreiheit so schlecht wie nie zuvor ist:

Aus einer Ende 2023 veröffentlichten Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach und des Medienforschungsinstituts Media Tenor geht nämlich hervor, dass die gefühlte Meinungsfreiheit in der Bevölkerung den tiefsten Stand seit den fünfziger Jahren erreicht hat. 44 Prozent sind hiernach der Meinung, dass sie mit freien Meinungsäußerungen vorsichtig sein müssten, nur 40 Prozent gaben an, dass sie ihre politische Meinung frei äußern können.

Rostalski und Hoven ist vor diesem Hintergrund zuzustimmen, dass § 126a StGB ein gefährliches Einfallstor für politisches Strafrecht ist: „Die erklärte Zielsetzung, den Diskurs zu verbessern, soll nämlich offenbar dadurch gelingen, dass der Diskurs zumindest teilweise beschnitten wird. Diese Strategie erweist sich alles andere als zielführend: Tabus oder spezifische Äußerungsverbote zu etablieren, kann, vor allem wenn die Vorschriften zu weit reichen, auch das Gegenteil bewirken: Insbesondere ein nicht mehr maßvoller Eingriff des Strafgesetzgebers in den offenen Meinungskampf führt zu einer Verhärtung von Frontstellungen, die es indessen unbedingt aufzubrechen gälte, um das gesellschaftliche Gespräch wieder auf ein konstruktiveres Niveau zu heben. Anstatt allerdings Wege zu ersinnen, um die innerhalb der Gesellschaft vorhandenen Brüche zu überwinden, wählt der Gesetzgeber immer häufiger die Waffe des Strafrechts, um Schweigen zu gebieten, wo eigentlich die Möglichkeit verbleiben sollte, im Gespräch zueinander zu finden. […] Die Anwendung des Strafrechts gerade in diskurssensiblen Bereichen birgt die Gefahr, die Korridore gesetzlich zulässiger Meinungsäußerung immer weiter zu verengen.“

Der Rückzug ins Private ist nicht nur im Hinblick auf die Entwicklung von Radikalisierungstendenzen gesellschaftlich hochproblematisch, sondern auch unter Demokratiegesichtspunkten. Eine pluralistische Demokratie lebt nämlich vom öffentlichen Meinungskampf. Das heißt, es geht heute auch darum, wieviel Demokratie wir in Zukunft wagen wollen. Die Antwort liegt dabei von Verfassungs wegen klar auf der Hand.

Mein Mandant hat sich mit der Veröffentlichung seiner Tweets nicht strafbar gemacht. Das Gegenteil ist der Fall: Er hat den gesellschaftlichen Diskurs bereichert. Dafür gebührt ihm Dank; keine Verurteilung.

Ich beantrage daher, meinen Mandanten aus Rechtsgründen freizusprechen.