Nachruf

Ein Leben für die Pflicht

Queen Elizabeth II., Staatsoberhaupt von Großbritannien, ist im Alter von 96 Jahren gestorben. Sieben Jahrzehnte lang diente sie ihrem Land.

Queen Elizabeth II. 1951.
Queen Elizabeth II. 1951.United Archives

Queen Elizabeth II. hat sehr lange regiert, sieben Jahrzehnte lang. Deshalb können nur ihre betagtesten Untertanen sich noch an eine Zeit erinnern, in der nicht sie das Staatsoberhaupt Großbritanniens gewesen ist. Sie bestieg den Thron am 6. Februar 1952 und bereits im September 2015 hatte sie Königin Victoria (1819–1901) überrundet, die bis dahin am längsten regierende britische Monarchin.

Was im Übrigen nicht nur für Großbritannien gilt, sondern für 15 weitere Länder. Elizabeth II. war Staatsoberhaupt etlicher Staaten, die einst britische Kolonien waren, seit langem unabhängig sind, die Bindung an die britische Krone aber aufrechterhalten. Dazu zählen unter anderem Australien, Neuseeland und Kanada. 

Elizabeth II. hat während ihrer langen Regentschaft mindestens eine Million Menschen getroffen, darunter fast alle bedeutenden Persönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts. Und natürlich nahezu alle Staatsoberhäupter sowie fünf Päpste. Abgesehen von Nordkorea und Kuba hat sie jedes Land der Welt besucht, darunter siebenmal Deutschland. Auch Supreme Governor of the Church of England ist sie gewesen, also Oberhaupt der englischen Staatskirche.

Das Wappen der Queen hing in jedem Gerichtssaal

Bemerkenswert ist, dass keiner ihrer Titel die Queen mit Exekutivgewalt ausstattete. Als konstitutionelle Monarchin regierte sie das Vereinigte Königreich nur nominell, auch wenn die Regierungen aller politischen Parteien in ihrem Namen handelten, die Streitkräfte ihren Eid auf sie schworen, ihr Wappen in jedem Gerichtssaal hing und jedes Urteil in ihrem Namen erging. Die Queen hatte lediglich das private Recht, „ihre“ Minister zu beraten, sie gegebenenfalls zu warnen oder sogar im Stillen zu beeinflussen. Befehle erteilen durfte sie ihnen nicht.

Durch ihre lange Regentschaft verfügte sie allerdings über einen weitaus größeren Erfahrungsschatz in Fragen der Staatsführung und in weltpolitischen Angelegenheiten als jeder einzelne britische Politiker. Die fünf letzten der 15 Premierminister, die unter ihr in Amt gekommen sind, waren zum Zeitpunkt ihrer Thronbesteigung noch nicht einmal geboren.

Prinzessin Elizabeth wurde am Abend des 21. April 1926 im Haus ihrer aristokratischen schottischen Großeltern im Londoner Stadtteil Mayfair geboren. Ihre Eltern waren der Herzog von York, zweiter Sohn von König George V., und seine Frau Elizabeth Bowes-Lyon. Die kleine Elizabeth war Nummer drei in der Thronfolge, niemand rechnete damit, dass sie je Königin werden würde. Direkter Thronfolger war ihr Onkel David, der 1936, nach dem Tod von George V., als Edward VIII. den Thron bestieg. Allerdings dankte er nach nur zehn Monaten ab, weil Wallis Simpson, die Frau, die er zu heiraten gedachte, als zweifach geschiedene Amerikanerin damals nicht als angemessene Wahl galt. Was bedeutete, dass Elizabeths Vater 1936 als George VI. auf den Thron kam und Elizabeth damit zur Nummer eins in der Thronfolge wurde.

Elizabeth im Jahr 1943.
Elizabeth im Jahr 1943.imago

Nur drei Jahre später brach der Zweite Weltkrieg aus. Obwohl der Buckingham-Palast mehrfach bombardiert wurde, wurden Elizabeth und ihre vier Jahre jüngere Schwester Margaret nicht ins kanadische Exil geschickt. Sie verbrachten die Nächte meist mit ihrer Mutter außerhalb von London auf Schloss Windsor Castle. Gleichwohl rechnete man es der Royal Family hoch an, dass sie das Land nicht verließ.

