Gastbeitrag

Klaus Bachmann: Was Friedrich Merz an kriminellen Ausländern und am Stadtbild nicht versteht

Straftaten gehen insgesamt zurück. Kontrovers diskutiert wird ein Teil der Statistik, der eine Zunahme von bestimmten Straftaten zeigt. Daran sollen Ausländer schuld sein. Ein Gastbeitrag.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nimmt an der Weltklimakonferenz COP30 teil.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nimmt an der Weltklimakonferenz COP30 teil.dpa/Kay Nietfeld

Die Stadt, in der ich geboren wurde, hat einen Bahnhof. Besonders angenehm war er nie: Die Schalterhalle war kahl, abweisend und nicht besonders sauber, die Klos verdreckt und das Personal, nun, sagen wir mal: zurückhaltend und korrekt. So ein Bahnhof ist kein Ort, an dem man viel Zeit verbringt, nur soviel, wie man braucht, um in einen Zug ein- oder aus einem Zug auszusteigen. Das blieb auch nach dem Einbau von Aufzügen auf den Bahnsteigen so, nachdem die CDU-geführte Stadtverwaltung endlich Pendelbusse eingerichtet hatte, die die Grünen im Stadtrat schon in den achtziger Jahren gefordert hatten.

In der gesamten Zeit zwischen dem Einzug der Grünen und dem Bau der Aufzüge veränderte sich das, was Friedrich Merz „das Stadtbild“ nannte, enorm. In den fünfziger Jahren waren Italiener, Spanier, danach Türken und danach Menschen aus aller Herren Länder gekommen. Jetzt leben hier kroatische Omas, die Nachkommen bosnischer Kriegsflüchtlinge, französische Ehepaare, junge russischsprachige Frauen mit Kindern, die ich vor zehn Jahren noch für Wolgadeutsche gehalten hätte, deren Aussprache aber jetzt verrät, dass sie aus der Ostukraine kommen. Nur die Iraner, Afghanen, Syrer und Türken verstehe ich nicht, aber die meisten sprechen ohnehin deutsch.

Inzwischen habe ich eine Frau kennengelernt, die mit ihren Kindern Russisch und Spanisch auf dem Spielplatz spricht, mir, als ich sie auf Spanisch ansprach, aber auf Deutsch antwortete: ein Teil der Familie stamme aus Kuba, der andere aus Russland, verriet sie mir. Sie allen passen eigentlich nicht in das Stadtbild, das ich aus meiner Geburtsstadt kenne. Mehr noch: Unser wenig einladender Bahnhof passt perfekt ins Stadtbild. Ich habe ständig dort Jugendliche „herumlungern“ sehen, ich wurde als kleiner Junge Zeuge, wie ein Angetrunkener den Hund eines Behinderten trat und der Behinderte den Mann daraufhin durch die Wartehalle prügelte, worauf mich der Angetrunkene, gottserbärmlich fluchend, auf dem Klo vom Waschbecken vertrieb, um sein Blut abzuwischen. Das waren alles Leute, die ins Stadtbild passten. Keine Ausländer, keine Fremden, keine Dunkelhäutigen. Jedenfalls nicht in meiner Erinnerung.

Berliner Zeitung

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