Der Europäische Gerichtshof stellt unmissverständlich fest: Die allgemeine und anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist nicht mit EU-Recht vereinbar. Sie ist auch nicht mit den Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats vereinbar. Wir sollten hinzufügen: Sie verstößt nicht nur gegen das Rechtsstaatsgebot der Unschuldsvermutung, sondern schafft, indem sie unterschieds- und ausnahmslos jeden Bürger unter Generalverdacht stellt, ein Klima des Misstrauens. Noch etwas emphatischer: Sie vergiftet und zerstört die sittlichen Grundlagen unsere Zusammenlebens.
Das jüngste Urteil des EuGH ist nicht das erste in dieser Angelegenheit. Seit 2014 werden die europäische Regierung ermahnt und angehalten, das für sie konstitutive Rechtsstaatsprinzip einzuhalten. Was sie bislang allerdings nicht davon abgehalten hat, an den Bürgerrechten herumzumachen. Auch die Merkel-Regierungen waren munter dabei, zuletzt versuchte die große Koalition mit kürzeren Speicherfristen die ganze Sache europa- und grundrechtskonform zu machen. Frei nach dem Motto: Die Light-Version des totalen Überwachungsstaats ist doch nicht so schlimm.
Der EuGH lässt ein Hintertürchen offen: schwere Kriminalität
Die Richter in Luxemburg sehen das allerdings anders: „Die Speicherung von Verkehrs- oder Standortdaten, die Informationen über die Kommunikationen des Nutzers eines elektronischen Kommunikationsmittels oder über den Standort der von ihm verwendeten Endgeräte liefern können, ist in jedem Fall schwerwiegend, unabhängig von der Länge des Speicherzeitraums und von der Menge oder Art der gespeicherten Daten.“ Die unsrigen Politiker wird’s wohl nicht anfechten: Die fixe Idee, mit mehr Überwachung auch mehr Sicherheit zu schaffen, scheint einfach zu verlockend zu sein.
Eine Kultur der Freiheit sähe anders aus. Aber um die scheints in Europa derzeit ohnehin schlecht bestellt zu sein. Dabei unterbreiten die Luxemburger Richter auch dafür Vorschläge oder, schließlich betreiben sie Rechtsprechung und keine Politikberatung, geben zarte Hinweise.
Zum einen geht es um diese Grundsatzabwägung: „Angesichts der Schwere des mit dieser Vorratsdatenspeicherung verbundenen Eingriffs in die Grundrechte, die in den Art. 7 und 8 der Charta verankert sind, sind neben dem Schutz der nationalen Sicherheit nur die Bekämpfung schwerer Kriminalität und die Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit geeignet, diesen Eingriff zu rechtfertigen.“ Nennen wir die Fokussierung auf „schwere Kriminalität“ mal ein Hintertürchen, das man der Politik offen hält.
EuGH: Es gibt bewährte Alternativen zur totalen Überwachung
Zum anderen verweisen die Richter auf Alternativen: „Hierzu ist (…) festzustellen, dass die Wirksamkeit der Strafverfolgung im Allgemeinen nicht von einem einzigen Ermittlungsinstrument abhängt, sondern von allen Ermittlungsinstrumenten, über die die zuständigen nationalen Behörden zu diesem Zweck verfügen.“ Anders gesagt: Dazu gehört auch die gute alte, die klassische polizeiliche Ermittlungsarbeit, die es also längst gibt und die sich heute selbstverständlich aller elektronischen Mittel bedienen darf.
Spätestens hier wäre es an der Zeit, über die Kosten zu sprechen, die wir für unsere Sicherheit und Freiheit zu zahlen bereit sind. Die immer wieder aufkommende Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung ist der blanke Populismus von Politikern, die gern so tun, als würden sie tatkräftig etwas gegen die Übel dieser Welt tun – eine Macherillusion – und dabei doch nichts zum Besseren beitragen.