Im Alter von 14 Jahren hielt Elizabeth erstmals eine Radioansprache, in der sie sich vor allem an Kinder wandte: „Wir wissen, dass am Ende alles gut wird“, sagte sie. Und die Botschaft ähnelt auf verblüffende Weise derjenigen, die sie 80 Jahre später während der Covid-19-Pandemie im April 2020 verkündete.

In den letzten Kriegsmonaten trat die nun 18-jährige Prinzessin der Frauenabteilung des britischen Heeres bei und wurde zur Fahrzeugmechanikerin ausgebildet, sie lernte, Motoren zu zerlegen und Lastwagen zu fahren. Auch sie war also eine Kriegsveteranin. In der Nacht zum 8. Mai 1945, in der der Krieg endete, schlichen sie und Margaret sich aus dem Palast und schlossen sich inkognito den Feiernden an, die durch die Londoner Straßen zogen – es war vielleicht das einzige Mal in ihrem Leben, dass es Elizabeth gelang, in einer Menge unerkannt zu bleiben.

Die Prinzessin war 13 Jahre alt, als sie zum ersten Mal ihren späteren Mann Philip traf. Er war dazu abgestellt, der königlichen Familie, die zu Besuch war, das Navy-College von Darthmouth zu zeigen. Obwohl er fünf Jahre älter war, blieben Elizabeth und Philip in Kontakt und schrieben sich Briefe, während er als Leutnant der Royal Navy auf dem Mittelmeer und dann auf der Nordsee diente.

Von den Mitgliedern des Hofes wurde er misstrauisch beäugt. Philip war zwar ein europäischer Adelssohn, aber ohne Vermögen, und seine Schwestern waren allesamt mit Deutschen verheiratet, die im Krieg auf der anderen Seite gekämpft hatten.

Elizabeth II. von Großbritannien und ihr Mann Prinz Philip winken nach der Krönungszeremonie 1953. 
Elizabeth II. von Großbritannien und ihr Mann Prinz Philip winken nach der Krönungszeremonie 1953. dpa/PA images

Vor der Hochzeit nahm Philip die britische Staatsbürgerschaft an, änderte seinen Familiennamen (von Battenberg zum anglisierten Mountbatten) und seine Religionszugehörigkeit (von griechisch-orthodox zu anglikanisch). Das Paar heiratete im November 1947 in der Westminster-Abtei. Charles, der nun seiner Mutter auf den Thron nachfolgen wird, wurde genau ein Jahr später geboren, das zweite Kind, Anne, folgte im August 1950. Zwei weitere Söhne kamen zur Welt, nachdem Elizabeth bereits Königin geworden war: Andrew 1960 und Edward 1964.

Als sie heiratete, waren die Pflichten der Prinzessin für ihr gesamtes Leben vorgezeichnet. Das war ihr sehr bewusst. An ihrem 21. Geburtstag teilte sie im Radio mit: „Ich erkläre vor Ihnen allen, dass ich mein ganzes Leben, ob es lang sein wird oder kurz, in Ihren Dienst und in den der großen imperialen Familie stellen werde, der wir alle angehören.“ Auch wenn das Empire bereits damals zu zerfallen begann, ist sie diesem Prinzip über die nachfolgenden Jahrzehnte hinweg treu geblieben.

Ihr Vater König George VI. war ein starker Raucher. Er war erst Anfang 50, als bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert wurde. Einige Monate später verabschiedete er seine Tochter und deren Mann auf eine Reise, die er selbst nicht mehr antreten konnte. Unerwartet starb er bereits eine Woche später im Schlaf. Die Nachricht erreichte Elizabeth auf einer kenianischen Jagd-Lodge. Im Alter von 26 Jahren wurde sie am 6. Februar 1952 Queen. Unverzüglich flog sie zurück nach London.

