Auf den ersten Blick sieht es wie eine Rebellion aus: Der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow hat bei einem Treffen mit dem operativen Hauptquartier zur Durchführung der militärischen „Sonderoperation“ erklärt, dass es in seiner Republik keine Mobilisierung geben werde. Ein Auszug aus seiner Rede wurde vom staatlichen Fernsehen Grosny am Donnerstagabend übertragen.
Wie Kadyrow weiter erklärte, seien bereits 20.000 Tschetschenen (zum Vergleich: die Einwohnerzahl der Republik liegt bei rund 1,5 Millionen Menschen) im Laufe des Krieges in die Ukraine gegangen, sodass Tschetschenien seinen Plan „bereits um 254 Prozent übererfüllt hat“. Was das für ein Plan ist, gab er dabei nicht bekannt. Auf einem Telegram-Kanal schrieb der 45-Jährige jedoch, dass diese Indikatoren früher aufgrund der Bildung neuer Einheiten des russischen Verteidigungsministeriums erreicht worden seien.
„Alle Kandidaten für den Wehrdienst sind durch das Militärkommissariat passiert. Wir haben diesen Mechanismus von Anfang an ausgearbeitet, noch vor der Ankündigung der Teilmobilmachung. Darüber hinaus verfügt die Republik über eine Reserve von Tausenden von Freiwilligen, die sich bei Bedarf den Reihen der Verteidiger des Vaterlandes anschließen können. Die Einwohner ahnten nicht einmal, dass solche Probleme auftreten könnten, und wir haben bereits alles entschieden“, so das tschetschenische Oberhaupt.
So kritisiert Kadyrow indirekt Wladimir Putin
Dass Kadyrow sich diesen Alleingang ruhig leisten kann, zeigen ausbleibende Reaktionen aus dem Kreml auf seine Ankündigung. Denn kaum jemand genießt in Russland so eine Autonomie, wie Tschetschenien unter Ramsan Kadyrow. Der Mann gilt als großer Unterstützer von Putin, sein persönlicher „Bluthund“ und Dämpfer der separatistischen Stimmungen in der kaukasischen Republik. Diese Treue weiß er für sich auszunutzen und wird bei seinen blutigen Aktionen wie dem Tiergarten-Mord kaum noch vom Kreml kontrolliert oder ausgebremst. Das Gleiche gilt wohl auch für die Machenschaften seiner Soldaten im Ukraine-Krieg.
Kadyrows Ankündigung soll einerseits die Bevölkerung in der Republik zu beruhigen und einschüchtern. „Ich appelliere an die Bevölkerung der Republik Tschetschenien, insbesondere an unsere geliebten und verehrten Mütter, Ruhe zu bewahren“, schrieb er weiter auf Telegram. So erzählte Kadyrow dem operativen Hauptquartier über eine Antikriegsdemonstration der Frauen in der Hauptstadt Grosny am 21. September. Kadyrow informiert darüber, dass die tschetschenischen Behörden die Angehörigen von 40 protestierenden Frauen bereits in die russisch-ukrainische Front geschickt hätten. Er drohte, dass die Ehemänner und alle Kinder von denen, die sich auf die Straße wagen würden, an die Front gesandt werden.
Andererseits gilt sein Alleingang auch als eine Botschaft an den Kreml. Der Tschetschene schrieb weiter auf Telegram, dass er oft darüber nachdenke, warum „wir während der Sonderoperation nicht alle verfügbaren Kräfte und Mittel einsetzen, wenn der gesamte Nato-Block offen gegen uns kämpft“. Wir hätten jedes Recht, so Kadyrow, „unser Land mit allen Mitteln zu verteidigen.“ Wenn Russland zumindest den Hauptteil an Waffen und Ausrüstung eingesetzt hätte, wäre es längst am Ziel, kritisiert er. „Aber da die Führung anders denkt, ist es unsere Aufgabe, den Auftrag zu erfüllen.“
Damit hinterfragt Kadyrow die „Teilmaßnahmen“ Putins mit aller Klarheit. Putins Teilmobilmachung ist dem blutdürstigen Falken wie Kadyrow zu wenig, er hat schon längst eigene Kriegsmaßnahmen eingeleitet.



