Kommentar

Korruption in Europa: Aufräumen und Härte zeigen

Säcke voller Geld aus Katar in den Schränken von europäischen Spitzenpolitikern – Augen reiben reicht nicht. Ein Kommentar.

Eva Kaili, stellvertretende EU-Parlamentspräsidentin
Eva Kaili, stellvertretende EU-Parlamentspräsidentindpa/European Parliament | Eric Vidal

Am Anfang einer neuen Woche reiben wir uns verwundert die Augen. Die Reihe märchenhafter Vorgänge in dieser an seltsamen Ereignissen reichen Vorweihnachtszeit reißt nicht ab. Erst landen Reichsbürger Prinz Reuß und eine Ex-Bundestagsabgeordnete von der AfD mit anderen Verschwörern aufgrund bewaffneter Umsturzpläne in der Untersuchungshaft. Jetzt findet eine Staatsanwaltschaft Säcke voller Geld im Schrank einer sozialdemokratischen EU-Vizepräsidentin, die sich offenbar hat kaufen lassen.

Die Anzahl nebulöser Vorgänge auf der Ebene von Spitzenpolitikern ist gerade recht beeindruckend. Man muss schon schwarzen Humor haben, um darauf noch heiter zu reagieren. Langweilig ist die Adventszeit in diesem Jahr jedenfalls nicht.

Im Falle der europäischen Spitzenpolitikerin Eva Kaili fasziniert gerade vor allem die Gleichzeitigkeit der Ereignisse. Während in Katar die umstrittenste Fußballweltmeisterschaft aller Zeiten noch läuft, zeigt sich der autoritäre Staat Katar erneut als schwieriger Partner für strategische Allianzen. Wenn sich die Vorwürfe der belgischen Staatsanwaltschaft bewahrheiten, hat sich hier eine Gruppe griechischer und italienischer Sozialdemokraten von Katar schmieren lassen, um für das Emirat in Europa gutes Wetter zu machen.

600.000 Euro in bar sind bei den Beschuldigten gefunden worden. Der Vorwurf: Mit dem Geld sollten wirtschaftliche und politische Entscheidungen des Europäischen Parlaments zugunsten von Katar beeinflusst werden. Kaili jedenfalls bietet für diese Deutung allerlei Anhaltspunkte. Katar habe alle notwendigen Aufforderungen im Bereich des Arbeitsmarktes zu aller Zufriedenheit umgesetzt und erfülle jetzt eine Vorreiterrolle bei den Arbeiterrechten, hatte sie bei einem Besuch im Emirat Anfang November öffentlichkeitswirksam und zum Erstaunen von Beobachtern verkündet. Sie sah die WM als Beweis für die These, dass Sportdiplomatie Wandel bewirken könne.

Ach ja? Komisch, dass die EU zeitgleich über Visaliberalisierung mit Katar verhandelt. Nach dem Fund der Geldberge ist das erst mal ausgesetzt. Das Problem ist allerdings größer.

Katar fällt ja nicht zum ersten Mal auf. War nicht die Fußballweltmeisterschaft vor allem deshalb nach Katar gegangen, weil Geld geflossen ist? Zahlreiche Mitglieder des damals für die Vergabe der WM zuständigen Fifa-Exekutiv-Komitees sind der Korruption überführt worden.

Katar kauft sich Zugang nach Europa

Ein Staat erkauft sich den Zugang nach Europa und auf die internationale Bühne. So sieht es aus. Ein Gericht ordnete jedenfalls am Sonntag schon mal für vier Beschuldigte, darunter Kaili, Untersuchungshaft an.

Das Ganze wird sich jetzt möglicherweise zu einem Bumerang für Katar entwickeln. Denn es gibt nur eine Möglichkeit für Europa, die Demokratie vor weiterem Schaden zu bewahren. Aufräumen und Härte zeigen. Wir haben gerade schon genug Probleme innerhalb des eigenen Ladens bei diesem Thema. Wie kann die europäische Gemeinschaft noch glaubwürdig gegenüber ihrem eigenen Mitglied Ungarn auftreten, dessen Mittel gekürzt werden sollen, weil fortgesetzt EU-Geld zweckentfremdet wird, wenn die Parlamentsspitze selbst nicht frei von Verdacht ist?

Die Frage, wie ernst nehmen wir den Kampf gegen Korruption, gehört auch angesichts autoritärer Kräfte unter Rechtspopulisten und Europagegnern ins Zentrum aller Erwägungen nach innen wie nach außen. Kann die Golfregion unter diesen Voraussetzungen ein strategischer Partner sein? Das ist auch eine schwierige Frage für Deutschland, das gerade seine Energiekrise mit Gas aus Katar abzumildern versucht. Es hilft aber nichts zu jammern.

Die Basis ist zumindest in Deutschland solide. Das gilt auch, wenn Studien wie beispielsweise eine Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema Vertrauen in die Demokratie vor zwei Jahren Besorgniserregendes zutage gefördert haben. So ist etwa weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland damit zufrieden, wie die Demokratie in unserem Land funktioniert. Zwei Drittel glauben der Studie zufolge, dass es den nachfolgenden Generationen schlechter gehen wird. Die Unzufriedenheit richte sich dagegen, wie das politische System funktioniert und entzünde sich an den Ergebnissen von Politik, schrieben die Autoren der Studie.

Allerdings fanden sie nur eine verschwindend geringe Minderheit von einem Prozent der befragten Menschen, die anstelle der Demokratie lieber ein autoritäres Regierungsmodell in Deutschland hätte. Es geht um die Art und Weise, wie Menschen beteiligt werden und was am Ende für sie herauskommt, nicht um die Frage, ob Demokratie das richtige System ist.

Dass Korruption das Vertrauen in Politik schmälert, ist eine grundlegende Erkenntnis. Einen solchen Verlust können wir uns allerdings gerade jetzt überhaupt nicht leisten.