Gesundheit

Klinikreform: Weniger Ökonomie, mehr Medizin – und das Ende falscher Anreize?

So will die Regierungskommission das deutsche Krankenhaussystem vor dem Kollaps bewahren. Und das verspricht sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach davon. 

Karl Lauterbach verspricht für die Finanzierung von Krankenhäusern „eine Revolution im System“.
Karl Lauterbach verspricht für die Finanzierung von Krankenhäusern „eine Revolution im System“.dpa/Nietfeld

Eine „Revolution im System“ erkennt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der geplanten Reform, Behandlungen in Krankenhäusern künftig zu finanzieren. Tatsächlich bleiben die viel kritisierten Fallpauschalen (DRG) im Grundsatz bestehen. Ihr Einfluss auf medizinische Entscheidungen soll jedoch zurückgedrängt werden. 60 Prozent werden nun sogenannte Leistungsgruppen ausmachen. Das ist der Vorschlag, den eine Regierungskommission an diesem Dienstag vorgestellt hat. Die übrigen 40 Prozent ergänzen das Budget der Kliniken, damit diese unabhängig von der Zahl der Behandlungen ihre Fixkosten finanzieren können.

Lauterbach zufolge wird auf diese Weise der wirtschaftliche Druck von den Kliniken genommen. „Sie müssen immer so billig und so viel wie möglich behandeln“, sagt der Minister zur derzeitigen Situation. Dies setze falsche Anreize, verleite Krankenhäuser dazu, lukrative Leistungen anzubieten, um auf ihre Kosten zu kommen, bei freier Trägerschaft einen Gewinn zu erwirtschaften oder um Investitionen zu bezahlen, für die eigentlich die Bundesländer aufkommen müssten, was sie in der Vergangenheit aber nicht ausreichend taten.

Das kombinierte Modell soll dabei helfen, dieser Entwicklung gegenzusteuern, die Lauterbach mit einem Hamsterrad vergleicht, das sich immer schneller dreht. Immerhin, das hat Tom Bschor als Vorsitzender der Kommission vorgerechnet, wende Deutschland 13,1 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Gesundheit auf, was im europäischen Vergleich viel sei, doch: „Wir haben Masse statt Klasse“, sagt Bschor und beklagt eine Schere, die immer weiter auseinanderzugehen drohe und das System kollabieren lasse, wenn es nicht sehr bald reformiert werde. Es gebe eine Unterversorgung, sagt Bschor, die momentan in der Kindermedizin besonders deutlich werde. Gleichzeitig behandelten Krankenhäuser immer mehr, es herrsche also Überversorgung.

Kinderstationen etwa rechnen sich nach der DRG-Logik finanziell nicht; viel Personal müsse vorgehalten werden, Behandlungen könnten mehr Zuspruch und Zeit erfordern. Deshalb soll für diesen Bereich eine Sonderregelung gelten, das Verhältnis zwischen bezahlter Leistung und Basisbudget 40:60 betragen. Ebenso will die Regierungskommission mit Rettungsstellen, Intensivstationen und der Neonatologie verfahren. Christian Karagiannidis hat das angekündigt. Der Professor gehört ebenfalls der Regierungskommission an und ist wissenschaftlicher Leiter des Divi-Intensivregisters. Er schlägt vor, dass Behandlungen in 128 Leistungsgruppen eingeteilt werden. Leukämie und Lymphome könnten zum Beispiel in einer solchen Gruppe zusammengefasst werden. Das derzeitige DRG-System sieht mehr als 1200 Fallpauschalen vor.

Zu wenig Pflegepersonal – hilft mehr ambulante Versorgung?

Strenge Kriterien sollen personelle und technische Mindeststandards setzen. Dadurch, „dass gleiche Leistung immer gleich bezahlt wird“, meint Karagiannidis, werde es Trägern schwerfallen, mit Krankenhäusern Gewinne zu erwirtschaften zulasten von Patienten und Personal. Ein weiteres Missverhältnis betrifft den Fachkräftemangel, er dürfte sich weiter verstärken. Tendenziell sei nämlich mit mehr Patienten zu rechnen, wie Lauterbach prophezeit, da gleichzeitig die geburtenstarken Jahrgänge ins Rentenalter kämen.

Dieser Art Unterversorgung wollen Kommission und Minister nun begegnen, indem sie stationäre Behandlungen ambulant ausführen lassen wollen, so weit dies medizinisch vertretbar erscheint. Dieser Vorschlag ist nicht neu, er wird seit einiger Zeit unter anderem von Gesundheitsökonomen favorisiert. Er zielt auf kleine, lokale Häuser ab, bisher Grund- und Regelversorger genannt, in Zukunft als Level 1 eingestuft.

Unterschieden wird den Reformplänen zufolge in dieser Kategorie nach Kliniken, die eine Notaufnahme besitzen, und solchen, die nur noch eine „integriert ambulante Versorgung“ gewährleisten, somit nicht mehr 24 Stunden an sieben Tagen der Woche das komplette stationäre Programm anbieten. Kritiker wie das bundesweite Bündnis Klinikrettung beklagen die Konzentration auf große Standorte zulasten der Versorgungssicherheit.

Die Kommission sieht darin dagegen eine Chance, dass Medizin auf hohem Niveau finanzierbar bleibe. Karagiannidis sagt: „Wir gehen jetzt schon davon aus, dass 40 Prozent der Krankenhäuser insolvenzgefährdet sind und 60 Prozent in diesem Jahr rote Zahlen schreiben werden.“ Mehr Kooperation sei demnach nötig, auch in Ballungsräumen, wo Kliniken „Leistungsgruppen untereinander austauschen können“, da es sinnvoll sei, wenn nicht jeder alles anbiete. Für die kleinen Häuser wiederum gebe es zwei Möglichkeiten: Sie schließen sich mit anderen zu einer größeren Einheit zusammen „oder sie graden down“, arbeiten verstärkt ambulant.

Krankenhausgesellschaft will Debatte über die Reform

Kommissionsmitglied und Charité-Aufsichtsrätin Irmtraut Gürkan spricht von einer fünfjährigen „Konvergenzphase“, in der das neue System etabliert werden würde. Und in der wichtige Fragen noch zu klären seien. „Die Finanzierung der Investitionsbereiche“, nennt die Volkswirtin als Beispiel. Gerade an der Finanzierung, meint die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), müssen sich die Reformvorschläge messen lassen – „ob sie tatsächlich nachhaltig eine Verbesserung für die Versorgung der Patienten, die Krankenhäuser und die dortigen Beschäftigten bringen“.

Ähnlich äußert sich Marc Schreiner, Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG): „Jetzt gilt es, in den kommenden Diskussionen die Denkanstöße mit allen Beteiligten weiterzuentwickeln, da viele Fragen der Umsetzung noch offen sind.“ Schreiner fordert: „Bis die Reformen umgesetzt sind und greifen, müssen die Krankenhäuser abgesichert werden, insbesondere um den Inflationskosten wirksam begegnen zu können. Sonst braucht es keine Reform mehr, wenn Fakten durch Insolvenzen geschaffen sind.“ Die Debatte um eine Klinikreform geht weiter.