Meinung

Eingemauerte Arme, gigantische Zähne: Die Macht der Bilder von Lützerath

Die Abbaggerung ergibt auf verquere Weise durchaus einen Sinn. Denn das Ende dieses Dorfes könnte Menschen animieren, sich den Klimaaktivisten anzuschließen. Ein Kommentar.

Das Bild postete die Klimaaktivistin Luisa Neubauer am Donnerstag auf Twitter.
Das Bild postete die Klimaaktivistin Luisa Neubauer am Donnerstag auf Twitter.Twitter/Luisa Neubauer

Die Bilder aus dem nordrhein-westfälischen Dorf Lützerath, besonders die aus den Nächten, sind von beeindruckender Imposanz. Wie gigantische Zähne fräsen sich riesige Schaufeln ins Erdreich. Harter Stahl gräbt in weichen Boden. Runde um Runde drehen sich die Schaufelräder und verschlingen eine Kante, die eben noch da war.

Wird der Blick weiter, erfasst er die monströse Maschine und dahinter eine geschundene, tote Mondlandschaft im Abgrund. Schier endlos wirkt der Krater am Rande von Lützerath bereits jetzt. Verengt sich der Blick, sieht man Polizisten mit Helm und Schild in einer Reihe vor der Maschine stehen, als ob sie den Schaufelradbagger vor einem Angriff beschützen müssten.

Wer noch Bilder gebraucht hat, um zu begreifen, was der moderne Mensch – also wir alle – unserem Planeten gerade wieder einmal antut in seinem Hunger nach energiebringender Kohle, der hat sie in dieser Woche noch einmal in Lützerath gefunden. Dies ist vielleicht der größte Effekt, den die Räumung des kleinen Dorfes von Klimaaktivisten und der Beginn der Abrissarbeiten an den Häusern erzielt. Es sind noch einmal Bilder entstanden, die den Raubbau des Menschen und den Einsatz der Staatsmacht für den reibungslosen Ablauf dieser Ausbeutung der Natur eindrucksvoll belegen.

In luftiger Höhe: Demonstrant und Baggerschaufel.
In luftiger Höhe: Demonstrant und Baggerschaufel.dpa/Rolf Vennenbernd

Bilder sind mächtig. Nie werden Zusammenhänge deutlicher, als wenn man sie direkt vor Augen hat. Die Klimaaktivisten wissen das. Sie posten die Bilder von der menschengemachten Naturzerstörung und der Räumung ihres Klimacamps in den sozialen Medien. Deutschlands bekannteste Klimaaktivistin Luisa Neubauer versieht sie auf Twitter mit den Worten „Es ist alles so falsch. #Lützerath“.

Wenn die Dorfbesetzer keinen Fehler machen und die polizeiliche Räumung nicht doch noch mit Gewalt beantworten, werden diese Bilder der Klimabewegung nützen.

Abriss der Baumhäuser: Polizisten auf einem Hebekran.
Abriss der Baumhäuser: Polizisten auf einem Hebekran.AFP/Ina Fassbender

Dagegen ist nichts einzuwenden. Das kleine Lützerath ist schließlich längst zum übergroßen Symbol für eine fehlgeleitete Energiepolitik geworden. Dass der Ort und die Flächen drum herum noch abgegraben werden, obwohl der Ausstieg aus der Braunkohle längst beschlossen ist und auf 2030 vorgezogen werden soll, ist im Grunde ein Geschenk für jeden Klimaschützer. Denn das wirkt an Sinnlosigkeit kaum noch überbietbar.

Da nützt es auch nichts, dass fünf andere Dörfer dafür vor den Schaufeln gerettet wurden und der Energiekonzern RWE, der den Tagebau betreibt und die Räumung verlangt, nur sein vor Gericht bestätigtes Recht durchsetzt. Oder dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den Fall von Lützerath als „Schlussstrich“ unter die Kohleverstromung bezeichnet und als notwendiges Übel für die Energiesicherheit und den vorgezogenen Ausstieg aus der Braunkohle. Es macht die Sache nicht besser, dass das Dorf von seinen ursprünglichen Bewohnern längst verlassen ist, weil sie sich am Ende eines langen Kampfes von RWE auszahlen ließen.

Dass dieses Dorf noch abgebaggert wird, obwohl Deutschland in sieben Jahren aus der Kohle aussteigt und absehbar klimaneutral werden will, die allermeisten Menschen es für notwendig halten, beim Klimaschutz schneller voranzukommen als bisher, und Braunkohle als schlimmer Klimakiller gilt, ist tatsächlich nur eins: absurd.

Beste Voraussetzungen also für ein gutes Symbol.

Unabhängig davon, ob man die Methoden gutheißt, ist es durchaus beeindruckend, welche Mühsal einzelne der jungen Klimaschützer an diesem Ort auf sich genommen haben. Mit teils eingemauerten Armen oder Beinen hockten sie im kalten Nieselregen auf Straßen und Zufahrten, bis Polizisten sie mühevoll wieder herausmeißelten. Sie saßen auf Dachkanten im Gegenwind, bis Rettungskletterer sie wieder herunterholten. Ein bemerkenswerter körperlicher Einsatz. Wenn einzelne sich anschließend enttäuscht zeigten, dass es nicht gelungen sei, das Dorf zu verteidigen, ist das vielleicht verständlich – allerdings unnötig. Denn auch dieser vergebliche Einsatz nützt der Klimabewegung. Er verstärkt die Erzählung vom energiepolitischen Irrweg und vom Kampf David gegen Goliath.

Lützerath könnte so gesehen – im Sinne von Robert Habeck – nicht nur das Ende von etwas sein, sondern auch ein Anfang. Vielleicht werden wir demnächst mehr Menschen sehen, die für einen besseren Klimaschutz protestieren und gegen ein Weiter-so. Das bildgewaltige Ende von Lützerath könnte Menschen animieren, sich den Klimaaktivisten anzuschließen. Das Abbaggern des Dorfes gewönne so auf eine verquere Weise durchaus noch einen Sinn.