Eine Fotografie der Queen aus dem Jahr 1955.
Eine Fotografie der Queen aus dem Jahr 1955.imago/Everett Collection

Die Monarchie war verstaubt, auf Elizabeth ruhten die Hoffnungen

Auf der jungen Königin lasteten große Erwartungen: Man hoffte auf ein zweites elisabethanisches Zeitalter, einen Neuanfang für das Land, das sich nach langen Kriegsjahren nur langsam erholte. Doch die Monarchie war verstaubt. Beraten von alten Männern, die bereits ihrem Vater gedient hatten, und vom greisen Premierminister Winston Churchill, konnte die noch unerfahrene Monarchin nur wenig Innovatives bewirken. Immerhin bestand das Königspaar gegen den Willen Churchills darauf, dass die 1953 stattfindende Krönung zum allerersten Mal überhaupt im Fernsehen übertragen wurde – ein voller Erfolg. Acht Millionen Menschen weltweit sahen zu.

In den Nachkriegsjahren kam es zum Zusammenbruch der britischen Großmachtansprüche. Die Kolonien strebten nach Unabhängigkeit. Gesellschaftliche Hierarchien wurden infrage gestellt. Und auch die Monarchie. Überholt sei sie und ohne jeden Bezug zur Gegenwart.

Elizabeth und Philip im Jahr 1952 mit Sohn Charles und Tochter Anne.
Elizabeth und Philip im Jahr 1952 mit Sohn Charles und Tochter Anne.imago

Prinz Philip versuchte, die Royal Family, die er gern als „the firm“, also „das Unternehmen“, bezeichnete, sichtbarer und nahbarer zu machen. Die Medienstrategie wurde professionalisiert, ein ständig wachsendes Presseteam nahm die Arbeit auf. 1968 entstand eine Dokumentation im Homestory-Format, die die Royal Family in ihrer Freizeit zeigte, beim Frühstück und bei einem Feiertags-Barbecue am Ufer eines Sees. Der Film wurde weltweit ausgestrahlt und von zwei Drittel der britischen Bevölkerung gesehen.

Die Queen – fleißig und stets bereit, Dinge zu verändern

Die Queen selbst war immer gern bereit, Dinge zu verändern. Fleißig war sie obendrein: An jedem einzelnen Tag ihrer Regentschaft widmete sie sich mehrere Stunden lang den roten Kartons voller offizieller Papiere, die ihr von der Regierung zugestellt wurden. Sie war aber auch schüchtern, musste bisweilen aus der Reserve gelockt werden. Eine weitere Neuerung waren daher die „walkabouts“, die zum silbernen Thronjubiläum 1977 eingeführt wurden und bei denen die Mitglieder der königlichen Familie bei öffentlichen Ereignissen an der Menge vorbeispazierten und sich mit den Menschen am Straßenrand unterhielten.

In den frühen 80er-Jahren kam es zu einer in hohem Maße öffentlichen Brautsuche für Prinz Charles. Es schien dann, als habe der Thronfolger in Diana Spencer die Richtige gefunden. Was zunächst nach einer Romanze wie im Märchen aussah, stellte sich später als im Grunde arrangierte Ehe heraus. Die Prinzessin erfüllte die konstitutionellen Erwartungen, indem sie zwei Söhne bekam, William und Harry, die Ehe zerbrach nach und nach. Sowohl Charles als auch Diana hatten Geliebte – Charles hatte sich nie wirklich von seiner früheren Freundin Camilla getrennt, die er später heiratete – und beide gaben indiskrete Fernsehinterviews.

Die Scheidung 1992 und das Verhalten des Paares schadeten der Monarchie. Zwei weitere Windsor-Ehen zerbrachen: diskret im Fall von Prinzessin Anne und ihrem ersten Mann Mark Philips und sehr viel öffentlicher in dem von Prinz Andrew und seiner eigensinnigen Frau Sarah Ferguson. Und als sei dies noch nicht genug, endete das Jahr, das die Queen in einer Ansprache als „annus horribilis“ beschrieb, damit, dass ein Teil von Windsor Castle von einem Feuer zerstört wurde.

