Kriegszeiten sind Krisenzeiten und immer auch Zeiten des massiven Sinneswandels. Nicht nur Politiker der Grünen – die vor kurzem noch als pazifistische Partei „gelesen“ wurde – fordern offen und laut die Lieferung von immer mehr Kriegsgerät an die Ukraine. Auch im Alltag ändert sich der Tonfall: In Berliner Kneipen diskutieren die Leute tatsächlich darüber, ob ein präventiver Atomschlag gegen Moskau nicht eine sinnvolle Option wäre. Solche Gedanken wären vor neun Monaten undenkbar gewesen.
Gleichzeitig ist Putins Krieg gegen die Ukraine nicht mehr jeden Tag die Nummer eins in den Nachrichten. Derzeit rückt wieder der Klimawandel in den Vordergrund – und schon bahnt sich eine Grundsatzdebatte an. Nicht darüber, was getan werden sollte, sondern darüber, wie die Ziele durchgesetzt werden sollen. Im Kern ist es eine Diskussion über die Zukunft der Demokratie, darüber, ob die Langsamkeit und Abgewogenheit der Debatten in westlichen Ländern nicht untauglich sind, um doch noch die Kurve beim Klima zu bekommen. Die Frage lautet: Wäre nicht mehr Radikalität nötig? Wäre nicht eine „gute Ökodiktatur“ sinnvoll, um den Weltuntergang zu verhindern?
Die allgemeine Verunsicherung zeigt sich auf den Straßen Berlins: Die Vorkämpfer einer selbsternannten letzten Generation kleben sich auf die Straße, um das gesellschaftliche Leben zu blockieren. Diese kleine radikale Minderheit will die aus ihrer Sicht desinteressierte Mehrheit nicht mehr in demokratischen Debatten überzeugen. Die Straßenkleber verstehen sich als Avantgarde, die die Mehrheit zum Umdenken zwingen will.
Zeitgleich offenbart die Klimakonferenz in Scharm El-Scheich mal wieder, wie schwer es ist, Kompromisse zu finden. Eines ist sicher: Egal, was in der Abschlusserklärung steht, hinterher heißt es: Das reicht nicht, um noch etwas ernsthaft zu ändern. Also doch lieber ein wenig Ökodiktatur mit Verboten und einer staatlichen Lenkung der Wirtschaft?
Als Vorbild dient die britische Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg, die zwar noch Kapitalismus war, weil die Fabriken in den Händen der Kapitalisten blieben, aber die Regierung legte die Ziele fest, damit nichts Unnötiges produziert wurde, damit die Bevölkerung überlebt und die Armee versorgt wird. So ähnlich wollen einige nun den Kampf gegen das Klima gewinnen.
Derzeit lebt die Hälfte der Menschheit in Autokratien, und keines dieser Länder hat bislang eine Ökodiktatur ausgerufen. Einige hoffen nun auf gelenkte Ökologie in China. Die Kommunisten setzen zwar auch auf Solarstrom, lassen aber noch viel mehr Kraftwerke mit fossilen Brennstoffen bauen. Außerdem ist der chinesische Weg zumindest für den Westen kein attraktives Modell.
Andere sagen: Wir brauchen endlich echten Ökokapitalismus, einen knallharten Wettbewerb für die besten technischen Klimalösungen und einen weltweiten Markt, auf dem Kohlendioxid so teuer zu bezahlen ist, dass niemand den Stoff mehr gedankenlos produziert.
Es wird also mal wieder die Systemfrage gestellt, und der Ausgang der Debatte ist offen. Die meisten wissen zwar, dass das ewige kapitalistische Versprechen von Wohlstand und Wachstum eigentlich längst an seine Grenzen gekommen ist und dass Verzicht unverzichtbar ist. Aber die ganze Wirtschaft ist auf Wachstum angelegt, und kaum eine Partei kann Wahlen mit dem Motto gewinnen: Verzicht ist geil.
Leute mit etwas Diktaturerfahrung zum Beispiel aus der DDR wissen: Eine gute Diktatur kann es nicht geben, denn jede Macht, der erlaubt wird, alleinherrlich zu herrschen, wird schnell absolut. Aber Planungen und Marktwirtschaft schließen einander nicht aus. Beispielsweise will die Bundesregierung, dass unökologische Gas- und Ölheizungen in Einfamilienhäusern durch moderne Wärmepumpen ersetzt werden. Jedes Jahr 500.000 Stück. Das ist quasi ein „ökodiktatorisches“ Ziel. Gleichzeitig ist es ein Markt von jährlich zehn Milliarden Euro, der Wettbewerb verspricht sowie Gewinne und Arbeitsplätze.



