Kommentar

Der Tod der Queen könnte Großbritannien kollabieren lassen

Unsere Autorin ist Britin und kennt keine Welt ohne die Queen. Ihr Tod könnte die gebeutelte Nation gefährlich verunsichern, befürchtet sie.

Die britische Königin Elizabeth II. im Mai diesen Jahres.
Die britische Königin Elizabeth II. im Mai diesen Jahres.AP/Andrew Matthews

Der Tod der englischen Königin Elizabeth II ist ein Tag, auf den sich viele britische Journalisten vorbereitet haben. Die Redaktionen proben regelmäßig, wie sie reagieren und rechtzeitig ihre Gedenkausgaben druckfertig machen können.

Man sagt, die Times habe ihre Berichterstattung bereits für die ersten elf Tage nach dem Tod der Monarchin vorgeplant.

Ein Bekannter an der Journalistenschule in London hat mir erzählt, in den Newsrooms der BBC gäbe es einen Alarm, der ertönt, sobald der Tod der Monarchin verkündet wird. Vor einigen Monaten war er allein in der Redaktion, er hatte Nachtschicht, und der Alarm schlug an. Er geriet in Panik, doch es stellte sich heraus, dass nur die Batterie der Anlage getauscht werden musste.

Als wir in der Journalistenschule eine solche Übung durchführten, sagte uns unser Dozent: „Das wird die größte Geschichte eurer Karriere sein.“ Damals glaubte ich ihm – aber das war vor der Corona-Pandemie und vor dem Krieg in der Ukraine. Im Laufe der Jahre wurde ich skeptisch, ob der Tod der Queen wirklich die größte Geschichte meines Lebens sein würde. Aber als am Donnerstagnachmittag die Meldung kam, die Palastärzte seien „besorgt“ um die Gesundheit der Queen und viele hochrangige Mitglieder des Königshauses seien bereits unterwegs zu ihrem schottischen Schloss Balmoral, begann ich, meinen Skeptizismus zu hinterfragen.

Was allerdings sicher ist, dass der Tod ein unglaublicher Schock für das ohnehin gebeutelte Großbritannien ist. Vielleicht nicht so sehr wie der Tod von Prinzessin Diana im Jahr 1997, aber nichts desto trotz wird ein Erdbeben durch das nationale Empfinden gehen – begleitet von einer Flut der Trauerbekundungen. Auch persönlich tut mir ihr Tod weh. Ich bin allerdings keine überzeugte Anhängerin der Monarchie: Dass meine Steuergelder das Leben mir völlig fremder Personen finanzierten als ich noch in Großbritannien arbeitete, fand ich immer ein bisschen frech.

Sie hat mein Leben geprägt

Aber die Queen hat mein Leben geprägt: Die erste E-Mail, die ich jemals in meinem Leben versendet habe, war 2002 an die offizielle E-Mail-Adresse des Buckingham Palace zum 50-jährigen Thron-Jubiläum. Ich bekam eine automatisierte Antwort vom Palast und habe mich sehr gefreut. Und auch heute ist mir die Queen noch eine Hilfe: Seitdem ich in Deutschland lebe und mich bei einem neuen Bekannten vorstellen muss – und dabei betonen möchte, dass mein Name Elizabeth mit Z und nicht wie im Deutschen mit S geschrieben wird – sage ich oft, mein Name schreibe sich „wie der der Queen“. 

Vor allem ist für mich mit ihrem Tod eine Verbindung verloren gegangen und zwar zu meiner Oma. Sie war ein Jahr jünger als die Queen und verehrte sie – 2018, als unserer ganzen Familie klar wurde, dass es das letzte Weihnachtsfest meiner Großmutter werden wird, haben mein Vater und ich ihr geholfen, während der Nationalhymne aufzustehen, als diese am Ende der königlichen Weihnachtsansprache erklang. Zwei Monaten später starb meine Oma friedlich im Krankenhaus. Sie bewunderte die Queen immer für deren Gleichmut, ihr unerschütterliches Pflichtgefühl und die Treue zur Nation. Trotz aller Abneigung für das Königshaus als Institution habe ich dank der Queen immer eine Verbindung zu meiner Großmutter gehalten – und konnte mich deshalb nie dazu überwinden, sie nicht zu mögen.

Ich weiß, dass es vielen Briten ganz ähnlich geht – und nicht nur denen meiner Generation. Denn ungefähr 13 Prozent der britischen Bevölkerung ist über 70 Jahre alt. Das bedeutet, der restliche 87 Prozent erinnert sich gar nicht an eine Zeit mit einem anderen Staatsoberhaupt, mit überhaupt irgendjemanden anderem an der Spitze des Landes. Sie kennen nichts anderes als das zweite elisabethanische Zeitalter.

Ihr Tod wird nicht das Ende des Königshauses sein

Nicht nur deswegen hat die Queen für ein Gefühl der Sicherheit, der Kontinuität gesorgt. Im Laufe ihrer Regentschaft hatte Großbritannien 15 Premierminister – der erste, Winston Churchill, wurde 101 Jahren vor der neuen Premierministerin Liz Truss geboren. Die Queen symbolisierte eine Verbindung zur britischen Geschichte, zum goldenen Zeitalter des Empires, das trotz aller historischen Schwierigkeiten immer noch von vielen Briten als „happy and glorious“ bezeichnet wird, wie die britische Nationalhymne beschreibt. Und auch für den Rest der Welt fühlt sich ihr Tod - in einer Zeit, in der viele Machtformen der Nachkriegszeit infrage gestellt werden – noch dramatischer, vielleicht sogar destabilisierend an. Eine Welt ohne Elizabeth II. ist ein Auftakt in ein neues Zeitalter.

Einer Sache bin ich mir allerdings sicher: Der Tod der Queen wird nicht das Ende des Königshauses sein. Nach jüngsten Statistiken blicken 62 Prozent der britischen Bevölkerung im Wahlalter positiv auf das Königshaus. Nach der Queen, die von 75 Prozent der Briten positiv beurteilt wird, sind Prinz William und seine Frau Kate mit 68 Prozent die beliebtesten Mitglieder der königlichen Familie.

Die Bewunderung und die Verehrung der britischen Bevölkerung für ihre am Donnerstag verstorbene Königin genießen William, Kate und auch ihre Kinder allerdings nicht. Fraglich bleibt, ob überhaupt noch ein britischer Monarch die Briten so begeistern werden kann, wie es die Queen getan hat. Sie verlieh Großbritannien einen Glanz, der ohnegleichen ist und dessen Verlust, nach sechs Jahren Brexit-Drama und an der Schwelle eines Winters mit steigender Inflation und einer dramatischen Energiekrise, das letzte ist, was Großbritannien jetzt gebrauchen kann.

Das Schmerzhafteste an ihrem Tod könnten für die Briten die Erkenntnis sein, dass sie mehr als nur ihre Monarchin verloren haben.