Die größte Krise ihrer Regentschaft durchlitt die Queen 1997, nachdem Prinzessin Diana in Paris bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Inmitten einer Welle demonstrativer Trauer kritisierte man Elizabeth II. dafür, dass sie nicht augenblicklich nach London zurückgekehrt, sondern in ihrer Privatresidenz in Balmoral in den schottischen Highlands geblieben war, wo sie wie jedes Jahr den Sommer verbrachte. Tatsächlich aber tat die Königin ihr Bestes, ihre Enkelsöhne, die damals beide im Teenager-Alter waren, von den Massen abzuschirmen, die den Buckingham-Palast umlagerten. Zur öffentlichen Beerdigung der Prinzessin kehrte sie am Ende der Woche mit den Jungen nach London zurück. Eine persönliche Live-Ansprache, bei der sie, wie sie sagte, „als Großmutter sprach“, half, die Kritik zu besänftigen.

Im Alter fand Elizabeth II. mehr Gefallen an Staatsbesuchen

Fünf Jahre später, zum Goldenen Thronjubiläum, waren ihre Beliebtheitswerte wieder auf dem alten hohen Stand. Dem Jubiläumsjahr vorausgegangen waren nur kurz hintereinander der Tod von Prinzessin Margaret, der Schwester der Queen, sowie ihrer Mutter, die im Alter von 101 Jahren starb. Unerwarteterweise hatten diese Todesfälle eine befreiende Wirkung auf die Queen: Sie schien mehr Gefallen an Staatsbesuchen zu finden und äußerte sich häufiger zu persönlichen Angelegenheiten, darunter auch zu ihrem starken christlichen Glauben, den sie immer häufiger erwähnte, je älter sie wurde.

Eine Abdankung kam nicht infrage, solange sie noch körperlich fit war. Und auch wenn die öffentlichen Auftritte langsam weniger wurden, war sie doch immer noch in der Lage, sich den Herausforderungen des modernen Lebens zu stellen.

Im April 2021 starb Prinz Philip auf Schloss Windsor im Alter von 99 Jahren. Die Queen machte ihrem Ruf alle Ehre und erfüllte nur wenige Tage nach dem Tod ihres Ehemanns schon wieder royale Pflichten: Sie verabschiedete den leitenden Beamten des Hofes, den sogenannten Lord Chamberlain, in den Ruhestand. Während der Beerdigung des Gatten hielt sie sich sekundengenau an die vorgegebenen Trauerrituale. Und machte danach unsentimental dort weiter, wohin das Schicksal sie einst verschlagen hatte: im Leben einer dienenden Königin.

Elizabeth II. auf der Royal Windsor Horse Show im Mai 2019. 
Elizabeth II. auf der Royal Windsor Horse Show im Mai 2019. dpa/Andrew Matthews

Im Oktober zeigte sie sich, inzwischen 95 Jahre alt, erstmals mit einem Stock in der Öffentlichkeit. Als ihr ein Seniorenmagazin die Auszeichnung „Oldie of the Year“ verleihen wollte, lehnte sie dankend ab. „Ihre Majestät glaubt, dass man so alt ist, wie man sich fühlt“, ließ sie ihren Privatsekretär mitteilen. Und dass sie nicht die relevanten Kriterien erfülle für die Ehrung. Am Tag, an dem die Nachricht in den britischen Zeitungen zu lesen war, musste sich die Königin krankmelden und eine Nordirland-Reise absagen. Sie erholte sich wieder.

Queen Elizabeth II. hat während ihrer enorm langen Regentschaft kein neues elisabethanisches Zeitalter hervorgebracht. Sie hat vielmehr den langsamen Abstieg Großbritanniens als Weltmacht würdevoll begleitet. Eine Erneuerin ist sie nicht gewesen. Und doch: Sie war in der Lage, sich zu verändern, sich den wandelnden Zeiten immer wieder neu zu stellen. Sie war eine Staatsdienerin, erfüllt von Pflichtgefühl, fern von Selbstdarstellungsbedürfnissen. Auch wenn es gelegentlich so aussah, als zöge sie Hunde und Pferde den Menschen vor: Sie, die Nüchterne, wurde hoch geschätzt.

Am Donnerstag, den 8. September 2022, ist Elizabeth II. im Alter von 96 Jahren auf Schloss Balmoral gestorben.

Stephen Bates ist ehemaliger königlicher Korrespondent des Guardian und Autor des Buches „Royalty Inc: Britains best-known Brand“.